Posts from JoJu91 in thread „Die Gelassenheit und die Ignoranz des Buddhismus“

    ein Unfall mit meinem Fahrrad.

    Da fällt mir in diesem Zusammenhang die Geschichte von Didi G. ein, einem Dhamma-Freund der ersten Stunde. Trotz seines furchterregenden Äußeren (ein weisser Mike Tyson) hatte er panische Angst vor Krankheiten, ein echter Hypochonder.


    In seinem Rekordjahr Mitte der Zehnerjahre brachte er es auf sagenhafte über zweihundert (!) Arzttermine, um jede auch nur denkbare Krankheit auszuschliessen.

    Dann stieg er eines Tages auf sein Dienstfahrrad (er war damals Hausmeister) und stürzte dabei so unglücklich, dass er monatelang in Krankenhäusern und Reha-Einrichtungen lag.


    Didi hatte an alles gedacht, an wirklich alle Szenarien und Eventualitäten.

    Er hatte nur EINE VERDAMMTE SACHE vergessen:

    "Sei achtsam wenn Du auf das Fahrrad steigst".


    Daraufhin formulierte er mir sein "Gesetz von Didi G.":

    "Die tödliche Kugel kommt aus der Richtung, aus der Du sie am wenigsten vermutest".

    Wobei die zwanghafte Befolgung dieser Regel sie wieder konterkarieren würde :buddha: !


    Didi hat gottseidank keine nennenswerten bleibenden Schäden davongetragen, ich habe ihn vor zwei Wochen nach langer Zeit wieder mal getroffen, der härteste "Dhamma-Krieger" den ich kenne.


    :)

    Wann (oder womit oder wodurch) endet für dich der achtfache Pfad?

    (Endet er überhaupt je - außer durch den Tod?)

    Er endet kurzzeitig im Tiefschlaf und in den seltenen Momenten der wachen, bewussten Präsenz ohne Ich, ein Hauch zumindest von Samadhi.


    Ansonsten endet er wohl nie, nimmt nur andere konkrete Formen und Inhalte an.

    Im Rückblick habe ich, was die Tugendregeln anbelangt, viel zu hohe Maßstäbe angelegt und mich oft unnötig selbst verurteilt und behindert. Aber vielleicht ist das die Altersmilde, mit 55plus erscheinen viele Sünden eher ein Grund zum Schmunzeln.


    Ein Weiser ist erstens jemand, der sich selbst nicht sabotiert.

    Da bin ich noch am Arbeiten.


    :)

    Was ich nicht verstehe, Joju91, ist, dass Du Gedankenfreiheit erreichen konntest, aber nicht unbedingt von den Emotionen frei wurdest. Meiner Erfahrung nach löst sich eine Emotion sofort auf, wenn sie nicht mehr von Gedanken ergriffen wird.

    Wahrscheinlich weil die Emotionen auch einen körperlichen Eindruck hinterlassen.


    Ich kann wiederum nur von mir selbst reden, andere sind sicher anders gestrickt:

    In schwierigen, belastenden Situationen fällt es mir (dank jahrelangem intensivem Zazen ?) relativ leicht, alle Gedanken ziehen zu lassen, wach sein ohne zu denken. Damit verschwindet natürlich auch die gedankliche Seite der Emotion, etwa "was hat diese schreckliche Frau mir schon wieder angetan", aber das mit der (z.B.) Wut verbundene Körpergefühl ist noch spürbar. Der gedankliche Kommentar zur Emotion ist weg, aber noch nicht das damit verbundene unangenehme Körpergefühl.

    Bei den regelmäßig wiederkehrenden Dramen mit meiner "Muse" bedeutet das, aus dem tödlichen Ernst wird durch die kurze Gedankenlücke eine Slapstick-Komödie, es entfällt der Antrieb, weiter zu eskalieren, denn das ganze ist nur noch lächerlich.

    Sie nennt es als Eckehardt-Tolle-Fan "das Erkennen des Schmerzkörpers", das Erkennen löst ihn auf, vorläufig. Das Erkennen erfolgt durch die kurze Gedankenfreiheit, ausgelöst durch den Schock, das Hallo-Wach-Erlebnis der heftigen Streitsituation


    :)



    :mediw: :medim:

    Wenn man die normalen Dinge im Alltag so sieht, also buchstäblich sieht (wie es im Duden steht), könnte es nicht nur sehr unangenehm wirken, sondern das normale Leben in der Gesellschaft massiv beeinträchtigen.


    Dein eigenes Zitat im Zitat von Debes bringt es auf den Punkt: "indem wir nur noch ständiges Vergehen, Verfallen, Auflösen sehen. Alles zerrinnt nur zwischen den Fingern ..."

    Deshalb war mein normales Leben als junger Mann in der Gesellschaft massiv beeinträchtigt, weil ich "die normalen Dinge im Alltag so gesehen habe", deshalb war mein dukkha in der Jugend so extrem stark.

    Ein solche massive Beeinträchtigung hältst Du auf Dauer nur aus mit Alkohol, Drogen, Psychopharmaka.

    Oder aber durch ein tiefgreifendes spirtituelles Erlebnis, nenne es Samadhi, "Erkenntnis der Leerheit" oder wie auch immer. Es ist ein Erleben, das die gesamte Weltsicht auf einen Schlag verändert. Wo vorher tiefste Verzweiflung war, ist jetzt Zuversicht und Lebensfreude.

    Es ist wie das Erwachen aus einem Alptraum, aber das ist wieder nur ein Gleichnis.


    Die Zustände mit Halluzinogenen oder sonstigen Drogen haben damit nichts zu tun.

    Natürlich bieten für einen Verzweifelten die Drogen, auf die er persönlich gestimmt ist, anfangs ein paradiesisches High-Gefühl, aber nur durch den extremen Kontrast zur extrem negativen Grundstimmung des Verzweifelten.


    Wie gesagt, ich rede nicht von Theorie, sondern nur von meinem eigenen Erleben.


    :)

    Manchmal glaube ich, in deinen Texten vielfach so einen zarten, leisen, ironischen Unterton wahrzunehmen, so als nähmst du (das) alles nicht wirklich ernst

    Das ist wohl richtig, es fällt mir immer schwerer, die Welt wirklich ernst zu nehmen.

    Die "spirituelle Praxis" nehme ich sehr ernst, die Kapelle auf der Titanic soll noch bis zum Untergang das Leben feiern.

    Vor kurzem habe ich das Shinjinmei von Meister Sosan entdeckt, die Lehre des Buddha komprimiert in wenigen Seiten, jeder Satz eine Offenbarung.


    Das Bild vom reuigen Sünder hatte ich auch vor mir, vom Saulus zum Paulus.


    Über Deine anderen Anmerkungen denke ich noch nach ...


    :)

    So ein Vexierbild ist Form und Farbe, die Vorstellung lässt eine Vase oder Gesichter erscheinen.

    Das ist natürlich nur ein Gleichnis.


    Mit Leerheit unmittelbar wahrnehmen meine ich weder sehen, hören, riechen, tasten, schmecken noch denken. Es ist ein Wechsel im Bewusstsein.


    Im Zazen habe ich meist mit der Atembetrachtung begonnen, mit offenen Augen vor einer weissen Wand sitzend, im halben Lotus-Sitz, das war beim längeren Sitzen sehr schmerzahft.

    Nach dem Fallenlassen der Atembetrachtung konnte ich oft in voller Wachheit aufhören zu denken,das war am einfachsten, die Lücke zwischen zwei Gedanken auf viele Minuten ausdehnen. Danach haben sich in voller Wachheit die Emotionen (Wut, innere Unruhe, ...) aufgelöst, das ist die erste Stufe des Denkens und Wahrnehmens ohne jeglichen Gedanken, ohne jeglich Emotion.

    Manchmal konnte ich tiefer gehen und das Körpergefühl ist verschwunden, die Schmerzen des Lotus-Sitz waren vollständig verschwunden, der Atem war kaum mehr spürbar fein.

    Hellwach, entspannt, die Last der Welt vollkommen verschwunden, unendliche Freude und Leichtigkeit. Kein "Gefühl" mehr von ich, aber noch ein Hintergrundbewusstsein von "bin" ohne ich. Das ist die erste Stufe eines höheren Bewusstseins, und die Quelle für Erkenntnis jenseits von Verstand, Vernunft, Logik, jenseits des Alltagsbewusstseins. Dieser Bewusstseinszustand ist einfach, er ist höher als das Alltagsbewusstsein, weil er einfacher ist, ohne den Lärm des Ich.

    Es ist noch nicht die Erkenntnis der Leere, aber ein Anfang. Es geht noch höher und noch einfacher.


    Die Schilderung oben ist natürlich die Schilderung einer "idealen" Zazen-Sitzung, Gedankenfreiheit konnte ich fast immer erreichen, das Loslassen der Emotionen war deutlich schwieriger, und die vollständige Entspannung des Körpers mit dessen Nicht-mehr-Fühlen eher die Ausnahme.


    Für mich war der Zugang zu höheren, einfacheren, Bewusstseinszuständen das wichtigste Ziel in den Anfangsjahren meiner Praxis, weil ich extrem starkes dukkha hatte und für philosophische Fragen keinen Raum.


    :angel:

    Meine bescheidene Meinung ist, dass sich die Leerheit nicht unmittelbar wahrnehmen lässt, ohne den gesamten achtfachen Pfad zu erfüllen. Nicht weil es ein Dogma wäre, aber ohne die Voraussetzungen dieser Sittlichkeit, Weisheit und Sammlung kann diese unmittelbare Wahrnehmung nicht entstehen. Ein Pfad hat einen Anfang und ein Ende, selbst wenn man denkt diese unmittelbare Wahrnehmung würde sich so schnell einstellen wie man einen Lichtschalter anknipst, ist es eine Voraussetzung den Schalter zu betätigen.

    Die Leerheit lässt sich unmittelbar wahrnehmen.

    Diese unmittelbare Wahrnehmung stellt sich so schnell ein, wie wenn ich bei einem Vexierbild von der Wahrnehmung einer weissen Vase auf schwarzem Grund umschalte auf die Wahrnehmung der zwei schwarzen Gesichter auf weissem Grund.


    Mit dem Wahrnehmen der Leerheit ist auch die Frage nach der Natur des Ich geklärt.


    Mit dem unmittelbaren Wahrnehmen der Leerheit endet für mich der achtfache Pfad nicht, denn ich verbleibe nicht in der Leerheit (der Welt der zwei schwarzen Gesichter), sondern kehre in die Welt der weissen Vase, in Samsara, zurück. In Samsara lebt der Weise schon aus Egoismus sittlich, der Unsittliche hat jedoch leider oft die grössere Chance, an seinem charakterlichen Tiefpunkt die Leerheit zum erstenmal unmittelbar zu erfahren, wenn er sein totales selbstverursachtes Scheitern erkannt hat. Satori ist nicht gerecht im weltlichen Sinne. Es erfordert ein zeitweises (!) Aufgeben aller Ansichten und Überzeugungen, auch der edelsten, und dieses Aufgeben auch der edelsten Überzeugungen ist für den Tugendhaften fast unmöglich.


    Fast hätte ich es vergessen.

    Das ist keine Aufforderung zu untugendhaftem Verhalten. Bloß nicht !

    Nur die Untugendhaften könnten ihre Gewissensbisse und Reuegefühle mit einem gewissen Humor nehmen und als Ansporn für verschärfte Meditationspraxis nehmen.


    :angel:

    Aber alles hat ein Ende und So wird sich die exponentielle Wachstumskurve der "große Beschleunigung" neigen. Was bedeutet ,dass uns die die samsarische Normalität langsam aber sicher näher kommt - Krieg, Seuchen, Unsicherheit kehren zurück. Das wünscht man natürlich niemanden, aber wenn man schaut war es für die meisten Zeiten nicht ungewöhnlich.


    Weil wir aber den paradiesischen Glücksfall als Normalität und als ererbten Recht sehen, sind wir frustriert und verfallen in tiefe Angst, wenn die positive Umstände wegbrechen.

    Ich habe persönlich den Eindruck, im Westen brechen die positiven Umstände weg, WEIL "wir" in tiefe Angst verfallen sind und weniger umgekehrt. Wenn die materiellen Grundbedürfnisse auf komfortablen Niveau erreicht sind, hat man Zeit "nachzudenken" und es bauen sich vor Ängste auf, die in der Realität kaum eine Basis haben, ich rede auch von mir selbst. Dagegen hilft nur waches Nichtdenken und Selbsterkenntnis, der wichtigste Teil der Buddha-Lehre ...


    Der Westen ist überaltert und zumindest das obere Drittel der Gesellschaft übersättigt.

    Ein abgesichertes Leben mit viel Annehmlichkeiten führt schnurstracks ins Verderben, wussten schon die alten Römer. Auch eine ganze Gesellschaft kann krank werden.


    Dem Niedergang des Westens steht der Aufstieg anderer, junger, erlebnishungriger, neugieriger Gesellschaften gegenüber, da bin ich optimistisch, die Musik der Freiheit und des Fortschritts spielt künftig in anderen Regionen.


    Wachstum bedeutet ökonomisch nicht zwangsläufig mehr Verbrauch an Ressourcen und mehr Produktion von Gütern, sondern in erster Linie Wachstum an Qualität.

    Stellen wir uns einen PKW vor, der für eine Strecke von 1.000 km einen Fingerhut voll eines synthetischen Treibstoffs benötigt. So undenkbar wie vor 30 Jahren die Rollkoffer auf den Flughäfen und Bahnhöfen oder vor 200 Jahren die Live-Übertragung eines Fussballspiels aus Brasilien.


    Was die Buddhisten betrifft, nehme ich mir ab und zu die Warnung eines Spötters zu Herzen:

    "Budhisten sind Menschen, die versuchen, der Hölle zu entgehen, indem sie sich selber eine Hölle machen."


    :)