Umgang mit dem Leid der Wesen

  • Hallo zusammen, auch wenn die Zufluchtnahme unabhängig von der jeweiligen Strömung (Therava/Mahayana) erfolgt, so habe ich aufgrund meiner bald stattfindenden Zufluchtszeremonie den tibetischen Buddhismus für mich entdeckt. Deshalb schreibe ich in diesem Themenbereich. Wenn unpassend oder redundant, bitte verschieben 🙏🏻


    Es geht um folgende Situation: Seit Beginn des buddhistischen Weges, aber enorm verstärkt seit Beginn meiner Praxis, sehe ich, wie sehr die Menschen meines unmittelbaren und entfernten Umfeldes, ja, die ganze Welt leidet. Ob in der Familie, Partnerschaft, beruflichen Umgebung oder anderswo - ich sehe mittlerweile bei (fast) allen, gleich, wie sie sich auch verhalten mögen, immer wieder das durchblitzen, was bei mir ebenfalls vorhanden ist: Der Wunsch, glücklich zu sein und nicht zu leiden.


    Wenn ich nach einigen Malas von "Om Mani Peme Hung" die Visualisationsmeditation des "Verbundenheits-Scans" durchführe und an Menschen denke, ob nahestehend oder fremd, tauchen Bilder auf, wie diese Menschen leiden und weshalb sie sich in einer Situation z. B. distanziert, aggressiv oder arrogant verhalten haben. Ich merke dann: Traurigkeit ist in mir. Gleichzeitig verspüre ich eine starke Motivation, aufgrund dieses allgegenwärtiges Leidens für all diese und andere Menschen nicht vom Weg abzukommen.


    Wie geht ihr mit solchen Emotionen um? Gibt es, von Tonglen abgesehen, noch andere Methoden?


    _()_ :mala: :rad:

  • Hallo LobsangDargye,

    einerseits mache ich mir bewusst, für wen und wieviel Verantwortung ich trage, um aus meinem gefühlten Pflichtgefühl rauszukommen, dass ich was dagegen tun müsste und mache mir auch klar wie stark Menschen sind Dinge auszuhalten und positiv mit umzugehen.

    Eine zweite Sache ist die Übung von Mitfreude, die den Fokus bewusst auf schöne Dinge lenkt (was aber harte Arbeit mit dem eigenen Ego sein kann).

    Liebe Grüße

    Gurkenhut

  • Umgang mit dem Leid der Wesen.

    Wesen sind bei mir alle, Menschen sind eine Ausnahme. Menschen leiden aneinander, sei es durch Freude oder Schmerz. Das kann ich für mich klären, indem ich mitfühle und mich erkenne, wie ich an dem Leiden beteiligt bin. Das führt dazu, dass ich, wo immer es mir möglich ist, mich nicht schadend verhalte.


    Das Leiden der Wesen, wird ihnen nur durch Menschen zugefügt und auch da versuche ich wo immer es möglich ist diese Handlungen nicht zu unterstützen oder zumindest mich nicht daran zu beteiligen, immer mit mir mitfühlend, weil ich nicht alles Leiden der Wesen durch Menschen verhindern kann, nur mein Leid zufügen kann ich vermindern.


    Es gibt mit der Übung einen inneren Frieden bei mir, den darf ich nicht ergreifen/festhalten, denn dann riskiere ich meine Fähigkeiten: Mitgefühl, Mitfreude, Gelassenheit und Wohlwollen und falle von Glücklich immer wieder in Trauer und umgekehrt.

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  • Hallo LobsangDargye,

    einerseits mache ich mir bewusst, für wen und wieviel Verantwortung ich trage, um aus meinem gefühlten Pflichtgefühl rauszukommen, dass ich was dagegen tun müsste und mache mir auch klar wie stark Menschen sind Dinge auszuhalten und positiv mit umzugehen.

    Eine zweite Sache ist die Übung von Mitfreude, die den Fokus bewusst auf schöne Dinge lenkt (was aber harte Arbeit mit dem eigenen Ego sein kann).

    Liebe Grüße

    Gurkenhut

    Das ist ein wertvoller Punkt mit dem Prüfen der Verantwortung bezüglich des gefühlten Pflichtgefühls. Streng genommen bin ich ja nur für mein Handeln verantwortlich. Ich kann (bzw. muss) niemanden "retten", wenn man so will. Kannst du das mit der Mitfreude noch ein wenig ausführen?

  • Auch dir ein herzliches Danke für die wertvollen Impulse! Ja, insbesondere das eigene Verhalten und größtmögliche Reduzierung/Übung in Abstehen von schadhaftem Verhalten hat eine enorme Bedeutung. Wie ist es aber z. B., wenn ich sehe, dass sich jemand schadhaft verhält, sei es aus Unwissenheit, Ignoranz oder Verblendung (z. B. Beleidigungen, körperliche Gewalt, selbstschädigendes Verhalten)? Soll ich diese Person also nicht aktiv daran hindern?

  • Ich selbst hab das nur dann getan, wenn ich mich nicht gefährdet habe oder Verbündete hatte.

  • Schaffe dir einen Tempel im Herzen, der zwar offen für die Welt ist, aber nicht alles darf in diesen Bereich.


    Kreiere dort kein Schlachtfeld, sondern einen Platz voll von liebender Güte.


    Dein Mitgefühl und deine Sorge um die Welt ehrt Dich, aber bevor Du eine wirkliche Hilfe bist, musst Du dort Heilung, Ruhe und Frieden finden, wo die ganzen Probleme der Welt entstehen, nämlich in Dir.


    Die Welt ist weder Gut noch Böse, Fair oder unfair. Sie ist wie sie ist, und durch die Vergänglichkeit muss sich alles immer wieder ändern.


    Das ganze Universum ist für mich nicht mehr, als ein Geistesmoment der mich gerade bewegt.

    Ich habe nicht viel Einfluss auf die Welt, aber man ist dem ganzen nicht hilflos ausgeliefert.


    Früher wollte ich die Familie und Freunde zum Buddhismus bringen, den Tieren helfen, aber das hat so nicht funktioniert.

    Das Leiden in mir wurde größer und größer.


    Eines Tages saß ich auf dem Kissen und sah die Hilflosigkeit und die Wut.

    Aber ich wusste auch, dass ich diese Sachen nicht ergreifen muss. Zum ersten Mal habe ich eine Freiheit des Herzens erlebt.


    Bevor man der Welt helfen kann, sollte man verstehen was und wer man ist.


    Ich helfe heute einigen Menschen, indem ich meine Ruhe und meinen Frieden mit ihnen teile.


    Wenn du den Fels in der Brandung in dir gefunden hast, dann kannst du andere Wesen helfen.


    Man sollte ein gewisses Maß an innerer Freiheit von Trauer, Hass, Wut, Freude, Liebe erlangt haben, bevor man sich dieser noblen Aufgabe widmet.


    Wie gehe ich mit solchen Emotionen um?

    Ich verwechsele die Wolken nicht mit dem Himmel, und den Himmel nicht mit dem Universum, und das Universum nicht mit dem Geist.


    Sila, Samadhi geben mir die nötige Kraft für den Weg.


    Mach es dir nicht zu schwer.

    Versuche das Leiden für dich und andere zu vermindern, teile deine Liebe mit jedem der sie haben möchte und braucht.

    Aber kreiere keinen neuen Krieg in der Welt.


    Da ist Leiden, Freude, Hass, Angst usw, aber niemand der diese Dinge erlebt.


    Verstehen, Lieben, Loslassen und immer wieder diese Quelle erforschen, dann wirst Du Frieden finden.



    LG Martin

  • Lieber LobsangDargye ,


    Seit Beginn des buddhistischen Weges, aber enorm verstärkt seit Beginn meiner Praxis, sehe ich, wie sehr die Menschen meines unmittelbaren und entfernten Umfeldes, ja, die ganze Welt leidet.


    mir geht es ähnlich wie dir....Durch die buddhistische Praxis (und die dadurch gesteigerte Achtsamkeit?) nehme ich das Leiden (nicht nur) der Menschen in der Welt stärker wahr. Ich fing allerdings (2017) mit Theravada-Buddhismus, wie ihn Ayya Khema lehrte, an, d.h. der Fokus lag zunächst auf einem selbst, getreu der Erkenntnis, dass man Anderen nicht helfen kann, bevor man selbst Frieden in sich gefunden hat.

    immer wieder das durchblitzen, was bei mir ebenfalls vorhanden ist: Der Wunsch, glücklich zu sein und nicht zu leiden.

    Der Dalai Lama lehrt ja, dass genau diese Einsicht, die Voraussetzung für Mitgefühl mit den "Wesen" ist. Ein Grund zur Freude!

    Viele müssen lange üben, um das Mitgefühl in sich hochzubringen (U. Richards nannte dies mal "künstliches Anpraktizieren").

    Traurigkeit ist in mir. Gleichzeitig verspüre ich eine starke Motivation, aufgrund dieses allgegenwärtiges Leidens für all diese und andere Menschen nicht vom Weg abzukommen.

    Die Traurigkeit registriere ich auch noch oft in mir. Sie zeigt, dass man sich wohl zu stark identifiziert mit dem Leiden der Anderen (weil ich mein eigenes noch nicht bewältigt habe?) und ein Gefühl der Ohnmacht angesichts des Ausmaßes empfindet....

    Wenn dir die Traurigkeit (u.a.) zu der starken Motivation verhilft, den Weg weiterzugehen, hat sie doch einen Sinn, so kannst du sie annehmen und auch wieder loslassen. Emotionen kommen und gehen auch wieder, wenn man sie nicht festhält, sich hineinsteigert...


    Alles Gute für deinen Weg!


    Liebe Grüße :) _()_

    Wirklich liegt alle Wahrheit und alle Weisheit

    zuletzt in der Anschauung. (Arthur Schopenhauer)


    Oh wünsche nichts vorbei und wünsche nichts zurück!

    Nur ruhiges Gefühl der Gegenwart ist Glück. (Friedrich Rückert)

  • Kannst du das mit der Mitfreude noch ein wenig ausführen?

    Mitfreude kann man üben wie Güte oder Mitgefühl, indem man es langsam auf verschiedene Personengruppen ausdehnt (man selbst, geliebte Personen, neutrale Personen, als schwierig empfundene Personen,...). Sich darüber freuen zu können, dass wer anderes was Schönes hat, vielleicht sogar genau das, wonach ich mich gerade sehne, macht das Leben schöner und wendet den Fokus aktiv auf die freundliche Seite des Lebens. Kann aber auch ziemliche Arbeit mit dem eigenen Neid/ dem Ego sein. (Vielleicht will man jemanden auf Grund gewisser Vorkommnisse eigentlich zum größten Depp der Menschheit erklären und dann ist der so anfangsverliebt in seinen neuen Freund, oder ganz vernarrt in sein süßes Baby, vielleicht hat er aber auch nur ein Stück Sahnetorte in der Hand, Zeit für einen Spaziergang in der Nachmittagssonne oder für die Sauna, oder einen guten Freund zum reden oder lachen, oder eine Lohnerhöhung bekommen oder gar den Job, auf den man sich auch beworben habe. Alles schön für ihn. Kann man sich mitfreuen mit ein bisschen Übung, statt nur das Leid wahrzunehmen.)

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