Beiträge von Jojo im Thema „Sila als Technik“

    Also ich habe das Gehen geübt, ist aber schon so lange her, dass ich mich nicht mehr konkret erinnere.
    Alle mir bekannten kleinen Kinder üb(t)en auch das Gehen, bevor sie es können, und die Freude ist jedes mal riesig und rührend, wenn´s dann klappt.

    fotost:

    In der üblichen Formulierung, etwa "Ich nehme mich der Übungsregel des Abstehens Leben zu nehmen an" ist dies eine sehr einfache Basisforderung, die relativ leicht einzuhalten ist (wenn man das dann noch auf menschliches Leben einschränkt). Die wenigsten Menschen bringen andere um. Das ist Pflichtteil der Veranstaltung und mußte für viele Menschen so formuliert werden.


    Die Kür ist dann die Einbindung dieser Idee in einen größeren Zusammenhang. Wenn es schon erstrebenswert ist, Leben nicht zu nehmen - wie viel erstrebenswerter muß es dann sein, Leben zu fördern? Bei sich selbst das volle Potential auszuschöpfen? Eine Umgebung zu schaffen, in der dies für viele möglich ist oder anderen direkt zu helfen?


    Ja, absolut. Im Soto-Zen wird das sogar explizit formuliert, wenn ich das jetzt richtig blicke. Den 10 Precepts (das Wort Gelöbnis, Gebot etc. mag ich nicht) sind nämlich noch die so genannten Three Pure Precepts (Drei reine Gebote) vorgeschaltet. Die drei können auf jedes einzelne der folgenden 10 Precepts angewendet werden. Ich versteh sie wie Level in einem Computerspiel:


    Level 1: Das Schlechte unterlassen, hier: nicht töten (ist relativ einfach, kann mit dem entsprechenden Willen und ein bisschen Beobachten fast jeder).
    Level 2: Das Gute tun, hier: Leben fördern (hm, was IST das Gute, was fördert Leben? Das setzt schon ziemlich viel an Einsicht und Durchblick voraus).
    Level 3: Das Gute für die anderen tun, hier: Eine Umgebung schaffen, in der dies für viele möglich ist (Das Gute für die anderen zu erkennen - dafür muss man glaub ich quasi schon erleuchtet sein)


    Ich spiele derzeit auf Level 1.

    @ stero


    Frage 1: Ist für dich Unterlassen und Unterdrücken dasselbe?


    Frage 2:


    Gehst du von der Annahme aus, dass der Wütende immer in einer unterlegenen Position ist? Was ist mit Wütenden in Machtpositionen?


    Eine Mutter, die den Impuls verspürt, ihr dauerschreiendes Kind zu schütteln und an die Wand zu knallen.
    Ein Diktator, der von seinen Untergebenen genervt ist.


    Was ist mit Wütenden, die schlicht niemals – auch durch den freiesten Ausdruck ihrer Wut – die Welt in die Richtung verändern können, die sie sich wünschen – auch wenn ihr Wunsch dazu absolut berechtigt ist? Die sich, im Gegenteil, durch den Ausdruck ihrer Wut in eine noch schlimmere Situation bringen würden?


    Ein durch einen Unfall Querschnittsgelähmter, der auf die ganze Welt wütend ist.
    Ein alter Mann, der auf Pflege angewiesen ist, und der auf seine Frau wütend ist, weil sie die einzige ist, die da ist.


    Was ist mit Wütenden, die sich irren?


    Meine Kollegin, die mich gestern anschrie, weil sie dachte, ich hätte einen Fehler gemacht – bis sie herausfand, dass sie den Fehler selbst gemacht hatte.


    Es gibt viele Situationen, in denen es fraglich ist, ob der unmittelbare, authentische Ausdruck von Wut ein kreativer und intelligenter Umgang mit einer gegebenen Situation ist.



    @ monikadie4.


    Zitat

    Hallo Jojo,
    ich vergleiche die Praxis gern mit körperlichem Kraft-Training, um Muskeln aufzubauen. Denn sobald nichts mehr "gemacht wird", erschlaffen die Muskeln.
    Genau so muss auch die geistige Kraft ständig im Training bleiben, damit diese wächst und eingesetzt werden kann.


    „Krafttraining“ finde ich einen etwas schwierigen Ausdruck. Er ruft – zumindest bei mir – Assoziationen in Richtung „Unterdrücken“ hervor, das von Stero ja schon als Gefahr angesprochen wurde. Den Ausdruck „Fingerübungen“ habe ich gewählt, weil es bei Fingerübungen auf genaue Wahrnehmung, auf Ruhe, Präzision und Leichtigkeit ankommt. Gleichzeitig ist bei Fingerübungen klar, dass es sich um Übungen handelt, also dass sie nicht das Ziel der Praxis sind – sondern nur ein Mittel, das der Automatisierung von häufig anzutreffenden Abläufen dient.


    @ sherab


    Ich beziehe mich auf die 10 Bodhisattva Precepts (Gelöbnisse, Zen-Kai) der Soto-Shu. Darin geht es ums konkrete Handeln. Blue hat einen Link dazu angegeben.
    Die drei Geistesgifte sind ja Anhaftung, Abneigung (Variante von Anhaftung) und Ignoranz, also eher prinzipielle Reaktions-/Seinsweisen.

    Thursday:

    Nimm mal dein Beispiel "nicht wütend werden" - das kommt ja drauf an - es kann angemessen sein, wütend zu werden


    Ja klar, das kann sein.
    In diesem Fall aber nicht, ich war nämlich ganz allein auf weiter Flur.
    Und ausserdem hatte ich mich selbst in die betreffende Lage gebracht - wie mir mit der Zeit klar wurde :D

    Habe vergessen zu erwähnen, warum ich das Thema eröffnet habe.
    Am Samstag musste ich leider sehr intensiv "nicht wütend werden" üben.


    Ich wäre so gern wütend geworden, aber leider hätte das nicht das Geringste gebracht.
    Also verbrachte ich den ganzen Nachmittag damit, "wütend werden" zu bemerken, mich zu entspannen, und zum Atem zurück zu kehren.


    Und ich muss schon sagen: wenn man sich die Einzelheiten von "wütend werden" immer wieder und gaaaaanz genau ansieht (mein Geist repetiert sowas dann nämlich bis zum Exzess, und es dauert, bis das abflaut), das ist schon nicht unspannend.


    Das Ergebnis der Untersuchung konnte ich heute im Job jedenfalls direkt anwenden.

    Pianisten machen Fingerübungen.
    Auch sehr gute Pianisten machen täglich Fingerübungen.


    Sogar Meisterpianisten machen täglich Fingerübungen: Erst SEEEEHR langsam, mit genauem Spüren auf die Qualität jedes einzelnen Anschlags, dann schneller und streng rhythmisch, mit Betonung auf bestimmte Schläge, schließlich im Fluss, ohne auf die Einzelheiten zu achten, mit Blick auf die gesamte Körperbewegung.


    Ich betrachte die Sila als eine Art „Fingerübung“. Sie bieten mir was, woran sich mein Geist aufhängen und worin er sich verbeißen kann. Manchmal, wenn es nicht so gut läuft im Alltag, checke ich die Silas ab und suche mir eine aus, die ich dann verstärkt übe.


    Sozusagen in allen Einzelheiten, wie ein Pianist eine Fingerübung.


    Meistens bleibe ich bei „Nicht-kritisieren“ hängen. Die genialste Sila (sagt man so? Oder heißt es Der Sila oder Das Sila?).


    Gerade überlege ich, sind Sila vielleicht schon mehr als eine Fingerübung, sozusagen eine Etüde?
    Die Fingerübung ist vielleicht das Sitzen *grübel*
    Obwohl, nein, das Sitzen ist mehr als eine Fingerübung *grübel, grübel*