Beiträge von diamant im Thema „Umgang mit dem Tod eines geliebten Menschen“

    Als ich Fahrunterricht nahm, war eines der Argumente meines Fahrlehrers in der 30er-Zone: "Wie willst du denn rechtzeitig bremsen, wenn zwischen den Autos ein Kind hervorläuft?" Es ist nie passiert (eine Gruppe muslimischer Mütter mit Kinderwagen kam uns stattdessen mitten auf der Fahrbahn entgegengelaufen).


    Ich verstand das nur theoretisch. Bis ich eines Tages eine Straße überquerte und zum Abschied mich noch einmal umdrehte, um dem Kind einer Bekannten auf der anderen Seite zu winken. Was dieses missverstand. Und auf die dicht befahrene Straße in meine Richtung lief - zwischen Autos hindurch. Die Mutter bekam es gerade noch zu fassen. Es durchzuckte mich in einem einzigen Augenblick, und ich hatte sofort das Gefühl, dass ich das zu verantworten gehabt hätte - durch einen Fehler, von dem ich nicht gedacht hätte, dass es einer sei. Ich meine, das sind Situationen, an denen man mit einigem Recht dann knabbern würde. Insofern hatte der Fahrlehrer den entscheidenden Punkt angesprochen.


    Das relativiert, finde ich, "gewöhnliche" Todesfälle, die wir nicht zu sehr hochspielen sollten.

    Ich habe dazu ein paar Beobachtungen gemacht. Es scheint mir was dran zu sein an der These: Je länger eine Zuneigung/Liebe dauerte, desto länger die Trauerzeit nach ihrem wie auch immer gearteten Ende. Auf der anderen Seite scheinen zwei Umstände die Trauer-Dauer entscheidend zu beeinflussen:


    1) Die Tatsache, ob man mit dem Menschen, von dem man getrennt wurde, ein klärendes oder "abschließendes" Gespräch führen konnte.


    Bevor mein Vater starb (Krebs), hatte ich z.B. die Chance, ihm für alles zu danken. Mein Vater hat nicht mehr erlebt, dass ich "aus meinem Leben was machte", was Väter sicher ganz gern sehen. Zu der Zeit hatte ich weniger als nichts. Aber ich wollte ihm vermitteln, dass ich für die Chancen und meinen Weg dankbar war, und die Freiheiten, die mir gelassen wurden und auch finanziell ermöglicht (Studium). Ich verstehe es kaum, wenn Leute meinen, leider hätten ihre Eltern nicht mehr erlebt, wie sie ... Kinder bekamen ... zu Kohle kamen ... usw. Wenn mein Vater meiner damaligen Realität nicht ins Auge hätte schauen können, wäre das in erster Linie sein Problem gewesen. Ich habe also kein schlechtes Gefühl.


    2) Die Tatsache, ob man mit der Trennung oder dem Tod eines anderen hadert.


    Meine Mutter (deutlich jünger als mein Vater) holt noch heute immer wieder die gleichen Thesen und Anschuldigungen, insbesondere gegen Ärzte hervor. Dieses "Festhalten" insbesondere an der "Warum er?"-Frage etc. verlängert die Trauerzeit. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass das keine Trauer mehr ist, sondern eine Neurose, die jemand unter dem Deckmantel der Trauer pflegt.


    Letztlich berühren mich natürlich auch Geschichten von Menschen, die ihrem verstorbenen Partner über den Tod hinaus treu bleiben. Aber bei genauer Betrachtung kann mich niemand davon überzeugen, dass dahinter nicht eine gehörige Portion Eigennutz steckt. Dies alles hat natürlich mit meiner eigenen Lebensphilosophie zu tun. Tot ist tot. Das wusste schon Jesus, als er rief: "Lass die Toten die Toten begraben." (So verstehe ich das jedenfalls.) Trauern ist eigentlich ähnlich wie heftige Liebe eine Art Wahn, eine Krankheit. Bei der Trauer ist es noch offensichtlicher als bei der heftigen Liebe, weil man sich dabei ja in der Regel scheiße fühlt. Auch wenn sie menschlich ist, sind die damit verbundenen Gedanken und Gefühle von einem recht illusionären Charakter. Wenn man Elefanten oder Hunde hat trauern sehen, kann man - außer der Rührung - auch darauf kommen: Es ist sogar dem Menschen schwer, mit dem Tod vernünftig oder gelassen umzugehen. Eigentlich irritierend, wenn man dagegen sieht, wie Tiere niederer Ordnung, etwa die kleinen Pharao-Ameisen in meinem Zimmer, offenbar damit umgehen. Die räumen die Toten weg und gehen sofort zu ihrem Alltag über.


    3) Angesichts auch der obigen Beiträge will ich noch etwas ergänzen. Wenn die tibetische Totenlehre stimmen würde, könntest du dich ja einfach auf die Suche machen nach der Wiedergeburt deiner Mutter (was die Tibeter mit ihren Lamas und Tulkus machen, kannst du dann sicher auch). Das könnte ich sogar ernsthaft raten, wenn es ein Trost ist - nämlich eine Person zu suchen, in der du etwas von deiner Mutter siehst und ihr Liebe zuzuwenden. Wenn das nicht wahnhaft wird, kann es die Welt vielleicht bereichern.


    Mein Weg ist aber der Zen-Weg. Der Geist meines Vaters, also ein Teil seines Wesens, lebt in mir weiter. Tatsächlich ist alles, was "re-inkarniert", also nirgendwo anders als in mir (mag sein, dass meine Geschwister das auch für sich reklamieren, oder meine Mutter). Das ist nicht anders wie mit dem Geist Deshimarus oder Sasakis oder U.G. Krishnamurtis. Da, wo wir wesensverwandt sind und ich etwas von den anderen angenommen habe und weitertrage, leben sie in mir fort. Also geistig. In Gedanken und den daraus vielleicht folgenden Handlungen. Freilich in Gedanken, die auch irgendwann nicht mehr sind. Das sehe ich also eher spielerisch.