Milou:
Ist Gerechtigkeitssinn positiv und Missgunst negativ? Ist beides negativ? Soll man gleichmütig Ungerechtigkeiten akzeptieren?
Ich glaube man muss da genauer fragen, für was genau sie positiv oder negativ sind.
Gerechtigkeit ist ein gesellschaftliches Ideal. Für eine Gesellschaft ist es gut, wenn in ihr der Gerechtigkeitssinn ausgepägt ist. Also wenn sich einzelne darüber empören, wenn die einen die anderen ausbeuten. Genauso wie es für eine Gesellschaft positiv ist, wenn man sich über Naturverschmutzung, Korruption und Kriminalität aufregt und man diese Misständen so weit es eben geht angeht.
Der Buddhismus denkt aber nicht unbedingt gesellschaftlich sondern es wird betont, unabhängig von den Umständen einen freundlichen, ausgeglichenen und glücklichen Geisteszustand zu bewahren. Und das bedeutet wohl nicht nur persönliche Vorlieben und Abneigungen sondern auch gesellschaftliche. Also auch inmitten eines ungerechten Systems die Umstände anzunehmen anstatt zu versuchen sie zu ändern.
Soll der geknechtete Sklave einen auf Onkel Tom machen und sein übles Los ertragen oder als Spatakus an den Ketten zerren und versuchen, die üblen Verhältnisse zu überwinden? Ich glaube druchaus das letzteres für die Gesellschaft als ganzes positiv sein kann aber mir sehr unheilsamen und unglücklichen Geisteszuständen verbunden ist. Während ersteres zu einem ruhigen, freundlichen und ausgeglichenen Geist führt, der Gesellschaft aber dadruch mehr schadet als nutzt, dass ein ungerechter Status Quo zementiert wird. Marie von Ebner-Eschenbach schrieb einmal sehr treffend: „Die größten Feinde der Freiheit sind die glücklichen Sklaven." Weil Religion aber darauf zielt unabhängig von Umständen glücklich zu sein, ist Marx Spruch vom Opium für das Volk nicht ganz unzutreffend.
Oder ist das alles Unsinn? Es gab ja immer Leute mit ausgeprägten Gerechtigkeitssinn die diesen nicht deswegen hatten, weil sie selbst arm oder ausgebeutet waren, sondern weil sie sich in andere einfühlten, die wenig hatten. Die meisten Sozialrevolutionäre und Kämpfer für die Gerechtigkeit kamen keinenfalls aus armen Verhältnisse sondern aus bürgerlichen Eliten. Und ist es im Buddhismus wirklich wichtig an einem bestimmten besonders tollen Geisteszustand anzuhaften? Den Kein Gedanke für das Leid des andern trüben darf?