keks: Ich beschreibe beispielhaft Auswirkungen eines Erwachens. Mein "Bewusstein distanziert sich nicht mehr und mehr vom Körper". Gerade lief eine Medizinsendung zum Thema Darm. Er hat mehr Nervenverbindungen zum Hirn hin als umgekehrt. Es ist also der Körper, der den Geist stärker bedient als umgekehrt., Und ich glaube auch nicht, dass es "etwas Natürliches" ist, sich von Besitz zu trennen. Natürlich ist das Aneignen und Sammeln, und körperlich etwa sich Fettpolster zuzulegen. Es anders zu machen, setzt einen geistigen Reifeprozess voraus.
Insofern ist das mein Versuch, an konkreten Beispielen klar zu machen, was das heißt, wenn irgendwo von satori oder "Form ist Leere, Leere ist Form" die Rede ist. Ich glaube nicht, dass diese Dogensche (oder sutrische) Zen-Rhetorik es da allzu weit gebracht hat, das ist ein weitgehend in sich geschlossenes System. Darum konnte Dogen ja auch so böse irren, in seiner Meinung über Vimalakirti und das Laientum zum Beispiel. Darum musste er sich auch noch Sorgen machen, dass er die Unterstützung der Feudalherren genießt und gegen andere buddhistische Schulen wettern. Ich kann mich nicht mit dem begnügen, was Dogen sagte, ich muss auch bei ihm schauen, was er machte. Und das gilt genauso für den Dalai Lama. Ein Erwachtsein kann man behaupten oder leugnen. Ich habe meinen eigenen Blick darauf. Der schaut mehr auf das, was die Betreffenden konkret tun oder getan haben.
ZitatNur Buddhas folgen Buddhas nach.
Was liest man hier zunächst mal? Auch Idioten folgen Buddhas nach. Was hat dieser Satz also für einen Sinn? Idioten sind also auch Buddhas. Mit anderen Worten, alle sind Buddhas. Das hatten wir schon, allen ist die Buddha-Natur gegeben. Aber was bedeutet es konkret? Es macht natürlich einen Unterschied, ob der Idiot dem Buddha nachfolgt oder einer mit dem Nachfolgen Schluss macht. Deine Lesart, Thursday, von Jesus' "Folge mir nach" ist bereits mystifiziert. Nachfolge hieß erst mal, einem moralischen Kodex zu folgen und dem einen Gott zu dienen. Bei Dogen heißt es auch, Zazen zu machen. Beide haben konkrete Vorstellungen, wie diese Nachfolge auszusehen hat. Deshalb konnte man das dann später auch gut ritualisieren. Und sogar mystifizieren. "ist alles nicht so gemeint." Aber für die allermeisten Christen ist der Gott ein "Du". Dieses Du wird für sie nie identisch mit ihrem "Ich".
Auf der Zenebene heißt der Satz von Dogen, konkret umgesetzt, dass niemand niemandem folgt. Und das hätte Konsequenzen, die die meisten Dogen-Adepten zu scheuen scheinen. Aber, um in meinem Beispiel zu bleiben: So kann man nicht die Frage von Sanshin beantworten. "Niemand besitzt etwas." Das ist Zensprech. Sanshin hat nach meinem Eindruck eine konkretere Antwort gewollt, und im Leben werden solche konkreten Antworten auch immer wieder verlangt. Was ich mir dazu denke - dass da letztlich kein Ich ist und niemand, der besitzen kann -, ist dabei so sekundär wie für den Zahnarzt die Ursache für das Loch, das er füllt. Ganz abgesehen davon, dass es eine Lüge wäre. Denn so wie der Mönch noch seine zwei Roben zu brauchen meint und sein Sieb, so will ich nicht von meinen zwei Dutzend Unterhosen lassen. Und ich brauche dafür keine Entschuldigung. Und keine Rhetorik. Genau darin liegt meine Zenfreiheit. Dass ich mir keine Erklärungen wie ein Theravadamönch basteln muss. Und dass ich dennoch eine konkrete Antwort finden kann, wenn jemand nach meinem Besitz fragt.
Meine Empfehlung hier ist, dass man es nach diesem Muster tut und dann spürt, wie es zum Selbstläufer wird. Geben, was man nicht braucht, ohne Erwartungen.
ZitatGenau deshalb ist tiefe Einsicht der Leere identisch mit tiefe Einsicht der Form - es geht ja nicht anders. Deshalb gibt es eben Erwachen und Täuschung.
Ich weiß nicht, wie und wie viele hier diesen Satz verstehen. Er klingt sprachlogisch für mich folgendermaßen: Leere ist Form, darum ist Erwachen Täuschung. Beides ist beides zugleich.
Im Zensprech wird damit bestenfalls zum Ausdruck gebracht, dass all diese behelfsmäßigen Worte nur Unterschiede konstruieren, hinter denen sich eine "Wahrheit" verbergen mag, die unterschiedslos ist. Wie aber manifestiere ich Unterschiedslosigkeit auf Sanshins Frage hin? Indem ich sage: "Ich ging vor die Tür und gab dem Nächstbesten meine Schuhe. Es war der Hotelbesitzer von nebenan, der mit den zwei Goldketten am Hals." Nein. Konkret funktioniert "Leere ist Form", wenn ich meinen Verstand einschalte, und das Ausmaß von "Form" erkenne und in einen ethischen Zusammenhang bringe: Diese "Form" ist größer als jene. Ich gebe meine Schuhe also einem, der keine guten hat, und nicht dem mit dem großen Schuhschrank. Hingegen wäre der obige Zensprech konkret umgesetzt so vorzustellen: Es ist völlig unerheblich, ob ich diese Schuhe in den Müll werfe, sie dem Nächstbesten gebe, behalte oder einen Bedürftigen suche.
Konkret ist es jedoch so, dass sich ein getäuschter Zustand erheblich von einem erwachten unterscheidet. Und genau in diesem Sinn werden diese Worte seit Jahrhunderten auch in der Zenliteratur benutzt. Im Übrigen stellenweise auch von Dogen. Weil es unmöglich ist, diese Zustände nicht zu unterscheiden. Leere und Form kennzeichnen im Zen etwas anderes als Erwachen und Täuschung. Das ist auch im Diamantsutra klar ausgedrückt: Sieh alles, was zusammengesetzt ist, wie eine Illusion (nicht-gegenständlich), wie eine Butterlampe (Form), wie eine Wolke (Form) ... Auch hier kommt man gar nicht umhin, mithilfe konkreter Bilder, vor allem letztlich von "geformten" Dingen, auf etwas Wesentliches hinzuweisen. Auch hier wird Leere zu Form gemacht. Für mich heißt das: möglichst anschaulich klarmachen, wie sich eine Zenerfahrung oder -einsicht auswirkt. Die Erkenntnis von Leere = Form und umgekehrt ist also Erwachen, und die Nichterkenntnis desselbigen ist Täuschung. In den Worten des Diamantsutras: Sieh es so - oder bleib eben blind dafür.
ZitatDoch obgleich sich dies sagen lässt, fallen die Blüten in sehnsüchtiger Liebe, und das Unkraut sprießt zu unserem Ärger, und das ist alles. (Dogen)
und
ZitatMöglicherweise ist das nicht wahrscheinlich. (der mit dem Erwachen verbundene Wunsch, fiese Mongolen umzubringen)
Ich halte diesen letzten von Dir zitierten Satz für den wichtigsten. Denn damit sagt Dogen, dass es also "normal" und "vertretbar" ist, dass wir uns ärgern und irgendetwas "liebt". Das bestätigt doch, was ich oben sagte: Die Erkenntnis von Leere (oder "weder Verrirren noch Erwachen") verhindert nicht, dass sich diese - geglaubte, erfahrene - Leere in einer alltäglichen Form ausdrücken kann und wird. Wenn ich auf den Marktplatz des Lebens zurückkehre, unterscheide ich deshalb auch (wieder), auf der Grundlage einer neuen Erfahrung und eines veränderten Blickes auf die Dinge.