Beiträge von Doris im Thema „Mitfreude und Neid“

    Zitat

    Im übrigen weiß ich von Menschen, die im Ausland leben, z.B. Spanien, Griechenland, - wohl bemerkt leben und nicht Urlaub machen, mal eben kurz -, die keineswegs mehr etwas von der Großzügigkeit und Gastfreundschaft spüren, selbst unter Gleichgesinnten. Ich habe den Eindruck, derartige Freundlichkeit herrscht in erster Linie unter der einfachen Bevölkerung. Desto wohlhabener jemand ist, desto größer ist möglicherweise auch das Bedürfnis, sich abzugrenzen, egal ob in Deutschland oder z.B. in Spanien. Auch spielt vielleicht das Klima eine Rolle. Wir sind auch offener und besser gelaunt, wenn die Sonne scheint.


    Ich denke, das hat was mit Armut zu tun. Je weniger selbstverständlich die tägliche Mahlzeit ist, desto eher wird unkonventionell geteilt. Genauso teilt man ja die Arbeit im Alltag. Die Menschen sind aufeinander angewiesen.
    Die höfischen Sitten und die Überschwemmung durch Tourismus haben in manchen Teilen der Bevölkerung des Südens da einiges verändert.


    Liebe Grüße
    Doris

    Kneipe, ist ein besonderes Setting, liebe Losi. Zu diesem Setting gehört vielfach auch der explizit kumpelhafte Umgang.
    Bei den 68ern und deren Nachkommen haben sich auch gewisse Schranken aufgelöst, man gibt sich locker :D
    In einem Büro mit Bankangestellten oder Sachbearbeitern sieht das anders aus. Und im Restaurant, in einem deutschen jedenfalls, stellt man die Teller nicht in die Mitte und langt auch nicht mit der Gabel hinüber oder schiebt ein Drittel auf diesen und ein Drittel auf jenen Teller.
    Alleine schon das einsame Essen mit 14 satten Nicht-Essern, ist bei uns nicht möglich, nur in absoluten Ausnahmen. Das ist keine Sache von Höflichkeit, sondern von Gemeinsamkeit, Zusammengehörigkeit. Gemeinsamer Lebenserhalt. Ein paar zusätzliche Teller mit Vorspeisen für alle zum Naschen wären immer inklusive. Allein essen wäre Einsamkeit. Es geht nicht nur um das Probieren.


    Meine Erfahrung ist wie bei Tara. Essenteilen verbindet und baut Schranken ab. Nicht das Essen im Lokal, nicht das förmliche Essen (da gibt es tausend Regeln, die Hierarchien zementieren, selbst die Einladung ist eine Zementierung von Hierarchie), aber das einfache, spontane Teilen. Nicht zum Essen eingeladen zu werden, andere beim Essen zuschauen zu lassen, wie es bei Sherab geschehen ist, grenzt aus. Essen ist auch Machtausübung.


    Liebe Grüße
    Doris

    Liebe Karma Pema,


    die sind einfach. Das IST Menschsein. Jeden Augenblick wer anders sein. Unzählige Leben.
    Mit "brauchen" hat das nichts zu tun. Du bist doch auch ständig eine andere.
    Jede dieser Identifikation dauert nur einen Moment, ist flüchtig und schon auf dem Weg des Vergehens, während sie gerade entsteht.
    Das kann man erkennen, sehen, akzeptieren ... so entstehen keine Probleme mehr daraus. Das ist Freiheit.
    Aber zu glauben, man könne irgendwann einmal "nichts" mehr sein, halte ich für einen Irrtum. Loslassen ist eine Sache des Augenblicks und nicht der Ewigkeit. Loslassen geschieht nicht durch Bemühung, sondern durch Erkennen. Dann entsteht Geschmeidigkeit. Die Probleme werden nicht durch die jeweilige Rolle verursacht, sondern die Unfähigkeit in die nächste hineinzugleiten.


    Liebe Grüße
    Doris

    Zitat

    Ich identifiziere mich mit diesem billigen Etikett "Deutsche". Obwohl ich seit Jahren trainiere, mich nicht zu identifizieren. Irgendwie schräg und verbogen, was?


    Find ich gar nicht.
    Ich meine, dass es wichtig ist, dass da so eine Möglichkeit besteht, sich positiv irgendwo einreihen zu können. Zugehörigkeit. Nach meinem Empfinden völlig natürlich.
    Und als DeutschländerIn hat man ein schwieriges Erbe zu tragen. Sehr schwieriges Erbe. Ist halt so.
    Aber da sind nicht nur schwere Dinge, sondern auch Wundervolles, was unseren deutschen Ahnen gelungen ist. Ebenso gilt das für alle andern Kulturen. Ich ehre meine Ahnen, wozu für mich gehört auch der schwierigen Dinge zu gedenken. Es gibt nichts wofür sich jemand schämen muss, als er noch nicht geboren war. Daher kann mich die Kritik, ob berechtigt oder nur Vorurteil, nicht verletzen – ich habe diesbezüglich genügend Selbstbewusstsein entwickelt. Außerdem habe ich immer eine ganze Armee von Identifikationsmöglichkeiten, auf die ich ausweichen kann: Deutsch, Jugo, Serbin, Belgraderin, Kärntnerin, KuK, Bayerin, Münchnerin, Sendlingerin, Regierungskritisch, Europäerin, Westlerin, Feministin, Protestantin, Orthodoxe, Buddhistin und noch unzählige mehr. Es ist für mich wesentlich, dass ich so viele bin und nicht nur eine mickrige Identifikation habe. Ich bin ständig wer anderes und weiß das, daher muss ich mir nichts abgewöhnen und nichts trainieren.


    Ich hatte mal einen Freund, der war Unterfranke. Als er mich kennenlernte, sprach ich mit ihm automatisch nur Hochdeutsch und er dachte, ich würde immer so sprechen. Einmal trafen wir eine Kommilitonin, die sprach Bayrisch und wir drei unterhielten uns. Mein Freund war total baff als er sah, dass ich im Gepräch, mitten im Satz, von Hochsprache zu Dialekt wechselte und dann ins Serbokroatische und immer so hin und her. Mir war das nicht bewusst, denn ich mache das automatisch. Aber allein anhand dieser Situation wurde mir klar, wie viele ich bin und wie selbstverständlich das ein Teil meiner selbst ist. So geht es jedem Menschen nach meiner Beobachtung: Unzählige sind wir in einem Körper. Und manchmal auch Deutsch, und manchmal auch Deutsch mit Komplexe und eine Sekunde später wieder wer ganz anderes :D


    Liebe Grüße
    Doris

    Liebe Jojo,


    ich würde dennoch gerne was anfügen.
    Ich lebe gerne in Deutschland und möchte nirgendwo anders leben. Manche Dinge mag ich hier nicht so, aber ich mag vieles nicht aus der Region, aus der meine Familie stammt und würde die "deutschen Tugenden" furchtbar vermissen.


    Ich bleibe bei der allgemeinen Formulierung.


    Mir scheint es wichtig zu sein sich anzuschauen, warum dieses Gefühl des Angegriffenwerdens kommt.
    Zu meiner persönlichen Geschichte:
    Ich habe mich als Kind sehr für meine Herkunft und meine Andersartigkeit geschämt. Auch als Heranwachsende war es nicht leicht, das einzige dunkelhaarige Mädchen mit komischen Namen unter lauter blonden deutschen Mädels. In meiner familiären Umgebung kamen alle aus allen Ecken der Welt – wir sind eine völlig durchmischte Familie mit einem genauso durchmischten Freundeskreis –, aber in der Schule war ich die Einzige. Bis später ein Türkenjunge dazukam. Ich schämte mich, weil meine Eltern eine furchtbare Sprache sprachen und sich anders benahmen als die Eltern der anderen Kinder. Wenn möglich wechselte ich die Straßenseite oder ging in einigem Abstand zu ihnen. Schräg was? Aber so war das. Und es hat sich erst geändert, nachdem ich beschlossen hatte, mich mit diesen Kulturen näher zu befassen und sie einfach anzunehmen. Ich studierte sogar die Sprache und Kultur der Region. Als der Balkankrieg begann, war ich schockiert, denn mir wurde irgendwie meine andere Heimat genommen. Meine berufliche Laufbahn in meinem Studienfach war damit auch beendet, da ich eine regelrechte Sprachblockade bekam und in dieser Sprache keinen Ton mehr sagen konnte – nicht mal das Einfachste. Mittlerweilen hat sich das wieder gelegt.


    Ich bin dies und das und was dazwischen. In beiden Kulturen finde ich positive und negative Aspekte (von meiner Warte aus betrachtet). Keine Kritik hat was mit mir persönlich zu tun, das weiß ich einfach. Vielleicht fällt es leichter diesbezüglich distanzierter zu sein, wenn man mit den Beinen auf vielen Ländern steht und immer ausweichen kann? Was ich einst als Makel empfand, hat offensichtlich auch Vorteile.
    Wenn ich Kritik als Deutsche oder als Balkanin höre, dann kann ich mir das anhören und mir überlegen, wo ich mich darin wiederfinde und wo nicht. Die meisten "Macken" sind irgendwie lustig. Im Ausland merke ich oft, wie sehr ich deutsch bin, in Deutschland merke ich, wie sehr ich Balkan bin. In Griechenland bin ich sowohl sehr deutsch, aber auch sehr Balkan, auch weil ich orthodox bin und weil ich mit so vielem dort klar komme, was Deutsche ohne diesen Background nicht können. Innerhalb meiner Familie, die zum angeheirateten Teil auch arabischer Herkunft ist, gelte ich wegen meines Zeitgefühls als die einzig "richtige" Araberin der Familie, obwohl ich nicht arabische Wurzel habe. :D
    Also, was bin ich, wenn nicht dies und das und jenes und dazwischen? Es gäbe ein Menge Kritik so gesehen, die ich persönlich nehmen könnte.


    In meinem Leben ist das offensichtlich ein großes Thema, die Herkunft.
    Übrigens, in erster Linie bin ich Sendlingerin. :D


    Liebe Grüße
    Doris

    Liebe Jojo,


    das ist jetzt aber Dein Ding.
    Ich weiß nicht, warum Du Dich da so angegriffen fühlst. Jeder Tourist, der ein südliches Land bereist und dort mit den Einheimischen in Kontakt kommt, kann Dir das bestätigen. Nicht umsonst sind so viele in den 60ern begeistert über die dortige Gastfreundschaft in den Süden gefahren. Oder geh in eine z.B. türkische Familie und schau mal, wie Du als Gast dort behandelt wirst. Das ist einfach anders. Ganz ohne Wertung.


    Wenn Du in Deutschland im Büro Deinem Kollegen von Deinem Wurstbrot was anbietest, dann wird der eher komisch gucken. Du kannst ihm aber ein Portion Sushi ausgeben oder ihm Brotzeit holen gehen. Was glaubst Du wie oft in Essensdingen von "schnorren" und "wegfressen" die Rede ist, wie oft den Leuten die Sachen aus dem Kühlschrank geklaut werden, ohne dass selber was spendiert wird? Essen wird geklaut, Essen wird weggesperrt.
    Hier wird auch nicht gegenseitig vom Teller gegessen. Das gilt selbst unter Verwandten als unfein und unhöflich.
    Hier ist das "mein Teller, mach Dir doch selber was".
    Wenn Du z.B. nach Griechenland fährst und gehst dort normal essen, dann nehmen alle von denselben Tellern. Es wird nicht für jeden extra bestellt, sondern alles ist für alle. Es bezahlt auch nicht jeher für sich selbst, sondern einer ganz selbstverständlich für alle.
    Wenn Du bei uns was isst und jemand kommt dazu, dann wird sofort ein zweiter Teller geholt und Du teilst Deines. Das wird ganz selbstverständlich gemacht. Das ist Teil unserer Kultur, ob Dir das gefällt oder nicht.
    Und meine Erfahrungen sind nun mal so, dass mir bestimmte Dinge von der Kultur meiner Familie her mitgegeben wurden, die in Deutschland unüblich sind.


    Liebe Grüße
    Doris

    In der Kultur, der ich entstamme, teilt man jede Mahlzeit, selbst das eine Stück Kuchen oder die eine Tomate, die man vom Balkon erntet. Ich habe Jahrzehnte gebraucht um zu verstehen, warum die Deutschen blöd gucken, wenn ich mein Essen zum Teilen anbiete und auch von meinem Teller essen lasse. Ich hätte früher ganz blöd geguckt, wenn mir kein Stück angeboten worden wäre, auch wenn ich keinen Kuchen hätte essen wollen und ihn dankend abgelehnt hätte, weil das eine Sache des Miteinanders für mich ist. Heute amüsiert mich das und mir tun die Leute leid, die nicht teilen.


    Als ich noch inhouse gearbeitet habe, hatte ich in einer Firma eine Kollegien, die ausgesprochen gierig war. Wenn ich morgens in das Büro kam, hatte ich oftmals vorher Kuchen, Butterbrezen usw. für meine KollegInnen gekauft. Zuerst bekam die Dame am Empfang was ab, da sie nicht sehen konnte, wenn ich was in die Küche gestellt hatte. Den Rest stellte ich in die Küche zur Selbstbedienung. Sobald diese eine Kollegin die Teile in der Küche entdeckt hatte, hörte ich einen schrillen Freudenschrei und das Geklapper von Tellern. Sie nahm sich selbstverständlich als Erste das, was ihr zusagt und fragte nie, wer von den Anderen was wolle. Hauptsache, sie hatte sich bedient. Im Gegenzug brachte sie nie etwas mit. Andere KollegInnen schon. Sie war aber eine ungeheure Naschkatze und musste ständig Gummibärchen, Schokolade usw. futtern. Ihr ganzer Schreibtisch war voll davon. Wenn man nun zu ihr kam um einen Job zu besprechen, so lagen die Naschereien immer vor ihr herum und sie langte bei der Besprechung die ganze Zeit zu. Auf die Idee etwas anzubieten kam sie nie. Anfangs war ich darüber erstaunt – wie gesagt, das ist uns völlig fremd –, aber dann hat es mich amüsiert. (Ich mag das Zeugs übrigens nicht, daher war ich nicht begierig.)
    Ich denke nicht, dass sie damit ausgrenzen wollte, das war einfach nicht in ihrem Fokus. Teilen war nicht ihr Ding. Sie war als einzige Schwester mit lauter Jungs aufgewachsen und musste immer sehen wo sie blieb – und diese Haltung hat sie verinnerlicht. Ich merke immer mehr, dass unser Verhalten einfach nur unsere Geschichte und die Geschichte unserer Herkunft erzählt, nichts weiter. Also nichts Persönliches.


    Liebe Grüße
    Doris