Eine Klausur mit Ajahn Brahmali

  • Als ich zum ersten Mal hörte, dass Ajahn Brahmali* Sutta-Klausuren anleitet, hat mich das zunächst nicht sonderlich interessiert. Ich hatte gerade angefangen zu entdecken, wie Meditation funktioniert, und dass sie tatsächlich auch für mich funktionieren kann, und der Gedanke, dass ich an einer Klausur teilnehmen könnte, in der ich etwas anderes tun würde als meditieren, kam mir nicht in den Sinn. Und das obwohl ich mich bereits seit geraumer Zeit sehr für die Suttas interessierte und auch von Ajahn Brahmalis Stil zu lehren sehr angetan war.


    Bei meiner ersten Klausur mit Ajahn Brahm** in Jhana Grove in Westaustralien geschah es dann, dass eine Frau erwähnte, sie hätte ein paar Monate zuvor an einer Sutta-Klausur mit Ajahn Brahmali teilgenommen, „… und wir haben da sehr viel meditiert!” Da fing ich an, neugierig zu werden.


    Und dann bekam ich meine Chance: Während meiner zweiten Australienreise—diesmal ging es über eine längere Zeit—gelang es mir, mich zu einer “Fröhlichen Sutta-Klausur” mit Ajahn Brahmali im Juni 2016 anzumelden.


    Ich kam von Sydney aus nach Perth, nachdem ich die beiden vorherigen Monate im Kloster Wat Buddha Dhamma in New South Wales zugebracht hatte. Nach der elementaren Ausstattung dieses Klosters war Jhana Grove***, das Klausurzentrum der Buddhistischen Gesellschaft Westaustraliens****, schierer Luxus: Ich hatte mein eigenes Zimmer einschließlich Badezimmer, warmes Wasser zum Duschen, ohne zuerst ein Feuer anzünden zu müssen, eine Toilette mit Wasserspülung… fantastisch! Und außerdem liegt dieser Ort mitten im Busch, in einer ruhigen und friedlichen Umgebung.


    Alles begann mit einer warmherzigen Begrüßung durch Bianca, den “Engel von Jhana Grove”. Sie kannte mich noch, und das will etwas heißen, bei den Hunderten von Menschen, die sie das ganze Jahr über hier empfängt! Sie versorgte mich mit einer zusätzlichen extra-warmen Decke—es war ungewöhnlich kalt!


    Somit waren alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche Klausur gegeben.


    In seinem ersten Abendvortrag machte Ajahn Brahmali deutlich, was er unter einer “Sutta-Klausur” versteht—die bessere Bezeichnung war wohl "Sutta- und Meditationsklausur": Wir lassen uns von den Worten des Buddha in unserer Meditation führen und auch begeistern—mit anderen Worten: Wir nehmen den Buddha zu unserem Lehrer. Ajahns Vorstellung war, dass wir gerade genug studieren, um zu verstehen, wie wir üben sollen, und um Begeisterung zu finden, aber nicht zu viel, so dass die intellektuelle Arbeit uns von der Meditation ablenken würde.


    Unser Lehrer zeigte uns auch auf, was in einer Meditationsklausur unter dem „mittleren Weg“ zu verstehen ist: Weder in sinnlichen Genüssen zu schwelgen noch sich selbst auf irgendeine Art zu quälen. „Die größere Gefahr liegt in der zweiten Möglichkeit“, erklärte er. „Dieses Retreatzentrum bietet kaum Gelegenheit, zu viel in sinnlichen Genüssen zu schwelgen.“ Sinn und Zweck des mittleren Weges, wie er es hier erklärte, ist, den Körper loszulassen. Wenn der Geist zu sehr mit dem beschäftigt ist, was die körperlichen Sinnesorgane uns an Vergnügen bieten, ist der Körper unserer Aufmerksamkeit sehr gegenwärtig, und das gleiche geschieht, wenn wir versuchen, mit Schmerzen sitzen zu bleiben, zu wenig zu essen oder zu schlafen oder Ähnliches. Nur wenn wir mit dem Körper weder übermäßigen Genuss erleben noch Schmerzen, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, kann es geschehen, dass der Körper aus unserer Wahrnehmung verschwindet und wir diese wunderbare innere, geistige Welt erfahren können.


    Das übergreifende Thema dieser Klausur war das „Abhängige Entstehen“, ein Thema, das gewöhnlich als kompliziert und schwer zu fassen betrachtet wird. Ajahn Brahmalis Art, drüber zu sprechen, macht es jedoch recht klar und verständlich. In dieser Klausur hat er nicht versucht, das Thema zu sehr von der intellektuellen oder analytischen Seite anzugehen, sondern mehr von einer praktischen: Was bedeutet das Abhängige Entstehen in unserer Meditationspraxis? Das Wichtigste ist, dass wir hier eine Kausalkette haben, bei der ein Punkt zum anderen hinführt, die mit Unwissenheit beginnt und sich bis zum Leiden fortsetzt. Wir können sehen, wie ausgehend von einer bestimmten Bedingung die nachfolgenden Faktoren sich Schritt für Schritt entwickeln und im Leiden enden, das unser grundlegendes Problem ist. Und nach dem gleichen Muster gibt es andere Kausalketten, die vom Leiden ausgehen und Schritt für Schritt zur Befreiung führen! Mit anderen Worten: All diese Kausalketten helfen uns, zu verstehen, wie unser Problem, das Leiden, zustande kommt und wie es gelöst werden kann. Und wir müssen dazu keine „Supermänner“ oder „Superfrauen“ sein, sondern wenn der Anfang erst einmal gemacht ist, entwickelt sich alles auf natürliche Weise, ohne dass wir viel dazu tun müssten. Genau genommen, ohne dass wir überhaupt etwas dazu tun müssten! Wie der Buddha in AN 11.2 erläutert: „Es muss keine Willenskraft eingesetzt werden… “.


    Das ist die tolle Botschaft der Buddhalehre, und auch die Botschaft dieser Klausur: Es gibt einen Weg, der aus dem Leiden herausführt, und wir alle können auf diesem Weg vorankommen! Und nicht, indem wir uns mit harter Arbeit erschöpfen, sondern indem wir den Ablauf eines natürlichen Prozesses zulassen.


    Unser Ausgangspunkt, so erklärte Ajahn Brahmali weiter, ist die Haltung, die wir zur Meditationsklausur und auch zu jeder einzelnen Meditationssitzung mitbringen. Es ist wichtig, diesen Ausgangspunkt richtig hinzubekommen, damit sich der ganze Entwicklungsprozess entfalten kann. Und welche Haltung ist es, die wir als unseren Ausgangspunkt benötigen? Es ist im Wesentlichen ein Glücksgefühl. Es ist die Art von Glück, wie es sich aus verschiedenen Betrachtungen ergibt, die der Buddha bei mehreren Gelegenheiten erklärt, wie etwa die Betrachtung des Sīla, der Großzügigkeit oder der Drei Juwelen.


    Und das gleiche Glücksgefühl entspringt auch aus der eigentlichen Übung des Sīla, insbesondere der Rückseite der „Sīla-Medaille“. Meistens wird die Vorderseite gelehrt, das ist das, was wir vermeiden sollen: Lebewesen töten, stehlen usw. Aber was ist mit der Rückseite gemeint? Die Rückseite von Nicht-Töten ist Fürsorge für Lebewesen, die Entwicklung von Metta und Mitgefühl für sie. Die Rückseite von Nicht-Stehlen ist Großzügigkeit… und so weiter für alle Ethikregeln.

    Hast du schon einmal deine Freundinnen zum Kaffee oder Tee eingeladen und ihnen bei diesem Anlass einen leckeren Kuchen angeboten, den du womöglich selbst gebacken hast? Und kannst du dich erinnern, wie du dich gefreut hast, als ihnen der Kuchen schmeckte? Diese Art von Freude oder Glück ist es, die aus Großzügigkeit und der Fürsorge für andere hervorgeht! In diesem Sinn ist das Auf-sich-Nehmen der acht Ethikregeln eine sehr wichtige Unterstützung für unsere Meditationspraxis während der Klausur. Und dieser Zusammenhang, dass das Sīla die Voraussetzung für eine erfolgreiche Meditationspraxis ist, zeigt auch, dass der Weg des Buddha nicht alleine auf dem Meditationskissen gegangen werden kann. Je mehr wir außerhalb des Meditationszentrums ein ethisches Leben führen, in dem Sinn, dass wir nicht nur die Vorder-, sondern auch die Rückseite dieser Medaille des Sīla beachten, umso besser sind wir jetzt für die Praxis vorbereitet.


    So gelang es mir auch, meine „spirituelle Depression“ zu überwinden, die mich zu Beginn der Klausur erfasst hatte. Ich befand mich noch in der Genesungsphase einer Erkältung, und außerdem musste ich mich auch an die neue Umgebung erst wieder gewöhnen; dabei geriet ich in eine negative Stimmung mit Gedanken wie „ich werde es auf diesem Pfad nie zu irgendetwas bringen“, „ich bin nicht gut genug“ usw. Mit Hilfe der Unterweisungen, wie sie vom Buddha gelehrt und von Ajahn Brahmali dargelegt wurden, konnte ich diese Stimmung loslassen und fand wieder zu einem helleren Gemütszustand mit Gefühlen von Glück und Frieden. Und letztlich konnte ich die Klausur sogar sehr genießen


    Wenn ich Ajahn Brahmalis Vorträgen zuhörte, gab es eine Sache, die mich immer wieder beeindruckte: Er legte in jeden Satz soviel Freude und Begeisterung hinein, dass die Suttas lebendig zu werden schienen, so als ob der Buddha tatsächlich zugegen wäre! Es war deutlich zu spüren, wie sehr er die Suttas liebt, und diese Liebe und Freude waren ansteckend. Und mit dieser seiner Haltung gab er ein bewegendes Beispiel für das Kultivieren dieser Freude und Liebe, die er ja gerade als den Ausgangspunkt beschrieb, von dem aus sich die Meditation entwickeln kann. Genau das brauchte ich, um aus meiner düsteren Stimmung herauszukommen!


    Hatte ich ein Lieblingssutta in dieser Klausur? O ja, das hatte ich!!


    AN 10.61 Unwissenheit:
    „… Ebenso wie, wenn es oben im Gebirge stark regnet, das Wasser beim Abfließen die Bergschluchten, Klüfte und Rinnen füllt;
    die Bergschluchten, Klüfte und Rinnen, voll geworden, die kleinen Teiche füllen;
    die kleinen Teiche, voll geworden, die Seen füllen;
    die Seen, voll geworden, die Flüsse füllen;
    die Flüsse, voll geworden, die Ströme füllen;
    und die Ströme, voll geworden, das große Meer füllen;
    so wie es also eine ernährende Bedingung für das große Meer gibt, und wie es auf diese Art voll wird;


    ebenso füllt auch der Umgang mit edlen Menschen, voll geworden, das Hören der Guten Lehre.
    Das Hören der Guten Lehre, voll geworden, füllt Vertrauen.
    Vertrauen, voll geworden, füllt weise Betrachtung.
    Weise Betrachtung, voll geworden, füllt Achtsamkeit und Besonnenheit.
    Achtsamkeit und Besonnenheit, voll geworden, füllen die Sinnenzügelung.
    Die Sinnenzügelung, voll geworden, füllt die drei Arten guten Verhaltens.
    Die drei Arten guten Verhaltens, voll geworden, füllen die vier Blickpunkte der Achtsamkeit.
    Die vier Blickpunkte der Achtsamkeit, voll geworden, füllen die sieben Glieder des Erwachens.
    Die sieben Glieder des Erwachens, voll geworden, füllen wahre Einsicht und Befreiung.
    In diesem Sinn gibt es also eine ernährende Bedingung für wahre Einsicht und Befreiung, und auf diese Art werden sie voll.“


    (Deutsch von S. auf der Basis der Übersetzung von Nyānatiloka Mahāthera, adaptiert nach der englischen Übersetzung von Bhikkhu Bodhi / Ajahn Brahmali.)



    Dieses Gleichnis vom Wasser, das alles füllt und überall überfließt, ist so schön und gibt einem das Gefühl, in einem Regen von Segen zu stehen… Und es scheint auch nicht so schwer zu sein, den Ausgangspunkt dieser Kette zu finden, nämlich gute Menschen zu treffen, die den Dhamma erklären, indem sie den Suttas treu bleiben (der Buddha ist schließlich der „edle Mensch“, mit dem man sich treffen sollte). Eigentlich war ich ja gerade mit so jemandem zusammen und hörte eine solche Unterweisung—so empfand ich es. Das bedeutete, dass es auch möglich sein muss, die anderen Faktoren dieser Kette einen nach dem anderen zu entfalten… selbst für mich!


    Im Juni 2017 wird Ajahn Brahmali zwei weitere "Fröhliche Sutta-Klausuren" anleiten: eine in Australien und eine in Deutschland.


    * Ajahn Brahmali: https://bswa.org/teachers/ajahn-brahmali/
    ** Ajahn Brahm: https://bswa.org/teachers/ajahn-brahm/
    *** Jhana Grove: https://bswa.org/location/jhana-grove-retreat-centre/
    **** Buddhistische Gesellschaft Westaustraliens: https://bswa.org/

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  • Danke für diesen Beitrag. "edler Umgang", leider zu selten, ist wirklich Gold wert. Wenn er "weg" ist tut s richtig weh. Als Zennie kann ich dir versichern, dass es nicht zwingend die Sutten braucht, dass "freudige" Anstrengung und Inspiration einkehrt, aber den Buddha-Dharma - das, sozusagen, in Persona.

  • Vielen Dank für den ausführlichen Erfahrungsbericht!


    Ja, Ajahn Brahmali und natürlich sein Lehrer, Ajahn Brahm, sind auch für mich oft inspirierend.
    Und wer nicht weit reisen möchte, kann sich die Dhamma-Talks, Sutta-Besprechungen und sogar einige Retreats auf YouTube anhören und ansehen.


    Bei Ajahn Brahmali fand ich seinen Sprechstil am Anfang gewöhnungsbedürftig, das wirkte auf mich erst mal ein wenig "exaltiert". Aber inzwischen komme ich gut mit seinem Stil zurecht.


    Jedenfalls empfinde ich es so, dass Ajahn Brahm und Ajahn Brahmali zu dem Besten gehören, was die Theravada-Tradition zu bieten hat. Den beiden gelingt es, selbst sehr konservative oder doktrinäre Aspekte der Tradition charmant zu vermitteln. ;)


    Aber statt jetzt darüber zu sprechen, was ich für problematisch halte, möchte ich die inspirierende Seite betonen. Es ist das, was Sabbamitta schildert und erlebt hat: dass eine richtige Praxis begleitet ist von Glücksgefühlen. Von Gefühlen des inneren Friedens und von Freude.


    Ajahn Brahm zitiert häufig die Stelle, in der ein König zum letzten Mal die Sangha des Buddha besucht. Der Buddha fragt ihn, warum es ihm denn so wichtig war zu kommen. Der König antwortet: Weil ich hier stets frohe und glückliche Gesichter sehe.
    Und der Buddha antwortet: Genau das ist zu erwarten, wenn man richtig praktiziert. :)