Beiträge von Sudhana im Thema „Götter...“

    Melniebone:

    Ich beschäftige mich nun schon seit mehr als einem Jahr mit dem Buddhismus. In dieser Zeit vertiefte ich mich in unzähligen Schriften und bin zurzeit am Pali Kanon. Dabei stieß ich immer wieder auf "Himmelswesen", "Götter", "Hungergeister" usw. ! Wie passt dieses zu dem Buddhismus, wo "Magie, Gott ähnliche Fähigkeiten usw" eigentlich nicht existieren.


    Zunächst einmal muss man sich klar machen, dass die Sutten des Palikanon in einer archaischen Kultur wurzeln, nämlich der des mittleren Gangestals im 6. oder 5. vorchristlichen Jahrhundert. Die Sutten richteten sich mit ihrer Botschaft also an ein Publikum mit einem entsprechend archaischen Weltbild, und das in der Regel in einer sehr bildhaften Sprache. Die abstrakte Sprache neuzeitlicher Philosophen hat eine jahrhundertelange begriffsgeschichtliche Entwicklung zur Voraussetzung - solche sprachlichen Mittel standen Buddha (und seinem Publikum) noch gar nicht zur Verfügung.


    Wenn man diese Texte als Philologe / Indologe bzw. Religionswissenschafter liest, ist es wichtig, dieses archaische Weltbild zu kennen bzw. aus den Überlieferungen zu rekonstruieren - ein sehr schwieriges und mit großen Unsicherheiten verbundenes Unterfangen, da man ja schließlich nicht in den Geist eines vor Jahrtausenden Verstorbenen hineinschlüpfen und mit Sicherheit sagen kann, wie er gedacht und empfunden, was er geglaubt hat. Wenn man diese Texte hingegen als buddhistischer Praktizierender liest, kommt es vielmehr darauf an, die mit dem Text transportierte Botschaft zu verstehen, soweit sie für die eigene Praxis von Belang ist. D.h. die Texte ihres kulturgeschichtlich bedingten Beiwerks zu entkleiden und auf ihre Kernaussagen zu reduzieren - sie zu verstehen. Anders (in Fachbegriffen) ausgedrückt: entweder geht man phänomenologisch oder hermeneutisch an diese Texte heran. Natürlich kann man auch beides tun - doch sollte man diese Ebenen nicht vermischen oder gar verwechseln.


    Bei einer hermeneutischen Herangehensweise kann man feststellen, dass das, was uns heutige westliche Menschen möglicherweise exotisch oder "esoterisch" anmutet, in Hinsicht auf die Lehre Buddhas ohne Belang ist. Das ist übrigens bei den meisten Mahayana-Sutren noch viel extremer als bei denen des Palikanon, der "phänomenologische Ballast" ist deutlich größer. Andererseits ist dieser Ballast weniger archaisch und sie verfügen sie über ein entwickelteres abstrakt-begriffliches Instrumentarium, das trotz des angesprochenen 'Ballastes' den Zugang erleichtert.


    Um die sechs Existenzbereiche herauszugreifen: die Zeitgenossen Buddhas waren davon überzeugt, dass es Hungergeister, Dämonen und Götter gibt und Buddha spricht deren Existenzbereiche (zusammen mit dem der Tiere, Menschen und Höllenwesen) wiederholt als Bereiche des Samsara an. Das war ursprünglich wahrscheinlich so zu verstehen, dass diese Existenzbereiche wie Parallelwelten zugleich existierten und Wesen aufgrund karmischer Ursachen und Bedingungen in allen sechs Bereichen erschienen und vergingen ("wanderten"). Manche moderne Interpreten greifen diese alte Kosmologie auf und deuten sie als eine Art Charakterlehre. Das kam hier schon zur Sprache - diesen Wesen wurden typische Charaktereigenschaften zugesprochen, die sich durchaus in unterschiedlichster Mischung in allen Menschen finden. "Authentisch" im religionswissenschaftlichen Sinn ist diese Deutung eher nicht, aber sie kann hilfreich sein, um z.B. karmische Wirkungen zu erläutern. Wichtig in Bezug auf buddhistische Praxis (und das ist das einzige, worum es wirklich geht) ist jedoch nur eines: dass einem die Existenz als Mensch die optimalen Bedingungen bietet, Befreiung zu erlangen.


    Anmerkung: oben ist von "Göttern" (Devas) die Rede. Das darf man nicht mit dem monotheistischen Gottbegriff verwechseln. Ein ewiger Schöpfergott ist eben kein Deva, sondern ein Issara (Skrt. Ishvara). Dieses Konzept war schon den alten Indern bekannt und Buddha lehnte es ausdrücklich ab - trotz Devas ist Buddhas Lehre im Sinne der monotheistischen Religionen atheistisch oder doch zumindest agnostisch. Was die Devas angeht, so hat Buddha sehr deutlich gemacht, dass man von ihnen keine Hilfe (ob nun natürlich oder übernatürlich) bei der Befreiung erwarten kann, da muss man sich sich schon selbst darum kümmern. Devas werden genau wie Menschen als "Gefangene" in Samsara vorgestellt - nur dass sie ein sehr viel glücklicheres und vor allem sehr viel längeres Leben als Menschen haben. Was ihnen allerdings auch die Motivation nimmt, Befreiung zu suchen und zu finden. Sie sind also für die Botschaft Buddhas ohne Belang - man kann an sie glauben oder nicht. Entsprechendes gilt für andere Existenzebenen (mal von denen der Menschen und Tiere abgesehen). Mit den "übernatürlichen Fähigkeiten" (Siddhi) ist es ähnlich. Man kann glauben, dass man sie sich durch lange und intensive Praxis zueignen kann oder auch nicht - man braucht sie jedenfalls nicht, es sind bestenfalls (falls sie real sein sollten) verzichtbare Begleiterscheinungen. Wenn man Probleme damit hat, kann man sich derartige Geschichten als eine Art Köder vorstellen, um Leute, die auf so etwas anspringen, zur Praxis zu animieren. Ob Buddha selbst daran geglaubt hat - wer will das schon so genau wissen. Die meisten seiner Zeitgenossen jedenfalls taten es - was nicht heisst, dass wir das auch müssen.


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