Posts from Thorsten Hallscheidt in thread „OT: Queeres ertragen“

    Angenommen, alle Gesetze des Staates würden nur für kurze Zeit aufgehoben, würde der Mensch sofort in eine grausame Bestie verwandelt werden, wie es Hollywood sehr gut demonstriert in Filmen wie "The Purge – Die Säuberung" (siehe Wiki) und vielen Fortsetzungen, bestimmt nichts für schwache Nerven.

    Keinesfalls. Die Sozialanthropologie hat Erkenntnisse über Jäger- und Sammlerkulturen, die über Hunderttausende (!) von Jahren stabile kooperative Gesellschaften gebildet haben, z.T noch bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Nachzulesen hier:


    Suzman, James | Sie nannten es Arbeit
    Eine andere Geschichte der Menschheit. 2022. 978-3-406-76548-3. Heute bestimmt unsere Arbeit, wer wir sind, und das rastlose Konsumieren gilt als natürliche…
    www.chbeck.de


    Hollywood ist keine gute Quelle.


    Und die Kategorisierung des Sex, die zu Ausgrenzungen und Gewalt gegenüber "Andersartiger" führte, nahm erst ab dem 18. Jahrhundert so stark zu. Nachzulesen hier:


    Sexualität und Wahrheit. Buch von Michel Foucault (Suhrkamp Verlag)
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    Das tut mir leid, was dir passiert ist.

    Oh, nein, das muss Dir nicht leid tun und war nicht der Grund, warum ich das erzählt habe. Ich wollte nur klarmachen, dass ich Ausgrenzungserfahrungen kenne und nicht wie ein Blinder von der Farbe rede. Ich habe aber meinen Frieden damit geschlossen und würde auch heute kein anderes Leben wählen wollen... im Gegenteil. (:

    Schön, dass du so stark bist, es (gut?) auszuhalten, wenn du mit Ablehnung deiner Person konfrontiert wirst. Liegt sicher auch an deiner buddhist. Praxis, welche Anhaftung an div. Identitäten vermindert?

    Als Sohn einer alleinerziehenden, schwer alkoholkranken Mutter, die ihr lesbisches Coming-out hatte, als ich 12 war, und die ein pathologischer Katzenmessie war, hatte ich sehr viel Übung, mit der Ablehnung meiner Person umzugehen, zumal wir sehr arm wurden, was an dem Kleinstadt-Gymnasium für reiche Jungs und Mädchen, auf dem ich zur Schule ging, wenig angesagt war. :grinsen:


    Mit anderen Worten: Mir muss niemand erzählen, wie sich Ausgrenzung anfühlt. Die Welt funktioniert so auf unzähligen Ebenen. Jeder versucht sein eigenes Grüppchen gegen die anderen abzugrenzen. Jeder und jede klammert sich an seine und ihre "Identitäten" und ist tief verletzt, wenn ein anderer diese Identität infrage stellt oder angreift. Jede Grüppchen- jede Identitätsfixierung grenzt andere Grüppchen und Identitäten aus. Und die größte Gewalt geht immer von der Gruppe aus, die die meiste Macht innehat. Es ist dabei beliebig, durch welche Gegebenheiten oder Wahngebilde eine Gruppe versucht, Identität zu etablieren: Nation, Rasse, Sexualität, Macht, Reichtum, Kultur, Ethik, Weisheit, Religion, etc., etc.. Immer wird es dazu führen, dass andere ausgegrenzt werden. Die "Rechten" grenzen die "Linken", die "Linken" grenzen die "Rechten" aus. Der Buddhismus geht das Problem und das Leiden, das dadurch erzeugt wird, bei der Wurzel an: der Identifikation. Buddha sagt: Das bin ich nicht, das gehört mir nicht, das ist nicht mein Selbst. Und das gilt bezüglich aller Phänomene. Das ist soooo wohltuend! :taenzerin:

    Unsere Gruppe hat als Hauptverantwortlichen einen älteren CIS-hetero Mann. Als Übende kommen neben anderen CIS Heteros: Transsexuelle, Non-Binäre, Schwule, Lesben, Bisexuelle, Polyamore. Bei manchen ist es offensichtlich, bei anderen überhaupt nicht (woher auch).

    Diese ganzen Kategorien... Ich wäre nach diesem System ein älterer CIS-hetero Mann. Dabei hat sich diese Facette meines Daseins im Laufe meines Lebens immer wieder verändert, sodass ich gar keine Lust auf diese Schublade habe und sie für mich ablehne. Aber vielleicht sind heute diese neuen Schubladen aufgrund der systematischen Pathologisierung der verschiedenen Spielarten von Sexualität, wie sie in der Vergangenheit stattfand, notwendig, bis klar wird, dass sich auch dieser Teil der Wirklichkeit allen Kategorien, Definitionen, Erwartungen und Vorstellungen entzieht und entziehen muss. Das Alphabet an Abkürzungen wird nicht reichen, alle Facetten zu erfassen. Das '+' in LGBTQIA+ ist ein guter Anfang.


    Schönes Buch zum Thema: Sexualität und Wahrheit

    Würde Buddha heute lehren, vielleicht hätte er eine Geschichte von Mara zum besten gegeben, wie er Homophobes einzuflüstern versucht. Und die Geschichte würde von einer Person handeln, die Mara erkennt und überwindet.

    Würde es um Statussymbole, gesellschaftliche Stellung, Reichtum, Armut, Erfolg, Jugend, Alter, Krankheit, Tod also um die "üblichen" Leidenschaften und Ängste gehen, wären wir uns vielleicht einig, dass wir es mit Vorstellungen, Verblendungen, dass wir es mit Dukkha zu tun haben. Warum – erst gemeinte Frage – sollte es bei der sexuellen Identität anders sein?


    Vielleicht würde Buddha auch lehren, der Frage und Anhaftung von und an sexueller Identität (wie jeder Form von Identifikation) nicht so viel Bedeutung zuzumessen, bzw. aktiv gegen diese Form von Ich-Macher vorzugehen: Ich bin dies und das, ich bin dies nicht und das nicht. Oder ist die sexuelle Identität eine Kategorie, die sich mit der buddhistischen Lehre nicht fassen lässt, die außerhalb von Samsara existiert?

    Klar kann man dann immer noch sagen "dann geh halt und suche dir einen neuen Arbeitsplatz"

    Nein, kann man nicht. Denn in diesem Fall wird aus einer Befremdung (als persönlicher und moralisch zunächst wertfreier Emotion) eine soziale und sozial koordinierte Ausgrenzung. Und das ist vollkommen unzulässig.

    Das freut mich für dich, dass du das Problem nicht verstehst.

    Ok, dann erkläre es mir, wenn Du magst. Mich befremdet dieser Fokus, weil er mir fremd ist, nicht weil ich ihn ablehne oder er mir persönlich unangenehm wäre. Und weil er mir fremd ist, verstehe ich ihn wahrscheinlich nicht.

    Gurkenhut

    Ist es Deiner Ansicht nach schon ein Fall von struktureller Diskriminierung, wenn jemand queere Menschen nicht mag?


    Letztlich ist es auch die Frage, was jemand eigentlich genau meint, wenn er oder sie sagt, ihm oder ihr seien queere Menschen suspekt. Ist es ein bestimmtes Klischee, eine Vorstellung, eine Projektion oder ein bestimmter Habitus? Wie gesagt, ich kann es nicht gut nachvollziehen, weil ich mit Menschen, die sich als queer bezeichnen, keine Probleme hatte oder habe. Vielleicht kann Hingabe das genauer fassen?


    Mir ist z.B. generell der starke Fokus auf sexuelle Identität fremd, egal bei wem. Wenn ich einen Mann kennenlerne, dem es extrem wichtig ist, als heterosexueller Mann wahrgenommen zu werden, so befremdet oder belustigt mich das etwas. Aber ich kann nachvollziehen, dass diese Fokussierung in manchen Phasen der Selbst(er)findung sehr wichtig sein mag. In einem Retreat hingegen ist es mir persönlich schlicht egal, welcher sexuellen Orientierung mein Nebenmann, -frau, alles dazwischen hat, weil Sex oder Gender beim Retreat für mich einfach keine Rolle spielen.


    Für die meisten meiner Freunde, die sich mit dieser Identitätsfrage herumgeschlagen haben, ist dieses Thema allerdings auch nicht mehr sonderlich zentral. Vielleicht, weil sie Antworten auf Fragen gefunden haben oder weil der Fokus generell nicht mehr auf diesen Dingen liegt.

    void

    Nehmen wir den Fußballfan. Mir ist das Gesaufe und Gegröle unangenehm, sodass ich gerne Reißaus nehmen würde, wenn ich in einer Straßenbahn mit diesen Leuten zusammen sein muss. Zudem verstehe ich überhaupt nicht, was sie so an diesem öden Spiel interessiert. Mich nervt auch diese alkoholsatte Aufdringlichkeit, mit der sie einen immer wieder zulabern.


    Würde aber eine Partei versuchen, die Fußballfans zu verbieten, würde ich für das Recht, Fußballfan sein zu dürfen, auf die Straße, vor Gericht und auch ins Gefängnis gehen, wenn es sein muss. Jemanden bzw. bestimmte Facetten einer Person nicht zu mögen, heißt ja nicht gleich, ihn oder sie zu diskriminieren.


    Ich muss nicht jeden mögen, muss auch nicht mit jedem Wunsch oder Lebensentwurf einer anderen Person einverstanden sein. Ich muss aushalten, wenn jemand Buddhisten, Männer, Künstler oder Boomer völlig bekloppt findet und damit nichts zu tun haben will. Ich muss und kann das aushalten.

    Ein Anrecht auf keine Antwort kriegen, hat man mMn nicht

    Nun ja... es gibt Grenzen. Wenn z.B. die Meinung, queere Menschen in großer Zahl bei einem Retreat nicht zu feiern, sogleich mit einer grundsätzlichen Haltung gegen Ausländer verglichen wird, so ist eine Grenze überschritten, weil der Schritt zur Nazikeule nicht mehr weit ist.


    Ein Klassiker mittlerweile:

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    Ich bin zur Hälfte deiner Meinung

    Glücklicherweise! Wenn alle Menschen der gleichen Meinung wären, wäre das keine Harmonie, sondern Monotonie – nichts ist langweiliger. Wenn Meinungen, Wertmaßstäbe und Lebensweisen verschieden sind, so sind gute Voraussetzungen gegeben, in einen Dialog zu treten. Zumindest, solange eine Gruppe nicht der Auffassung ist, ein Meinungsdiktat über die andere verhängen zu müssen.

    Gurkenhut

    Keine Ahnung, was Du verstanden hast. Warum soll Hingabe denn unbedingt mit queeren Menschen zusammen sein wollen? Wenn ihm oder ihr das suspekt ist, und er/sie äußerst das, dann kann man das doch stehen lassen, ohne gleich ein Thema daraus zu machen. Er/sie hat ja geschrieben, dass er/sie sich in einer Gesellschaft, in der besonders viel queere Menschen zusammenkommen, er/sie sich nicht wohlfühlen würde. Ja, warum auch nicht? Kommen viele queere Menschen zusammen, ist das queer-Sein auch immer wieder Thema. Zumindest ist es in meinem Bekanntenkreis so. Wenn einen dieses Thema aber überhaupt nicht interessiert oder es einem sogar unangenehm ist, so kann und muss man das meiner Ansicht nach akzeptieren.

    Mir macht eher Sorgen, dass sich eine Gesellschaft etabliert, in dem jemand nicht mehr sagen kann, dass er oder sie mit queeren Menschen oder anderen Gruppen, Milieus nichts anfangen kann, ohne sogleich moralisch verdächtig zu werden. Und eigentlich müsste ich jetzt sagen: Ich habe nichts gegen queere Menschen (was auch den Tatsachen entspricht - mir ist es komplett egal, wie sich jemand sexuell definiert oder auslebt), um nicht in den Verdacht zu kommen, moralisch nicht integer zu sein. Ebenso muss ich klarmachen, dass ich für die Unterstützung der Ukraine mit Waffen, für eine multikulturelle Gesellschaft, gegen die AfD, für Israel, gegen Verbrennermotoren, kurz für das bin, was die links-grüne Moral- und Mehrheitsgesellschaft erwartet, um nicht als verdächtig (Rechtsradikal? Querdenker? Putinversteher? Antisemit? Homophob?) zu gelten.


    Glücklicherweise, muss ich schon fast sagen, bin ich von meinem Wesen und Denken her weitgehend links-grün. Wäre ich es aber nicht, so hätte ich einige Probleme in meinem Umfeld, wahrscheinlich auch darüber hinaus. Und das ist nicht in Ordnung. Man muss doch Leute aushalten, die andere Weltsichten und Wertmaßstäbe haben, ohne sie gleich zu verurteilen oder auszugrenzen, zumindest, solange sie friedlich sind und niemanden verletzen. Meinungsvielfalt! Sonst wird die Luft irgendwann sehr stickig... so gesund sie auch riechen mag.