Beiträge von Sascha_83

    Ich bin etwa 2008/2009 durch eine Freundin zum buddhistischen Zentrum in meiner Stadt gekommen und habe mich dort ziemlich schnell wohlgefühlt. Ich mochte die Menschen in der Sangha, und nachdem ich Ole Nydahl (ON) das erste Mal bei einem Osterkurs gesehen hatte, war ich sofort begeistert. Ich hatte damals eine sehr schwere Zeit hinter mir und war sehr verletzlich – eine Situation, die viele, die ich über die Jahre in Diamantweg-Zentren und auf Kursen kennengelernt habe, mit mir teilten.

    In einem solchen Zustand ist man besonders empfänglich für das "Lovebombing" durch ON. Damals konnte ich das jedoch noch nicht so klar erkennen wie heute. Ich engagierte mich sehr im Zentrum, leitete und organisierte das lokale Zentrum mit, übernahm die Koordination der Reiselehrer*innen und war Teil der PR-Gruppe.

    Das erste Mal wurde ich stutzig, als ON bei einem öffentlichen Vortrag vor einem Zentrentreffen in Braunschweig sehr rassistische Bemerkungen machte – wie so oft richteten sie sich gegen sein Feindbild der Muslime. Ich wollte damals aufstehen und gehen. Doch als ON erklärte, er spreche diese Dinge aus, weil er sich als Schützer der westlichen Welt und ihrer Werte verstehe, ergab das für mich in dem Moment Sinn – und ich begann, seine Sichtweise zu übernehmen. Wie so viele andere auch.

    Kritikerinnen mussten gehen oder wurden verklagt. Eine Diskussionskultur existierte nicht. Die viel beschworene Meinungsfreiheit, die ON und seine Anhängerinnen so hochhalten, endete dort, wo man nicht seiner Meinung war. Rückblickend ist das für mich mit das Abscheulichste.

    Einen Höhepunkt erreichte das Ganze während der sogenannten Flüchtlingskrise. ON rief dazu auf, die AfD zu wählen, sich Pegida anzuschließen, Kampfsport zu lernen – und, Achtung: den Umgang mit Schusswaffen zu erlernen. Zu dieser Zeit wohnte ich in einem Zentrum und war stark involviert, identifizierte mich mit der „Sache“ von ON. Freundschaften außerhalb der Sangha hatte ich kaum noch.

    Gemeinsam – offiziell als „Freunde“, denn es durfte auf keinen Fall als Sangha-Aktivität deklariert werden – gingen wir zum Krav Maga und traten Schützenvereinen bei. Das Ganze hatte mitunter einen paramilitärischen Charakter. ON selbst betonte bei Vorträgen immer wieder, der Diamantweg sei die „Speerspitze“ des Buddhismus und seine Schüler*innen müssten bereit sein, die Gesellschaft zu beschützen, wenn es darauf ankommt.

    Viele entwickelten eine regelrechte Paranoia. Ein langjähriger Schüler von ON behauptete in meinem Beisein, ON gebe bestimmte Belehrungen und Einweihungen (z. B. Lama Tschang), damit seine Schüler im Ernstfall – etwa in einem Bürgerkrieg – mit Mitgefühl töten könnten.

    Etwa 2018 habe ich mich von ON und dem Diamantweg distanziert – zum Glück.

    Mit Abstand konnte ich erkennen, wie toxisch und manipulativ das gesamte Umfeld um ON war. Die Radikalisierung vieler war zutiefst beunruhigend. Heute schäme ich mich dafür, dass ich mich so manipulieren ließ. Gleichzeitig bin ich auch stolz auf mich, dass ich den Ausstieg geschafft habe – denn das war alles andere als einfach.

    Ich musste meinen gesamten Freundeskreis, der fast ausschließlich aus Sangha-Mitgliedern bestand, hinter mir lassen und alte Freundschaften mühsam wieder aufbauen. Das war schwer, weil viele mich längst abgeschrieben hatten. Bekannte beschimpften mich damals als Nazi – das war hart, aber mein heutiges Ich würde mein damaliges Ich wohl ähnlich sehen. Das tut weh, aber es ist ehrlich. Heute bin ich meinem wahren Ich wieder sehr viel näher – auch politisch habe ich wieder eine menschliche Haltung.

    ON und sein Umfeld haben mich jedenfalls für jegliche spirituellen oder esoterischen Konzepte „versaut“. Ich bin inzwischen sehr kritisch und hinterfrage alles genau – weil ich mich nie wieder so instrumentalisieren lassen will. Mein Vertrauen in ON und den Diamantweg wurde missbraucht – zu einer Zeit, in der ich sehr verletzlich war und eigentlich echte Hilfe gebraucht hätte.

    Doch vor echter Hilfe wurde man durch ONs Aussagen und Belehrungen regelrecht abgeschirmt, denn „man solle Methoden, Tools und Belehrungen nicht vermischen“. Später haben mir viele Jahre Therapie und intensive Arbeit mit meinen Gefühlen wirklich geholfen. Ich bin heute überzeugt: Es gibt keine „Störgefühle“. Alle Gefühle sind berechtigt und verdienen Raum.

    Gefühle gehören nicht weg-meditiert, bzw. ich bin der Überzeugung, dass das gar nicht möglich ist.

    Viele Schüler*innen von ON habe ich oft als passiv-aggressiv erlebt, als elitär, ständig auf der Suche nach ONs Aufmerksamkeit. Ständig tatkräftig sein, immer so tun, als wäre man happy - in allem und jedem immer versuchen die „Qualitäten“ zu sehen.

    Das war und ist der Nährboden für ein extrem toxisches und ungesundes System.


    Ich hoffe sehr, dass inzwischen mehr Menschen den Absprung geschafft haben. Gleichzeitig befürchte ich, dass viele weiter abdriften – womöglich noch tiefer in rechte Gedankensysteme. ON hat meiner Meinung nach definitiv dazu beigetragen, dass rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien weltweit an Zulauf gewonnen haben.

    Das ist das erste Mal, dass ich all das so in der Öffentlichkeit formuliere. Lange hatte ich Angst – wegen der vielen Berichte über Klagen, die ONs Anwälte gegen Kritiker*innen eingereicht haben.

    Deshalb bin ich auch etwas vorsichtig hier. Vielleicht finden sich ja manche in meinen Schilderungen und trauen sich auch, die Dinge auszusprechen wie sie sind ;)



    P.S.

    Durch meine Arbeit in der PR-Gruppe weiß ich, dass bereits damals im Hintergrund versucht wurde, ONs radikale Äußerungen nach außen hin zu verharmlosen oder zu verstecken. Wenn man bedenkt, wie viele solcher Aussagen über die Jahre gefallen sind, ist es erstaunlich, wie wenig davon an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Ich wünsche mir sehr, dass all das eines Tages aufgearbeitet wird – statt dessen wird es wohl einen weiteren Propaganda-Film geben, in dem ON gefeiert wird. Einen über Hannah gibt es ja bereits.