Beiträge von Sudhana im Thema „Myôhô“

    Benkei:

    Ich habe mich aber schon oft gefragt:
    "Gibt es eine allgemein anerkannte Definition des Mystischen / Wunderbaren Gesetzes?"
    bzw.
    "Was ist dabei, also beim Myô-Hô genau gemeint?"


    Namaste Benkei,


    zur ersten Frage: definitiv nein. Zur zweiten muss ich etwas weiter ausholen, wobei ich gleich anmerken muss, dass ich mit Nichirens Lehre nur oberflächlich vertraut bin und das, was ich dazu weiss, hauptsächlich der sehr inspirierenden Bekanntschaft mit Susanne und Yukio Matsudo zu verdanken habe. Dr. Yukio Matsudo hat auch das deutschsprachige Standardwerk über Nichiren und seine Lehre (Nichiren, der Ausübende des Lotos-Sutra ISBN 3833407670) als Habilitationsschrift an der Uni Heidelberg verfasst, dass ich hier den am Nichiren-Buddhismus Interessierten ans Herz legen möchte.


    Ich denke mal, es ist sinnvoll, sich der Bedeutung von "Myōhō" theoretisch nicht über das Daimoku, sondern über das bei Nichiren zentrale Prinzip des "hō'n-in-myō" anzunähern - das Daimoku wäre die praktische Art, sich anzunähern. In der Nichiren-Praxis (zumindest der der SGI) wird das "hō'n-in-myō" nach dem, was man mir erzählt hat, im dem Sinn verstanden, dass es stets möglich ist, neu zu beginnen oder sich zu entschließen, das Leben oder die Einstellung zu ändern. Von einer "Übersetzung" ist das allerdings weit entfernt. 'Hō'n-in-myō' (本因妙) heisst "mystisches Prinzip der wahren Ursache", wobei der Begriff "mystisch" in dieser Übersetzung wie auch beim "Myōhō" nicht ganz unproblematisch ist. "Myō" (妙) ist ein Begriff mit einem sehr weiten Bedeutungsspektum. Die Hauptbedeutung geht in die Richtung "wundervoll, erhaben, hervorragend". Nebenbedeutung u.a. "rein, unbefleckt" (als chinesische Übersetzung des Sanskritbegriffs pranīta), auch "verborgen, zugrundeliegend, mysteriös" (wobei mysteriös und mystisch bekanntlich zwei verschiedene Paar Schuhe sind). Was nun die Nebenbedeutung angeht, die mit "mystisch" bzw. "mystic" übersetzt wird, so beruht diese auf der Interpretation von "myō" (妙) als "fuka shigi" (不可思議, etwa "jenseits diskursiven Denkens") – was wiederum die chinesische Wiedergabe von Skrt. acintya ist. Nun ist zwar richtig, dass Myōhō 妙法 die Übersetzung von Skt. Saddharma सद्धर्म ist (so jedenfalls durch Kumārajīva eingeführt) - nur lässt sich सद्धर्म (anders als 妙法) auch beim besten Willen nicht als "mystisches Gesetz" übersetzen ...


    Dieses "Prinzip" 'Hō'n-in-myō' findet sich so (durch diesen Begriff ausgedrückt) allerdings nicht im Lotossutra, sondern in einer der wichtigsten exegetischen Schriften zum Lotossutra, nämlich dem Fahua xuanyi (法華玄義, vollständiger Titel Miaofa lianhuajing xuanyi 妙法蓮華經玄義, T. 1716) des Gründers der Tiantai-Schule (天台宗) Zhiyi (智顗, 538-597) - einer der einflußreichsten Gestalten des ostasiatischen Mahayana. Nichiren Daishōnin wiederum kam bekanntlich aus der Tendai-Schule, also dem japanischen Ableger der Tiantai Zong, und bezog sich stark auf Zhiyis o.g. Werk, allerdings auf recht originelle Weise.


    Zhiyi prägt den Begriff 本因妙 (Jap. 'hō'n-in-myō') bei seiner Exegese einer Passage des 16. Kapitels (dem sog. Lebensspanne-Kapitel) des Lotossutra: "Seitdem ich Buddha geworden bin, ist eine äußerst lange, ewige Zeit vergangen. Meine Lebensdauer beträgt eine unermessliche Zahl von Asamkhyeya-Kalpas und bleibt stets erhalten, ohne zu erlöschen. Gute Männer, einst praktizierte ich einen Bodhisattva-Weg, und die Lebensdauer, die ich dadurch erwerben konnte, ist immer noch nicht erschöpft. Sie wird noch doppelt so lange dauern wie bis hierher vergangen." (Übers. Margarethe v. Borsig). Zhiyi verweist auf die besondere Bedeutung dieser Passage, weil es hier um die (wahre) Ursache für das Erwachen (die Buddhaschaft) des historischen Buddha Śākyamuni geht. Vordergründig aufgefasst ist das "Praktizieren eines Boddhisattva-Weges" das "mystische Prinzip der wahren Ursache" (hō'n-in-myō); die zugehörige wahre Wirkung (hō'n-ga) ist das ursprüngliche Erwachen, dessen Manifestation in der Zeit das Erwachen des historischen Śākyamuni Buddha ist.


    Zwischenbemerkung: kausale Bedingungen für das Erwachen spielen natürlich generell in der buddhistischen Soterologie eine zentrale Rolle und wurden/werden breit diskutiert. Außerhalb der Nichiren-Schule ist der gebräuchliche terminus technicus allerdings nicht 'hō'n-in-myō', sondern 'shō-in' (正因). Bei Zhiyi übrigens ist 'hō'n-in-myō' nur eines von zehn "mystischen Prinzipien", die er im Lotossutra identifiziert und hat insofern nicht die zentrale Bedeutung wie bei Nichiren.


    Entscheidend für Zhiyis Argumentation ist, dass das "Praktizieren eines Bodhisattva-Weges" ohne Anfang (zeitlos) ist; das gleiche gilt wiederum für das ursprüngliche Erwachen Buddhas. Es geht Zhiyi mithin nicht um eine einfache kausale Beziehung (Ursache-Wirkung), vielmehr ist die Auffassung, Buddhaschaft (Erwachen, Erleuchtung) könne erlangt werden, irrig. Dies widerspräche der zentralen Mahāyāna-Lehre von der allen Wesen 'angeborenen' Buddhanatur – "alle Wesen" sind Buddha, die konkrete Erfahrung des Erwachens (die sog. Erleuchtung) ist mithin nicht ein "Buddha werden" sondern die Realisierung der seit jeher existenten Buddhanatur (oder des "ursprünglichen Erwachens"). Es besteht also zwar eine kausale Beziehung zwischen Bodhisattva-Praxis und Erwachen – aber zwischen Ursache und Wirkung besteht keine temporale Beziehung, kein "Vorher und Nachher". Das kann man wohl ruhig ein "mystisches Prinzip" nennen ;)


    Dies erklärt auch die Deutung der Nichiren-Schule des "mystischen Prinzips der wahren Ursache" als Verweis auf den gegenwärtigen Augenblick, das Hier und Jetzt. Nichiren definiert das „mystische Prinzip der wahren Ursache“ als das „Gesetz von Nam-myōhō-renge-kyō“ (das steht so natürlich nicht im Lotossutra und auch nicht bei Zhiyi) und setzt es mit der mystischen nichiren-buddhistischen Praxis des Chantens des Myōhō-renge-kyō vor dem Gohonzon als "Rückkehr zum Ursprung des Lebens" gleich. Das ist aus seiner Sicht die Bodhisattva-Praxis, von der Śākyamuni Buddha im Lotossutra spricht.


    Das ist natürlich eine sehr nichiren-spezifische Lehre, die von vielen Buddhisten als heterodox abgelehnt wurde (und wird). Noch weniger Zustimmung von Buddhisten außerhalb der Nichiren-Schule findet Nichirens selbstbewusste Auffassung, er selbst sei (als Offenbarer des "Gesetzes von Nam-myōhō-renge-kyō") der wahre Buddha von hō'n-in-myo, also der Buddha der "wahren Ursache", und damit Manifestation aller drei Gestalten Buddhas nach der Sanjin- (Trikāya-)Doktrin, während alle anderen Buddhas einschließlich des historischen Buddha Śākyamuni lediglich den einen Aspekt der wahren Wirkung (hō'n-ga) manifestieren.


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