Manchmal lässt Mitgefühl auch Blut fliessen

  • In der Lehrrede an Prinz Abhaya (MN 58) findet sich folgende Geschichte:


    Bei dieser Gelegenheit lag ein junges, zartes Kleinkind unbeholfen auf dem Schoß des Prinzen Abhaya. Da sagte der Erhabene zum Prinzen Abhaya: „Was meinst du, Prinz? Wenn dieses Kind ein Stöckchen oder einen Kieselstein in den Mund stecken würde, während du oder dein Kindermädchen nicht darauf aufpaßt, was würdest du dann mit ihm anfangen?“


    „Ehrwürdiger Herr, ich würde es herausnehmen. Wenn ich es nicht sofort herausnehmen könnte, würde ich seinen Kopf in die linke Hand nehmen, und indem ich einen Finger der rechten Hand krümme, würde ich es herausnehmen, auch wenn dabei Blut flösse. Warum ist das so? Weil ich Mitgefühl für das Kind habe.“


    „Ebenso, Prinz,

    • Worte, die der Tathāgata als unwahr, falsch und nicht nützlich erkennt und die auch anderen unwillkommen und unangenehm sind: Solche Worte äußert der Tathāgata nicht.
    • Worte, die der Tathāgata als wahr und richtig, aber nicht nützlich erkennt, und die auch anderen unwillkommen und unangenehm sind: Solche Worte äußert der Tathāgata nicht.
    • Worte, die der Tathāgata als wahr, richtig und nützlich erkennt, aber die anderen unwillkommen und unangenehm sind: Für den Gebrauch solcher Worte kennt der Tathāgata den richtigen Zeitpunkt.
    • Worte, die der Tathāgata als unwahr und falsch erkennt, aber die anderen willkommen und angenehm sind: Solche Worte äußert der Tathāgata nicht.
    • Worte, die der Tathāgata als wahr und richtig, aber nicht nützlich erkennt, und die anderen willkommen und angenehm sind: Solche Worte äußert der Tathāgata nicht.
    • Worte, die der Tathāgata als wahr, richtig und nützlich erkennt und die anderen willkommen und angenehm sind: Für den Gebrauch solcher Worte kennt der Tathāgata den richtigen Zeitpunkt.

    Warum ist das so? Weil der Tathāgata Mitgefühl für die Wesen hat.“

  • würde ich es herausnehmen, auch wenn dabei Blut flösse. Warum ist das so? Weil ich Mitgefühl für das Kind habe.“

    Ja, manchmal kann Mitgefühl auch sehr "hart" sein, gerade im körperlichen Bereich. Und nicht immer ist die Sache so klar und eindeutig einzuschätzen, wie in diesem Beispiel mit dem Kleinkind.

    Mein Bruder arbeitet als Notfallsanitäter und wurde zu einer über 90-jährigen Frau mit Herzstillstand gerufen - sie hatte "es" (den leidvollen Tod) also quasi schon "hinter sich" und war bewusstlos. Nun reanimierte mein Bruder diese Frau und brach ihr dabei auch noch zwei Rippen....Leider erfuhr er im Nachhinein nicht, wie es ihr weiter erging, möglicherweise genas sie und freute sich, dass ihr Leben so verlängert wurde. (Manchmal bedanken sich Angehörige später noch, seltener die Betroffenen selbst.)

    Oft bleiben aber auch Schäden zurück und solche Patienten sterben kurze Zeit später - ein zweites (dann endgültiges) Mal. In diesen Fällen würde sich Mitgefühl wohl eher darin zeigen, NICHT zu reanimieren....(allerdings gibt es im medizinischen Bereich ja auch juristische Vorgaben!).

    Worte, die der Tathāgata als wahr, richtig und nützlich erkennt und die anderen willkommen und angenehm sind: Für den Gebrauch solcher Worte kennt der Tathāgata den richtigen Zeitpunkt.

    Warum ist das so? Weil der Tathāgata Mitgefühl für die Wesen hat.“

    Es fällt auf, dass von 6 Möglichkeiten zu sprechen, nur diese eine vom Tathagata als "mitfühlend" (und damit zielführend/heilsam) herausgehoben wird.

    Auch wahre, richtige und nützliche Worte machen demnach keinen Sinn, wenn der Empfänger nicht bereit ist, sie anzunehmen, was u.a. auch abhängig vom richtigen Zeitpunkt sein könnte...

    Wirklich liegt alle Wahrheit und alle Weisheit

    zuletzt in der Anschauung. (Arthur Schopenhauer)


    Oh wünsche nichts vorbei und wünsche nichts zurück!

    Nur ruhiges Gefühl der Gegenwart ist Glück. (Friedrich Rückert)

  • Es fällt auf, dass von 6 Möglichkeiten zu sprechen, nur diese eine vom Tathagata als "mitfühlend" (und damit zielführend/heilsam) herausgehoben wird.

    Verzählt, es sind zwei ... :) Das entscheidende Kriterium ist 'nützlich'. Wobei etwas durchaus "wahr, richtig und nützlich" sein kann, auch wenn es "unwillkommen und unangenehm" ist. Kommt darauf an, wie "unwillkommen und unangenehm" etwas sein darf, bevor es seine Nützlichkeit einbüsst. Und dabei ist diese scheinbar so einfache Regel gar nicht einfach zu befolgen. Das Mitgefühl muss schon gut geübt sein, wenn es das 'Kippen' von unwillkommen und unangenehm aber nützlich zu einem Maß von unwillkommen und unangenehm, das die Nützlichkeit unwirksam macht, nicht mitfühlt.

    OM MONEY PAYME HUNG

  • Verzählt, es sind zwei ... :)

    Vielen Dank, Sudhana, ja, da war ich unachtsam...

    Vermutlich, weil mir diese Möglichkeit nicht so gefallen hat, habe ich es glatt überlesen. :oops:

    Kommt darauf an, wie "unwillkommen und unangenehm" etwas sein darf, bevor es seine Nützlichkeit einbüsst. Und dabei ist diese scheinbar so einfache Regel gar nicht einfach zu befolgen.

    So ist es. Das Mitgefühl muss größer sein, als die Angst, womöglich zu scheitern und es sich eventuell obendrein noch mit diesem Menschen zu verderben.

    Das Mitgefühl muss schon gut geübt sein, wenn es das 'Kippen' von unwillkommen und unangenehm aber nützlich zu einem Maß von unwillkommen und unangenehm, das die Nützlichkeit unwirksam macht, nicht mitfühlt.

    NICHT mitfühlt??

    Wirklich liegt alle Wahrheit und alle Weisheit

    zuletzt in der Anschauung. (Arthur Schopenhauer)


    Oh wünsche nichts vorbei und wünsche nichts zurück!

    Nur ruhiges Gefühl der Gegenwart ist Glück. (Friedrich Rückert)

  • Pikanterweise fehlt übrigens genau die Option, die dann im Saddharmapuṇḍarīka ('Lotossutra') zur Doktrin der upāyakauśalya ('geschickten Mittel') ausgebaut wurde: unwahr, falsch und nützlich ... ;)

    OM MONEY PAYME HUNG

  • NICHT mitfühlt??

    Nun war ich unachtsam :eek: - das "nicht" muss da natürlich weg.

    Zitat

    Das Mitgefühl muss schon gut geübt sein, dass es das 'Kippen' von unwillkommen und unangenehm aber nützlich zu einem Maß von unwillkommen und unangenehm, das die Nützlichkeit unwirksam macht, nicht mitfühlt.

    OM MONEY PAYME HUNG

  • Pikanterweise fehlt übrigens genau die Option, die dann im Saddharmapuṇḍarīka ('Lotossutra') zur Doktrin der upāyakauśalya ('geschickten Mittel') ausgebaut wurde: unwahr, falsch und nützlich ... ;)

    Das gibt mir dann zu denken. Denn Worte, die unwahr und falsch sind, äußert der Tathagata nicht, auch wenn sie nützlich wären. Wahrscheinlich weil sie unter keine Umständen nützlich sind.

    :zen:

  • Pikanterweise fehlt übrigens genau die Option, die dann im Saddharmapuṇḍarīka ('Lotossutra') zur Doktrin der upāyakauśalya ('geschickten Mittel') ausgebaut wurde: unwahr, falsch und nützlich ... ;)

    Das gibt mir dann zu denken. Denn Worte, die unwahr und falsch sind, äußert der Tathagata nicht, auch wenn sie nützlich wären. Wahrscheinlich weil sie unter keine Umständen nützlich sind.


    So sieht das meiner Meinung nach der Theravada auch. Diese Art von geschickten Mittel gibt es nicht. Der Ehrwürdige Analayo hat genau diesen Punkt angesprochen in seinen Vorträgen über die chinesischen Agama und gleiches gesagt.

  • Himmelsbaum:
    Leonie:
    Sudhana:

    Pikanterweise fehlt übrigens genau die Option, die dann im Saddharmapuṇḍarīka ('Lotossutra') zur Doktrin der upāyakauśalya ('geschickten Mittel') ausgebaut wurde: unwahr, falsch und nützlich ... ;)

    Das gibt mir dann zu denken. Denn Worte, die unwahr und falsch sind, äußert der Tathagata nicht, auch wenn sie nützlich wären. Wahrscheinlich weil sie unter keine Umständen nützlich sind.

    So sieht das meiner Meinung nach der Theravada auch. Diese Art von geschickten Mittel gibt es nicht. Der Ehrwürdige Analayo hat genau diesen Punkt angesprochen in seinen Vorträgen über die chinesischen Agama und gleiches gesagt.

    Interessant.

    Das erinnert mich auch an die Geistesgifte wie zB Wut, die - wenn ich richtig informiert bin - im Vajrayana ebenfalls als geschicktes Mittel zulässig sind während sie im Theravada abgelehnt werden.