Der Umgang mit Reue

  • Hallo miteinander,
    ich habe mich nach einem Schicksalsschlag vor einem halben Jahr auch auf den Weg gemacht und habe den Willen mich selber zu erkennen. Mit meinem obersten Ziel innere Freiheit und inneren Frieden zu finden.
    In den letzten Monaten habe ich mich möglichst konzentriert durch Hilfestellungen/Bücher von Matthieu Ricard, dem Dalai Lama, Ayya Khema und Thich Nhat Hanh gearbeitet und viel reflektiert.
    Das Problem besteht aktuell am meisten darin, dass mir zuviele Gedanken / Begrifflichkeiten / Gefühle durch den Kopf gehen. Geduld und Übung….aber manchmal habe ich auch ein Brett vor dem Kopf.
    Gestern Abend zum Beispiel hatte ich einen plötzlichen Geistesblitz. Ich habe irgendwie Mitgefühl immer auch mit Mitleid gleichgesetzt, mir scheinbar nie einen Gedanken zu dem Unterschied gemacht…es war richtig befreiend zu erkennen, dass das (für mich) zwei verschiedene Sachen sind (sein sollten). Mit der ganzen Welt mitleiden, kann ja kein Mensch schaffen. Scheinbar habe ich immer zu sehr mitgelitten (auch mit mir selber), anstatt offen und klar über die Situationen nachzudenken.
    Ich habe mich angemeldet um vielleicht einen Tip zu bekommen, da ich noch ein Brett vor dem Kopf habe, was mir ein wenig Unruhe verschafft. Es geht um Reue.


    Der Dalai Lama beschreibt in einem Buch die vier reinigenden Kräfte:
    - Die Kraft des Rückhalts, durch den Geist der sich ändern möchte
    - Die Kraft der Reue, entsteht aus dem tiefen Bedauern, dass ich empfinde, wenn ich mir meiner eigenen Fehler und ihrer schädlichen Auswirkungen bewusst werde
    - Die Kraft des Entschlusses ist das Versprechen, niemals wieder die gleichen Fehler zu begehen und sein bestes zu geben.
    - Die Kraft der Gegenmittel


    Nun ist für mich Reue innerlich auch mit Selbsttadel, Gewissensbisse, Schuldgefühle (die es ja im Buddhismus gar nicht gibt) verbunden.
    Ayya Khema schreibt immer wieder: „Erkennen, nicht tadeln, ändern“. Wenn ich mich nicht tadele, wie soll ich da Reue empfinden? Dieser Widerspruch sorgt ein wenig für Unruhe.


    Ich habe heute Morgen als ich den Unterschied zwischen Mitgefühl und Mitleid „glaube“ begriffen zu haben, mal eine Übersicht für mich gemacht (Quasi die Gegenmittel). Habe aber keine Ahnung wie ich die Reue einordnen soll.


    Für Hilfe wäre ich sehr dankbar

  • Danke für die Antwort :)


    Deine Gedankengänge leuchten mir absolut ein. Ich stelle jetzt mal einfach in den Raum, dass es eventuell der Übersetzung aus dem Sanskrit oder Pali zum Opfer fiel. Sehr oft gibt es ja Probleme mit den "Wörtern" in der Übersetzung.


    Zitat

    - Die Kraft der (Erkenntnis), entsteht aus dem tiefen Bedauern, dass ich empfinde, wenn ich mir meiner eigenen Fehler und ihrer schädlichen Auswirkungen bewusst werde


    So würde es für mich auch mehr Sinn machen. Reue die Leiden schaft, wäre demnach negativ. Elementar ist die Erkenntnis :)
    Habe heute Morgen mal alle heilsamen Wörter ganz gezielt analysiert und es ist auch spannend zu sehen, wie unterschiedlich in unserer Sprache die Wörter benutzt werden. Das Gefühl was man mit einem ein Wort, ist ja gar nicht 100% dingfest zu machen.

  • Andi:

    Es geht um Reue.


    Sich der Notwendigkeit von Reue bewusst zu sein sowie sie zu spüren (und nicht von ihr laut zu singen bzw. sie zu rezitieren) ist eine Grundlage der Praxis. Es ist daher einfach sie einzuordnen. Je mehr Reue, desto mehr Reue. Eigentliche Reue entsteht aufgrund von eigentlicher Einsicht. Einsicht entsteht aus Reue. Reue entsteht aus Einsicht. Anfängliche, unverständige (sentimentale) Reue ist besser, als gar keine. Affektierte Reue ist schlechter als Schadenfreude.


    Das sogenannte "buddhistische Reuebekenntnis" heißt auf chinesisch und japanisch 懺悔文, chin.: chànhuǐ wén, bzw. jap.: sange mon


    http://de.wikipedia.org/wiki/Buddhistisches_Reuebekenntnis


    Die deutschen Übersetzungen lauten ungefähr so:


    "Ich habe in der Vergangenheit alle möglichen schlechten Taten vollbracht. Sie haben alle ihren Ursprung in der Gier, der Wut und der Torheit. Aufgrund des Körpers, des Mundes und des Geistes entstehen sie. Ich bekenne jetzt sämtliche Schuld und bereue."


    "Alles schlechte Karma, von mir begangen von altersher, aus meiner anfanglosen Gier, aus meinem Zorn, aus meinem Wahn, geboren aus meinem Körper, aus meiner Rede, aus meinem Denken, ich erkenne es jetzt und läutere mich ganz."


    Chinesischsprachige Rezitation: Wo xi suo zao zhu e ye jie you wu shi tan chen chi cong shen yu yi zhi suo sheng yi qie wo jin jie chan hui
    http://www.youtube.com/watch?v…L1A196E2992C3557E&index=4


    Kongjiazhong

  • Hallo und herzlich Willkommen Andi,
    für mich ist Reue ein tief empfundenes Gefühl der Trauer. Solange ich dieses nur achtsam "sehe" und nicht wegdrücke, weil ich es vielleicht nicht fühlen will, ist es für mich Reue. Sobald ich aber beginne, mich zu verurteilen, gar zu gedanklich quälen wird daraus ein Konstrukt, das mir meine Kraft raubt und mich hindert, mich wirklich zu verändern.


    Still empfundene Trauer über Geschehenes und von mir (mit-)verursachtes Leiden, durch Reflektieren erkannte und übernommene Verantwortung führen m.E. zur Veränderung und zum Abbau negativen Karmas. Wenn meine Tochter heute ähnlich mit mir spricht, wie ich mit meiner Mutter vor mehr als 40 Jahren, dann sehe ich, dass "meine Reden böser" waren als die, über die ich heute verletzt sein könnte, dann empfinde ich Trauer darüber, dass ich meiner Mutter nicht mehr so liebevoll begegnen kann, wie es meine Tochter heute bei mir noch kann - und was den Abbau des Karmas anbelangt, bin ich meiner Tochter nicht böse, wenn sie sich mal im Ton vergreift oder egoistisch denkt. Ich sehe das als meine Praxis des Dienens, um mein negatives Karma meiner Mutter gegenüber abzubauen.
    Jeder laute Impuls, jedes laute Klagen über mich führt in neue Hindernisse, z.B. Wut, Depression, Selbstmitleid ...
    _()_ Monika

    Ohne mich ist das Leben ganz einfach

    Ayya Khema

    Oder anders ausgedrückt: Die Beherrschung der Gedanken ist der Weg zum Glück (SH Dalai Lama)

  • Andi:

    Ayya Khema schreibt immer wieder: „Erkennen, nicht tadeln, ändern“. Wenn ich mich nicht tadele, wie soll ich da Reue empfinden? Dieser Widerspruch sorgt ein wenig für Unruhe.


    Oh, mein Lieblingsspruch von Ayya Khema. Hatte ich zeitweise im Büro hängen.


    Reue hat mit Tadel nichts zu tun.
    Reue ist ein Gefühl, ein körperliches Empfinden von Schmerz.
    Tadel kommt aus dem Denken.


    Wenn du die Reue SPÜRST, d.h. dieses körperliche Missempfinden nicht wegdrückst, sondern voll bewusst werden lässt, verändert sich dein Handeln von selbst.


    Dieses körperliche Empfinden kommt dann zum Vorschein, wenn man aufhört, über die eigenen Fehler hinwegzuargumentieren. Aufhört, z.B. sich zu rechtfertigen, oder Erklärungen zu suchen. Aber auch aufhört, sich lauthals an die Brust zu schlagen, sich mit Selbstvorwürfen aus der Affäre zu ziehen...


    Fehler gemacht?
    Fehler gesehen?
    Schmerz gespürt?


    Das ist Reue.


    Und weil man diesen Schmerz wirklich nicht will, verändert tatsächlich empfundene Reue das Handeln sehr effektiv.

  • Es ist jedenfalls unheilsam sich zu quälen. Das entspricht nicht dem Gebot von Metta. Manche übersetzen es sich mit Freundlichkeit, mit Güte, mit Wohlwollen, manche mit liebevoller Güte. Hier steht Liebende Güte. : http://de.wikipedia.org/wiki/Brahmavihara. Wer zu einem strengen Tadel neigt, sollte auf jedem Fall auch Metta-Kontemplation üben - zusammen mit der Achtsamkeitsmeditation, weil er zu starken Urteilen neigt (m.M.)Wer zu starkem Selbstmitleid neigt, übt sich wohl am besten in Gleichmut. Es ist auf jeden Fall gut, sich selbst pöa pö kennen zu lernen. Manches ist Prägung. Wir verinnerlichen die Stimmen und die Haltung der Erwachsenen und gehen dann selber so mit uns um. Das sind Fremdkörper. In der Psychologie nennt man diese "Stimme" oder "Stimmung" das Über-Ich. Dieses und das "gewöhnliche" Ego, fällt man auch ganz gut durch Niederwerfungen. Das Sangemon ist auch sehr hilfreich, wenn es täglich rezitiert wird. Selbstverkleinerung ist so schädlich wie Selbsterhöhung. Dazwischen liegt der mittlere Pfad, der nicht konzeptuell betreten werden kann.

    Honen Shonin: "Weil es den Übenden in der heutigen Zeit aber gut geht, finden sie Einschränkungen schwer."

  • al-Nuri:

    Das entspricht nicht dem Gebot von Metta.


    Weil wir hier im Anfängerbereich sind: Nur am Rande der Hinweis, dass der Begriff "Gebot" falsch aufgefasst werden könnte. Es gibt im Buddhismus keine "Gebote" wie etwa im christlichen Sinne.


    Jojo:

    Reue ist ein Gefühl, ein körperliches Empfinden von Schmerz.


    Ich würde ergänzen: Reue kann auch ein psychischer (geistiger) Schmerz sein, der umso intensiver ist je größer die Anhaftung daran ist.

  • Ich danke Euch allen :)


    Nach ein paar Tagen drüber nachdenken, erkenne ich glaube ich den Unterschied.
    Ich habe "Ehrliche Reue" zu den Positiven heilsamen Punkten genommen, wobei in diesem Kern genau die Gradwanderung besteht. Immer wieder achtsam "erkennen", wenn man sich Vorwürfe macht und dass ersetzen. Möglichst durch Mitgefühl für sich selber und Geduld/Gelassenheit.
    Wenn man zu der Einsicht gekommen ist, dann auch zielstrebig an der Veränderung arbeiten.


    Durch diese Schritte habe ich noch relativ unbewusst im letzten Jahr meine Ernährung umgestellt, mit Freude angefangen Sport zu treiben (beides den Körper achten). Generell achtsamer mit mir umgehen, weil ich erkannt habe, wie ich das Geschenk was mir von wem auch immer gegeben wurde "missachtet" habe. Habe auch mit viel Emotion "bereut", aber Vergangenheit ist Vergangenheit. Jetzt kann ich was ändern.


    Ein gutes Beispiel woran ich derzeit bei mir arbeite:
    Zigaretten, eines der Laster dass ich nach 20 Jahren endlich loswerden will. Der Entschluss ist da, die Einsicht dass es falsch ist auch. Habe von über 30 Zigaretten auf 15 reduziert, rauche nur noch Biotabak mit Biofiltern, nehme mir also Zeit und rauche nicht mehr unachtsam ohne es zu merken (vorher war plötzlich immer der Aschenbecher voll). Ich will aufhören, aber wenn ich mich "kasteie" und mir selber Vorwürfe mache, warum es noch nicht klappt, füge ich mir selbst Leid zu. Ich vermute da fehlt noch ein Tick Einsicht und Reue.


    Hatte auch mal recherchiert was der Buddhismus zum rauchen sagt...manche Meister sehen da ein ganz großes Übel, weil man seinen Geist nicht im Zaum halten kann.


    Interessant war aber ein Zen-Vergleich wo 2 Schüler ihren Meister dazu befragen:
    - Der eine fragt: "Darf ich beim meditieren rauchen?" ---> Daraufhin entlässt der Meister sofort seinen Schüler
    - Der andere fragt: "Darf ich beim rauchen meditieren?" --> Der Meister: "Das ist der Weg zur Erleuchtung"
    (War nicht wortwörtlich so, aber dem Sinn nach).


    Aktuell sprech ich mir Mut zu, dass ich beim "achtsamen Rauchen" auch sehr gute Erkenntnisse zwischendurch habe. Ich rauche nicht mehr um mich von Abzulenken oder aus Frust, es ist auf jeden Fall schon mal in die Richtung bewusster Genuss mit der Einsicht: "Ich will es ändern".
    Alles bestimmt auch ausreden meines Egos...aber die Tendenz zur Erkenntnis ist da :D
    Drückt mir die Daumen ;)

  • @ Andi: Ich drück Dir die Daumen, aber dieses Mondo muss ausgedacht sein, vielleicht ein Witz auf das mit dem Suttenstudium oder gar ne Persiflage. Ne kreative Ausrede für "genußvoll rauchen". Kann man auf alles andere Unheilsame, karmische Zwänge/Gewohnheiten auch anwenden...neigt sich dann wohl eher zum: "Hängen an Riten und Regeln überwinden". Ist aber vor der Zeit, wie "den Esel von hinten aufzäumen".


    Zur "positiven" Reue: Schamgefühl und Gewissensscheu ( so heißt das in den Sutren ) ist heilsam; Tadelsucht unheilsam. Alles in allem kriegt man das aber selber auf dem Weg heraus, halt durch Gegenwärtigkeit, und weil sowieso alles Heilsame Bestreben ( sich Besinnen ) von der Buddhanatur ausgeht.

    Honen Shonin: "Weil es den Übenden in der heutigen Zeit aber gut geht, finden sie Einschränkungen schwer."

  • Andi:

    rauche nur noch Biotabak mit Biofiltern


    Kleiner Tipp. Auch dabei wird Tabak verbrannt, das Hauptproblem von Zigaretten. Tabak -Teer - Lunge schwarz. Egal ob Bio oder nicht.

  • guten morgen und willkommen, Andi


      "Reue" ist ein künstlicher Begriff, den man dir von Außen eingegeben hat (aus Gründen die man sich schon vorstellen kann :->)
      ...von selbst wärst du doch gar nicht auf sowas gekommen.
      hm?


  • Andi:


    Durch diese Schritte habe ich noch relativ unbewusst im letzten Jahr meine Ernährung umgestellt, mit Freude angefangen Sport zu treiben (beides den Körper achten). Generell achtsamer mit mir umgehen, weil ich erkannt habe, wie ich das Geschenk was mir von wem auch immer gegeben wurde "missachtet" habe. Habe auch mit viel Emotion "bereut", aber Vergangenheit ist Vergangenheit. Jetzt kann ich was ändern.


    Hallo Andi,
    mein Leben lang kämpfe ich schon mit diesem Problem. Allmählich bekomme ich es in den Griff. Vielleicht aber nur deshalb, weil die Motivation heute eine andere ist als früher. Früher wollte ich gut aussehen, heute will ich gesund sein. Und es geht mir definitiv richtig gut. Ich wiege weniger als vor 10 Jahren und fahre so oft wie möglich mit dem Fahrrad, z.B. sogar zum Einkaufen. Das spart Benzin, kostet keine Mitgliedschaft und ich bin an der frischen Luft (ich wohne auf dem Lande :D ).


    Zitat

    Aktuell sprech ich mir Mut zu, dass ich beim "achtsamen Rauchen" auch sehr gute Erkenntnisse zwischendurch habe. Ich rauche nicht mehr um mich von Abzulenken oder aus Frust, es ist auf jeden Fall schon mal in die Richtung bewusster Genuss mit der Einsicht: "Ich will es ändern".
    Alles bestimmt auch ausreden meines Egos...aber die Tendenz zur Erkenntnis ist da :D
    Drückt mir die Daumen ;)


    Mit dem Rauchen konnte ich nach vielen Anläufen vor über 6 Jahren aufhören. Mir hat dabei geholfen, dass ich mir diese vier Dinge immer wieder in den Kopf hämmerte:


    Es schmeckt nicht,
    es stinkt,
    es kostet Geld und
    macht obendrein noch krank.


    Zuhilfe kam mir allerdings auch das Rauchverbot in den Restaurants. Mein psychisches Bedürfnis, in fröhlicher Runde bei Wein und nach gutem Essen eine zu qualmen wurde durch den Gang nach draußen erheblich eingeschränkt. Ich finde es noch heute ziemlich bekloppt, die Freunde oder Verwandte zu "verlassen", um draußen eine zu qualmen.
    Mein Mann hat vor 2 Jahren aufgehört. Wir haben vor zwei Jahren auch unser Haus innen "restaurieren" lassen. Die Maler-Kosten für das Wohnzimmer waren doppelt so hoch wegen der verrauchten Tapeten. :grinsen:
    _()_ Monika

    Ohne mich ist das Leben ganz einfach

    Ayya Khema

    Oder anders ausgedrückt: Die Beherrschung der Gedanken ist der Weg zum Glück (SH Dalai Lama)