Das ist schon öfter erklärt worden.
Hinayana/Mahayana ist ein Begriffspaar aus dem Mahayana. Das hat nix mit Theravada/Mahayana zu tun.
Schwer zu verstehen ist es nur, wenn man sich verbeisst, in der Meinung, dass Hinayana ein Synonym für Theravada ist. Das ist es eben nicht.
Das Begriffspaar Hinayana/Mahayana gilt nur für das System des Mahayana.
So wie "Rot" nur innerhalb des semantischen Systems "Farbe" eine konkrete Bedeutung hat. Im semantischen System "Obst" gibt es kein "Rot". Es gibt nur Obst, das eine rote Farbe aufweist, aber kein Obst, das Rot heißt.
Hinayana/Mahayana sind zwei Ansätze der Übung.
Im Hinayana konzentriert sich der Übende auf sich selbst. – Im Mahayana wird die Übung auf alle Wesen ausgeweitet.
Beide Übungen sind untrennbar. Jeder Übende verlagert seinen Schwerpunkt mal auf die eine Seite, mal auf die andere Seite. Das geschieht nicht nur bei bestimmten Übungsformen, sondern geschieht in fließenden Übergängen im täglichen Leben. Andauernd.
Ich drücke es mal ganz plakativ und vereinfacht aus:
Mal schaue ich, wie ich mich fühle und dann schaue ich, wie ich mich anderen gegenüber verhalte.
Mal handle ich in Bezug auf mein Wohl, mal handle stelle ich mein Wohl komplett zurück zugunsten der anderen (nicht nur als bewusster Verzicht, sondern als Automatismus, also absichtslos).
Jeder übt und handelt mehr oder weniger so, egal welcher Tradition er angehört.
In den Mahayana-Schulen wird der Aspekt "Wohl des anderen" jedoch offensichtlich sehr stark in den Vordergrund gestellt. Aber das lehnt den Hinayana-Aspekt, also den selbstbefreienden Aspekt, nicht ab. Im Gegenteil. Ohne Selbstbefreiung kann niemand anderen Wesen hilfreich zur Seite stehen. Jedoch wird die Wechselwirkung stark betont: Je mehr ich mir helfe, desto mehr helfe ich anderen. Je mehr ich anderen helfe, desto mehr helfe ich mir.
Deshalb heißt es ja auch, dass Hinayana die unverzichtbare Grundlage der Übung ist. Daher wird ein Mahayana-Übende nicht einfach nur Gutes für das Umfeld tun wollen, sondern er wird unermüdlich an der Selbstbefreiung arbeiten.
In den Paramitas sind beide Aspekte enthalten und keiner wird bevorzugt. Die Paramitas verbinden alle Schulen.
Deshalb können diese Begriffe auch für die Ansätze des Theravada verwendet werden, aber eben nicht als Abgrenzung der verschiedenen Schulen, sondern als Beschreibung eine "Phase", in welcher sich der Übende momentan befindet.
Eine solche Phase kann eine Übung sein wie "Ich übe mich die nächsten vier Wochen in Dana"/"Ich übe mich die nächsten vier Wochen intensiv um die Betrachtung meiner Gedanken", und sie wird aber auch innerhalb einer solcher Übung ständig wechseln.
Daher erlaube ich Ungeschulte mir mit allem Respekt, dem Text des Dalai Lama voll zuzustimmen.
Ich höre immer wieder wie wichtig das Hinayana ist, aber das wir nicht dabei bleiben sollen. Ich interpretiere das folgendermaßen:
Wenn wir den Weg der Meditation beginnen, dann können wir von den Erscheinungen und Ergebnissen fasziniert sein, und zwar so sehr, dass wir das Ziel aus den Augen verlieren: nämlich zum Wohl aller Wesen zu wirken. Wir können selbstverliebt in Meditationserfahrungen und Textstudien usw. verharren. Das bewirkt, dass wir über einen bestimmten Punkt nicht hinauskommen und das Gesamtziel verfehlen. Denn eines der essentiellen Erkenntnisse ist die Ungetrenntheit in all seinen Aspekten. Genauso wenig sollten wir uns in einem Aktionismus verlieren den Wesen nutzen zu wollen, ohne die nötige Grundlage der Gewinnung der Selbsterkenntnis. Daher stimmt das wohl ein wenig mit dem "Anfängeraspekt" des Hinayana überein, den Du anführst. Nur, wenn ich es genau nehme, dann beginne ich ständig von neuem. Täglich werde ich unzählige Male wieder auf den Punkt zurückgeworfen, neu anzufangen und mich auf mich zu besinnen. Ich kann mir nicht vorstellen jemals dauerhaft über das Anfängerstadium hinauszukommen, jedenfalls habe ich diese Erfahrung noch nicht gemacht. Von daher ist für mich der Weg des Hinayana und des Mahayana aus eigener Erfahrung untrennbar. Es ist ein Weg und ich stelle mir diesen bildlich vor: eine rechte Seite und eine linke Seite, wie bei einem Feldweg. Wenn ich mit meinem Karren auf diesem Weg fahre, benutze ich beide Seiten um nicht in den Graben zu stürzen.
Der Knackpunkt ist hier, liebe Kuala:
Zitat
Im Buddhismus unterscheidet man zwei Fahrzeuge, das Hinayana oder auch "Kleines Fahrzeug" und das Mahayana, das "Große Fahrzeug".
Hier wird direkt als Eingangssatz Theravada mit Hinayana gleich gesetzt.
Manchmal werden sie auch "Shravakayana", also das "Fahrzeug der Hörer", und "Bodhisattvayana", das "Fahrzeug der Bodhisattvas" genannt.
Du selbst setzt Hinayana mit Theravada gleich, und daraus resultieren alle anderen Folgefehler und Missverständnisse.
Es ist einfach die falsche Brille.
Mir ist bewusst, dass es Mahayanis gibt, die das Begriffspaar zur Abwertung benutzen. Aber da unterliegen sie demselben Irrtum wie Du, liebe Kusala. Kurz: Es gibt keinen besseren oder schlechteren Traditionsweg. Jeder der seine Tradition dazu benutzt die andere abzuwerten oder seine verteidigt, befindet sich auf dem Holzweg. Ich erlaube mir diese Behauptung.
Sollte sich also jemand dazu versteigen, den Theravada in herablassender Absicht mit dem Begriff "Hinayana" zu bezeichnen, dann ignoriere das bitte wohlwollend, mit dem Wissen, dass diese Person noch unwissend ist.
So, damit habe ich mein Fasten vorerst gebrochen.
Liebe Grüße
Doris