ZitatAlles anzeigen"Ihr Bhikkhus, so geläutert und klar diese Ansicht auch ist, wenn ihr euch daran klammert, sie festhaltet, sie auf ein Podest stellt und wie einen Besitz behandelt, würdet ihr dann das Dhamma verstehen, von dem gelehrt wird, dass es einem Floß gleiche, das zum Übersetzen, nicht zum Festhalten da ist?"
"Nein, ehrwürdiger Herr."
"Ihr Bhikkhus, so geläutert und klar diese Ansicht auch ist, wenn ihr euch nicht daran klammert, sie nicht festhaltet, sie nicht auf ein Podest stellt und nicht wie einen Besitz behandelt, würdet ihr dann das Dhamma verstehen, von dem gelehrt wird, dass es einem Floß gleiche, das zum Übersetzen, nicht zum Festhalten da ist?"
"Ja, ehrwürdiger Herr."
Majjima Nikaya, 4, 38, 14 nach Zumwinkel Band 1, S. 409
Für mich persönlich sind die verschiedenen Traditionen, aber auch die historischen Veränderungen innerhalb der Traditionen dem Bemühen geschuldet, immer wieder neue und verständliche Worte für die eine Wirklichkeit zu finden, die der Buddha (und die Buddhas vor ihm und nach ihm) gelehrt hat. Wirklichkeit ist nicht Sprache. Keine zu Sprache und Metapher abstrahierte Erfahrung wird je der Wirklichkeit entsprechen können. Und Sprache ist immer nur ein schwacher und trügerischer Schatten der Wirklichkeit. Die Sprache ist nur so lange nötig als Floß, bis jemand die Wirklichkeit erfahren hat. Die Erfahrungen, von denen die Traditionen berichten, sind immer dieselben, die Metaphern, Gewichtungen und Methoden auf dem Weg dahin können sehr verschieden sein. Jeder Mensch und jede Kultur wird für diese Erfahrungen andere Worte finden und – was vielleicht noch wichtiger ist – Menschen und Kulturen werden andere Worte und vielleicht auch andere Übungen benötigen, um überhaupt Zugang dazu zu finden. Ist aber ein Zugang über die reine Erfahrung gelungen, liegen die Bedeutungen aller Texte, die diese Erfahrungen beschreiben, offen zutage, da sie immer wieder dasselbe bezeichnen, auch wenn sie vorher, vor der Erfahrung, komplett unterschiedliche Dinge zu beschreiben scheinen. Daher bin ich froh über all die Menschen in der Geschichte des Buddhismus, die immer wieder neue Dharmatore gefunden haben, mögliche Zugänge zur Erfahrung dessen, was der Buddha gelehrt hat. Es sind unterschiedliche Perspektiven und Wege, die alle in die Befreiung münden. Jede Perspektive für sich offenbart andere Aspekte der Wirklichkeit, sodass mit den verschiedenen Traditionen und Blickwinkeln ein ungeheurer Reichtum an Beschreibungen und Techniken zusammengekommen ist, der uns durch all die Übersetzungen und Dialoge und nicht zuletzt durch die heute lebenden und lehrenden Lehrerinnen und Lehrer zugänglich wird. Der Begriff "stille Post" wird diesem Bemühen bei weitem nicht gerecht. Im Gegenteil: gerade weil die buddhistische Lehre bis heute Menschen diese Erfahrungen ermöglicht, wird es auch weiterhin immer wieder neue Perspektiven geben. Und das bedeutet lebendiges Wachstum – im Gegensatz zu einer toten Buchreligion, deren Erfahrungsdimension verloren gegangen ist.