Beiträge von Unreal im Thema „Geist /phil. Idealismus“

    Hallo Mabuttar,


    da ich mir jahrelang selbst den Kopf über die von dir gestellten Fragen zerbrochen habe, möchte ich dir ein paar Überlegungen dazu mitteilen, in der Hoffnung, dass sie dir vielleicht nützlich sein können. Dazu aber noch die Anmerkung, dass ich kein Buddhist bin, somit meine Aussagen durchaus im Widerspruch zur buddhistischen Lehre stehen können.


    Das "Ich im Kopf"


    Ich trenne Bewusstsein und das, was bewusst wird. Bewusstsein betrachte ich dabei als ein Prinzip. Das Prinzip, dass bewusstes Erleben erfolgt, das, genau das, ist für mich Bewusstsein. Es ist nicht mehr und nicht weniger. Dadurch, dass ich Bewusstsein als Prinzip betrachte, verliert es die Qualität "Existenz". Es ist weder etwas, noch ist es nichts. Ein Prinzip kann auch niemandem gehören, daher gibt es weder mein, noch dein Bewusstsein. Ist es ein Prinzip, gibt es nur eines, denn ein Prinzip ist mit sich selbst identisch und von sich selbst ununterscheidbar. Mit deinem Tod "stirbt" daher auch nicht dein/das Bewusstsein. Ist Bewusstsein ein Prinzip, ist es zugleich leer von weiteren Eigenschaften. Was das "Ich" betrifft, so ist Bewusstsein, bildlich gesprochen, lediglich die Bühne, auf der sich dein Leben abspielt. Diese Bühne gehört dir nicht, das Leben aller anderen bewussten Lebewesen spielt sich auf der gleichen Bühne ab.


    Alles, was das ausmacht, was wir "Ich" nennen, ist daher Teil dessen, was bewusst wird. Hierbeit handelt es sich um dichtes Geflecht von Relationen und Assoziationen. Innerhalb dieses Geflechts tauchen "meins" und "nicht meins", "ich" und "nicht ich" auf. Dabei handelt es sich um Ideen, die Bezüge zu anderen Ideen haben. Das es etwas gibt, was ich bin, ist eine Idee. Dass es etwas gibt, was meins ist, ist eine Idee. Dass ich es selbst bin, der alle diese Ideen hat, ist eine Idee. Dass "cogito, ergo sum" gilt, ist eine Idee.


    Alles, was das "Ich" ausmachen kann, bleibt in diesem Geflecht gefangen, nichts greift nach außen. Ich bin daher weder das Bewusstsein, noch kann ich diese Abfolge von Ideen sein, sie enthalten mich lediglich. Trotzdem kann ich in gewissem Sinne von "meinem" Erlebensstrom sprechen, auch wenn er nicht mein Objekt ist, sondern ich sein Objekt.


    Unter diesen Voraussetzungen ergeben sich Antworten auf deine Fragen wie folgt, sofern nicht schon oben erfolgt:


    Angenommen, es ließe sich ein Klon erzeugen, der dann über bewusstes Erleben verfügt, so würdet ihr beide zunächst die gleichen Erinnerungen haben, jeder würde von sich zugleich behaupten, er wäre das Original (jedenfalls falls ihn das Environment nicht vom Gegenteil überzeugt) und erst von diesem Moment an würdet ihr euch unterschiedlich entwickeln. Da das Erleben von vielerlei kleinsten Ereignissen abhängt, wärt ihr euch schon nach kurzer Zeit nicht viel ähnlicher, als eineiige Zwillinge, von eurer absolut identischen Vergangenheit mal abgesehen.


    Du bist beim Aufwachen nicht in immer dem gleichen Körper, weil da nichts ist, was Bestand hat und "Ich" in diesem Sinne sein könnte. Es wird vielmehr ein Erlebenskontext bewusst, der das Gefühl für speziell diesen deinen Körper enthält, sowie speziell deine Erinnerungen. Daher wird in speziell diesem Erlebenskontext immer der gleiche Körper mit immer den gleichen Erinnerungen bewusst. Das gilt aber für jeden anderen Erlebenskontext mit anderen Körpern und Erinnerungen ganz genauso. Keiner von diesen Erlebenskontexten gehört dir aber, du bist vielmehr in einem speziellen Kontext auch immer die zu diesem Kontext gehörende, spezielle Person.


    Falls das ad hoc schwer einsehbar ist, stelle dir vor, du wachst für einen Tag in einem anderen Körper auf. Aber Vorsicht, gemeint ist keine Mixtur aus dem Körper von Person A und den Erinnerungen von Person B, da dies nicht zusammen passt, würde einem das selbstverständlich auffallen. Wenn du jedoch im Körper von Person B mit den Erinnerungen von Person B aufwachst, was sollte dir da auffallen? Du könntest dich im Gegenteil fragen, warum du eigentlich immer als Person B aufwachst - obwohl du gestern noch Person A warst - du weisst es als Person B nur nicht.


    Das kann man auch noch auf eine andere Art interpretieren: Du bist jederzeit mit allen bewussten Lebewesen identisch - bzgl. des Bewusstseins als Prinzip.


    Es gibt daher im absoluten Sinne weder deinen Körper, noch dein Bewusstsein, noch dein "Ich". Dieses sind alles Dinge, die im Hier und Jetzt sehr vergänglich und sehr veränderlich als deins erscheinen, ohne dass es überhaupt irgendetwas geben würde, dem wirklich etwas gehören könnte.


    Das Bewusstsein ist immer, egal, ob du tot oder lebendig ist. Das einzige, was enden kann, ist die Bewusstwerdung dieses speziellen Erlebenskontextes, der sich so anfühlt, wie er sich für dich anfühlt.


    Die Frage, ob du mit dem Klon auf der fernen zweiten Erde identisch wärst, ist daher zu verneinen. Allerdings bist du nicht mal mit dem Original - also dir selbst - identisch. Du bist von jedem Augenblick zum nächsten ein anderer. Wenn du morgens aufwachst, bist du genauso wenig derselbe, der am Abend zuvor schlafen gegangen ist, wie der Klon mit dir identisch ist.


    Deshalb ist es auch kein Widerspruch, dass beide sehr unterschiedliche Überzeugungen haben werden - weil diese nur Illusionen sind. Der, der auf der Erde zurückbleibt und hier stirbt, wird die Illusion haben, dass die Sache nicht geklappt hat und er selbst als Original nun doch sterben musst. Der Klon wird hingegen die Überzeugung haben, dass alles wunderbar funktioniert hat und er tatsächlich als das Original weiterleben kann. Doch keiner von beiden ist wirklich das Original.


    Grüße und ein gutes, neues Jahr.