Liebe Jojo,
ich würde dennoch gerne was anfügen.
Ich lebe gerne in Deutschland und möchte nirgendwo anders leben. Manche Dinge mag ich hier nicht so, aber ich mag vieles nicht aus der Region, aus der meine Familie stammt und würde die "deutschen Tugenden" furchtbar vermissen.
Ich bleibe bei der allgemeinen Formulierung.
Mir scheint es wichtig zu sein sich anzuschauen, warum dieses Gefühl des Angegriffenwerdens kommt.
Zu meiner persönlichen Geschichte:
Ich habe mich als Kind sehr für meine Herkunft und meine Andersartigkeit geschämt. Auch als Heranwachsende war es nicht leicht, das einzige dunkelhaarige Mädchen mit komischen Namen unter lauter blonden deutschen Mädels. In meiner familiären Umgebung kamen alle aus allen Ecken der Welt – wir sind eine völlig durchmischte Familie mit einem genauso durchmischten Freundeskreis –, aber in der Schule war ich die Einzige. Bis später ein Türkenjunge dazukam. Ich schämte mich, weil meine Eltern eine furchtbare Sprache sprachen und sich anders benahmen als die Eltern der anderen Kinder. Wenn möglich wechselte ich die Straßenseite oder ging in einigem Abstand zu ihnen. Schräg was? Aber so war das. Und es hat sich erst geändert, nachdem ich beschlossen hatte, mich mit diesen Kulturen näher zu befassen und sie einfach anzunehmen. Ich studierte sogar die Sprache und Kultur der Region. Als der Balkankrieg begann, war ich schockiert, denn mir wurde irgendwie meine andere Heimat genommen. Meine berufliche Laufbahn in meinem Studienfach war damit auch beendet, da ich eine regelrechte Sprachblockade bekam und in dieser Sprache keinen Ton mehr sagen konnte – nicht mal das Einfachste. Mittlerweilen hat sich das wieder gelegt.
Ich bin dies und das und was dazwischen. In beiden Kulturen finde ich positive und negative Aspekte (von meiner Warte aus betrachtet). Keine Kritik hat was mit mir persönlich zu tun, das weiß ich einfach. Vielleicht fällt es leichter diesbezüglich distanzierter zu sein, wenn man mit den Beinen auf vielen Ländern steht und immer ausweichen kann? Was ich einst als Makel empfand, hat offensichtlich auch Vorteile.
Wenn ich Kritik als Deutsche oder als Balkanin höre, dann kann ich mir das anhören und mir überlegen, wo ich mich darin wiederfinde und wo nicht. Die meisten "Macken" sind irgendwie lustig. Im Ausland merke ich oft, wie sehr ich deutsch bin, in Deutschland merke ich, wie sehr ich Balkan bin. In Griechenland bin ich sowohl sehr deutsch, aber auch sehr Balkan, auch weil ich orthodox bin und weil ich mit so vielem dort klar komme, was Deutsche ohne diesen Background nicht können. Innerhalb meiner Familie, die zum angeheirateten Teil auch arabischer Herkunft ist, gelte ich wegen meines Zeitgefühls als die einzig "richtige" Araberin der Familie, obwohl ich nicht arabische Wurzel habe.
Also, was bin ich, wenn nicht dies und das und jenes und dazwischen? Es gäbe ein Menge Kritik so gesehen, die ich persönlich nehmen könnte.
In meinem Leben ist das offensichtlich ein großes Thema, die Herkunft.
Übrigens, in erster Linie bin ich Sendlingerin.
Liebe Grüße
Doris