Jetzt sind hier schon viele Selbsterfahrungs-Geschichten eingestellt worden, jede ist anders,
und man kann nicht einen trauernden Menschen mithilfe der eigenen Geschichte trösten. Doch dass so viele überhaupt geantwortet haben, und sich auch viel Zeit damit genommen haben, - allein das wird Dir, son, schon ein gewisser Trost sein.
Mir selbst steht der Verlust meiner Mutter nicht mehr so fern.
Wir bilden eine Lebensgemeinschaft seit nun schon über dreißig Jahren, wir sind sechzig und neunzig Jahre alt.
Vor noch zwanzig Jahren wäre der Verlust meiner Mutter der Horror für mich gewesen. Der Gedanke daran machte mir damals Angst, und das, ohne diese Angst richtig definieren zu können. Inzwischen sehe ich es schon lange gelassen, der Tod ist etwas ganz Natürliches, er gehört zum Leben mit dazu, so sehe ich es und so lebe ich es. Ich bin mittlerweile bereit für den Abschied, den ich ohne Bedauern nehmen kann.
Wenn ich Abschied nehmen muss, wird sich mein Leben extrem verändern. Daran denke ich täglich.
Gleichzeitig führt das hohe Alter eines Elternteils unweigerlich dazu, über das eigene Verfallsdatum nachzudenken, was dazu führte, dass ich zurzeit an meinem Testament feile. So wird man dann automatisch bereit für den Fall des Falles, und kann loslassen.
Meine Mutter und ich sind, obwohl als Lebensgemeinschaft geeignet, extrem verschieden. Ich habe viel mehr Ähnlichkeit mit meinem Vater.
Manchmal frage ich mich, ob ich etwas verpasst habe, aber so ganz ernsthaft ist mir diese Frage nicht. Man könnte immer etwas finden als Begründung, etwas verpasst zu haben. Aber gleichzeitig könnte man es auch umdrehen und betonen, dass man etwas gelernt hat, das einen bereichert hat in dieser ganzen Zeit.
Ich denke, die Fürs und Widers halten sich hier die Waage.
Während des Zusammenlebens mit meiner Mutter habe ich zum Beispiel meine Hobbys eingeschränkt, inzwischen zum größten Teil aufgegeben. Ich bin der Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens, ihre Haushälterin, ihre Pflegerin (da habe ich teilweise Unterstützung) und ihre Kommunikation. Es ist anstrengend, mit einem dementen Menschen zu kommunizieren. Gleichzeitig interessant, im Verlauf des geistigen Abbaus die Veränderungen zu beobachten. Dann dazu der Job, der zusätzlich die Wochenenden erheblich einschränkt (zugleich aber bei bestem Betriebsklima).
Gerne würde ich in meiner Freizeit gesündere Sachen machen und viel in die Natur gehen, sehr gerne klassische Konzerte besuchen und zu wissenschaftlichen Vorträgen und mehr zu buddhistischen Veranstaltungen gehen. Undsoweiter. (Habe gegenwärtig manchmal Bedenken, zu verblöden.)
Doch das alles ist mir nicht vergönnt, aber ist das ein Verlust? Das ist schwer zu sagen.
Wie gesagt, wenn sie nicht mehr da ist, wird sich mein Leben extrem verändern. Wobei ich hoffe, dass ich in der jetzigen Phase meine Gesundheit noch nicht zu sehr ruiniert haben werde, um dann später noch machen zu können, was jetzt nicht geht.
Ich denke, wenn man eine sehr enge innere Verbindung mit einem Menschen hat, dann fällt dieser Abschied schon schwerer.
Wenn da eine sehr nahe geistige Verwandtschaft besteht.
Das ist bei uns nicht der Fall, obwohl meine Mutter da heftigst protestieren würde, denn ich bin, wie sie glaubt, ihr Ein und Alles.
Meine Hoffnung ist, dass nicht der gewaltsame Fall eintritt, dass ich vor ihr gehen muss. Diese furchtbare Katastrophe möchte ich ihr an ihrem Lebensende ersparen. Sie soll unbedingt in Frieden sterben! Sobald aber mein Testament fertig ist, ist es mir egal, wann ich diese Welt verlassen muss, Hauptsache, die Natur hält die übliche Reihenfolge ein, dass Alt vor Jung stirbt.
Es ist mir wichtig, auch diese Aspekte in das Thema mit einzugeben.
Liebe Grüße, Amdap