Ein "Selbst" ist ja zu allererst eine Festlegung die sich aus einem Akt der Identifikation ergibt
Angenommen es gibt so etwas wie einen Bewusstseinsraum in dem sich Bewusstseinsinhalte ereignen, dann ist es ja immer noch eine Entscheidung ob man diesen "subjektiven Hintergrund" als ein "Selbst" sieht - als ein wahre Subjektivität die hinter meiner Subjektivität steht . Aber genauso kann man - selbst wenn es so einen Bewusstseinsraum gibt - dieses nicht als ein Proto- Selbst sehen sondern eben lediglich als ein geistiger Raum in dem sich Bewusstseinsinhalte ereignen. Und es mit dieser Feststellung sein lassen.
Die Wahl ob man das eine tut oder das andere ist eine pragmatische Wahl. Es ist keine Frage von "ist es so oder so" sondern "welche Sicht ist im Bezug auf die Erlangung der Befreiung hilfreicher".
Und da ist es eben so, dass im hinduistischen Kontext die Wahl hin zu einem "wahren Selbst" geht, während im Buddhismus größtenteils anders gewählt wird - und das eben aus der Sicht heraus, dass jede Idetifikation, jedes "das bin ich" die Gefahr einer Anhaftung mit sich bringt und Anhaftung eben die Ursache von Leid ist. In einigen Teilen des Buddhismus ging man aber eben so weit Leerheit mit reinem Bewusstsein assoziieren. Ich glaube im tibetischen Buddhismus geht Rigpa in so eine Richtung:
Rigpa (tib.: Rig pa; skt.: Vidya) eigentlich „Intelligenz“, ist ein Begriff, der im Dzogchen, einer Tradition des tibetischen Buddhismus, verwendet wird und mit „innerste Natur des Geistes“ übersetzt werden kann.[1][2] Im Gegensatz zum gewöhnlichen Geist, Sems (diskursives Denken, Unterscheiden, Urteilen, Verstand, Geist), dessen Tätigkeit nach dem buddhistischen Verständnis aus dem Projizieren auf falsch wahrgenommene Bezugspunkte besteht, ist Rigpa das ursprüngliche, reine Gewahrsein, die Intelligenz, die jenseits aller Begrenzungen stattfindet und durch die man zum Zustand der Allwissenheit und Erleuchtung kommen kann.
Aber es ist wichtig, dass es auch hier eben um "reines Gewahrsein" geht - also etwas was man nur im weitesten Sinne als ein "Selbst" sehen könnte und nicht um irgendetwas wie eine Seele oder ein Denkapparat. Während man im Hinduismus noch einen Schritt weiter geht - zu "Weltseele" und "Gottheit".
Der Hauptpunkt ist der dass der Buddhismus im Großen und Ganzen der anatta Lehre folgend jegliche Identifikation mit einem Selbst - aus pragmatischen Gründen, weil das Anhaften an einem Selbst als Ursache des Leidens gesehen wird - ablehnt.
Jede Sicht eines "wahren Selbst" zu dem es zu gelangen - dass es aufzudecken gilt - führt im Schlepptau automatisch zu einer anderen Art der Praxis.