Ich bin ein religiöser Mensch – tief in der Religion verwurzelt. Im Buddhismus finde ich die Quelle, aus der Religion entspringt, am klarsten und deutlichsten. Ich finde darin die Essenz des Religiösen. Religion entspringt einer Quelle, jede Religion, jede Tradition derselben Quelle. Die Quelle ist nicht die Religion. An der Quelle kann ich die Religionen vergessen. Ich lehne Dogmen ab und all das, was "man glauben muss", um zum Club zu gehören. Aber ich glaube. Bis in die tiefste Faser meines Wesens glaube ich. Es ist kein Glaube, der auf Vertrauen, sondern ein Glaube der aus der Erfahrung von unmittelbarer Präsenz dessen hervorgeht, über das ich nicht reden kann, ohne es zu verdecken und zu zerbrechen.
Der Glaube befreit mich aus dem Gefängnis der Diskurse. Der Glaube ist der Motor für den totalen Zweifel. Der Glaube erkennt nichts an, außer dem Gebiet jenseits aller Diskurse und Meinungen, außer der Quelle. Der Dharma, die Lehre des Buddha, ist ein Tor hin zum Bereich des Hierophanen, des heiligen Bereichs. Er heiligt jeden Augenblick, jede Pflanze, jede Wolke, jedes Gesicht, jedes Insekt. Der heilige Bezirk hat keinen Ort, aber er durchdringt jeden Winkel der Welt. Das Ich, mein, mich verschwindet darin – endlich – nach all der Wirrnis und all dem Irrsinn, all dem Streben und Wollen.
Die heiligen Schriften sind voll von Metaphern und Versuchen, diesen Bereich und den Weg dorthin zu beschreiben. Ich weiß, dass sie alle die Wahrheit sprechen, jede auf ihre Weise, jede in ihrer Zeit und Sprache. Ich weiß, dass das, was sie nicht zu fassen vermögen in Text und Bild, real ist, und dass auch nur das den Begriff Wirklichkeit verdient. Religion zeigt den Weg zur Wirklichkeit, zur Quelle des Realen und Unaussprechlichen. Die Bilder und Metaphern sind für mich klar und völlig eindeutig, seit ich einmal in DAS gestolpert bin, worüber sie reden. Davor sind sie immer in tausende von Splittern zerfallen – ein jeder Splitter Anlass zu Zweifel, Häme und Verneinung, stumm, tot, unglaubhaft. Der heilige Bezirk wird in der Stille sichtbar, in der Freiheit von Angst und Wunsch, von Hoffnung und Erinnerung, von gestern und morgen. Es ist nicht leicht, dort hinzukommen, obwohl er alle Dinge durchstrahlt.
Heute ist es noch schwerer geworden, denn Stille und Freiheit von Wunsch, Angst und Hoffnung sind selten und sehr kostbar. Darum gibt es auch immer mehr Menschen, die die Religion davon befreien wollen, indem sie sich von der Religion befreien wollen. Die Religion zeigt den Weg zu dem, über das nicht gesprochen werden kann. Der Buddhismus ist konsequent in seine Methode der Negation, daher erscheint er nihilistisch. Dabei zeigt er nur auf, was DAS alles nicht ist, um eine Ahnung zu erzeugen und eine Spur zu legen. Er erzählt Geschichten und Märchen, Methoden und Wege. Auch das Christentum kennt diese Erzählungen und der Islam. Traurig, wenn das Religiöse aus unserer Welt verschwindet, weil immer mehr Menschen den Wegweisern nicht mehr glauben wollen und den Weg nicht mehr finden können. Schließlich bleiben nur noch Skandale, leere Gotteshäuser und der Verdacht, dass das alles Geldverschwendung ist und auf den Müll gehört. Damit geht der kostbarste Weg verloren, den Menschen gehen können. Darum finde ich es besser, Religionen wieder zugänglich zu machen, die Quelle wieder zu öffnen, statt mit dem Vorwand der Säkularisation, der Aufklärung und der Rationalität die Religionen ihrer Kraft zu berauben, den WEG zu weisen.