Beiträge von Calimero im Thema „Unterschiede der Richtungen für Anfänger erkennbar?“

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    Trotzdem, es geht dabei um reine Machtansprüche. Religion wird nur vorgeschoben um Machtansprüche zu legitimieren, indem irgendwer behaupten er wüßte, was irgendein Gott oder irgendwelche Götter wollen oder erwarten.



    Das klingt plausibel, was Du sagst. Wenn wir den Inder dazu befragen, was er zu einigen von ihm als leidvoll empfundenen Aspekten fühlt, dann wird er sicher diese als Unglück schildern. Wenn wir ihm aber ein Leben in Aussicht stellen, in dem er ganz allein mit einem auskömmlichen Standard in einer Single-Wohnung leben soll, ohne seine Familie, ohne sein Eingebundensein in das prallvolle Leben Indiens mit dem Wissen, dass er einst sehr wahrscheinlich alleine in einem Pflegeheim enden wird, in dem eine Pflegekraft drei Minuten Zeit für Wecken, Waschen, Anziehen, Frühstück hat... Das wird ihn arg erschrecken!


    In beiden Leben kann man glücklich sein und bleiben. In beiden Leben kann man von Leid verzehrt werden.


    Wo bin ich nun glücklicher dran?

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    Klar, die Millionen Inder, die obdachlos auf den Straßen der Städte dahinvegetieren, wirken alle sehr zufrieden :lol:


    Das ist gut, dass auch du das so siehst. Es gibt verschiedene wissenschaftliche Studien, die ebenfalls zu diesem Ergebnis kommen. Das Phänomen ist auch auf den Bildern im zerstören Berlin zu sehen - bis auf die Knochen abgemagerte, deutsche Kinder, die ausgelassen und voller Freude und Glück in der Spree baden. Es scheint also nicht auf den Kulturkreis beschränkt.

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    Sehr gut bemerkt. Dabei leistet sich Indien aber Raumfahrt- und Militärtechnik vom Feinsten, der Staat ist von Korruption zerfressen und kann Leib und Leben von Frauen nicht schützen, und es ist faszinierend privilegierte indische Besitzbürger mit von Nationalstolz geschwellter Brust von der indischen Kulturnation schwadronieren zu hören, die dem Westen weit überlegen sei und schon immer überlegen war.


    Bewertest Du?


    Ist es nicht so, dass nicht die Korruption oder das Verhalten den Frauen gegenüber, Glück oder Unglück schafft, sondern die Haltung der jeweiligen Person zu ihren Erfahrungen? Es wirklich erstaunlich, aber gerade weil viele Inder trotz der harschen Umgebung ein kindliches Vertrauen in ihre Religion haben, und ihnen nicht viel gegeben und das wenige oft gleich wieder genommen wird, sind sie innerlich ziemlich glücklich, weil sie weniger anhaften als wir an unsere Materie, die wir uns kofferaumweise beschaffen und ins Haus holen.

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    Lieber Engelbert, in diesem Zusammenhang würde es mich interessieren welche persönlichen Erfahrungen du in Indien gemacht hast, noch dazu in einem Dorf ! Aber nur, wenn Du möchtest, gerne auch via p.N. :)


    Das können wir gerne machen. Ich schicke Dir einfach meine Telefonnummer, dann können wir fein reden. HG, Engelbert

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    vielfach nicht mehr so ist glaube ich gerne. Trotzdem gibt es nach meinen
    Informationen auf dem Indischen Kontinent die größte Vielfalt an religiösen
    Richtungen auf der ganzen Erde und es gab damals ja auch viele die ohne
    Probleme nachdem sie mit dem Buddha sprachen ihre Richtung geändert haben.



    Wir im Westen mögen uns in den vergangenen 300 Jahren sehr verändert haben. Es ist ein Trugschluß, dies auf das 5000 Jahre alte Indien zu projizieren. Indien ist in Bezug auf seine sozial-kulturellen Verfassung versteinert. Das Leben, so wie es richtig zu führen ist, das ist so in Stein gemeißelt, wie die Tempel von Mahabalipuram. Der Kontinent mag mittlerweile TATA und Reliance haben, Mittal und BharatOil, aber er hat sich nur äußerlich ein wenig bewegt. Nach innen, da wo wir es als Westler nicht wahrnehmen, da ist Indien das, was es immer war. Es ist völlig intakt, deshalb fällt dieser Kolloss von einem Land auch bei aller Armut nicht auseinander. Obwohl die meisten Einwohner keinen persönlichen Grund hätten, das System zu stützen. Ich habe zugeschaut, wie ein Grundbesitzer einen Bauern halb totgeprügelt hat und Frau und Kinder vor der Schilfhütte standen und Rotz und Wasser heulten. Es ging um eine Kleinigkeit. Dieser Mann hatte kein Recht auf Gegenwehr. Deshalb hat er sich verprügeln lassen wie einen Hund und in den Staub geblutet. Das war sehr eindrucksvoll. Solche Szenen sind nicht selten. Die Menschen befinden sich dort heute wie zu Zeiten Buddhas in einem nahezu unveränderten System aus furchtbarer Abhängigkeit.


    Nimm Deinen Pali Kanon und gehe nach Zentralindien. Setze Dich unter einen Baum und Du kannst sehen, was Buddha gesehen hat. Buddha hat nicht zuvorderst fromme Westler gesehen, denen die Verdauung nicht mehr gelingt, weil sie zu viel stopfen. Er hat einen Ausweg gefunden für die Gequälten, die Gepeinigten. Die Generationen sind in Indien wie Weizen über die Erde gekommen, wurden gesät und geerntet. Es hat sich kaum etwas verändert.


    Siddharta Gautama würde sich im heutigen Indien sehr schnell zurechtfinden und seine Religion sofort erneut zu lehren beginnen, denn es wurde nicht verstanden. Das schöne ist, dass die Inder sehr vertrauensvolle Menschen sind. Sie würden ihm sofort kindliches Vertrauen schenken. Und wir würden einen weiteren Thread öffnen.

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    So wie ich informiert bin waren und sind die Leute dort unheimlich gut zu Fuß.


    Da bist Du offensichtlich nicht so gut informiert worden, denn die meisten Menschen waren seinerzeit quasi Leibeigene, mindestens aber Untertanen, die sich ohne Erlaubnis nicht frei fortbewegt haben. Wenn Bauer Ram eigenständig sein Land verlassen würde, dann würden Ernte und Steuern ausfallen. Das wurde sicher nicht geduldet.


    Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung war auch nicht frei, sich die Religion auszusuchen, sondern das wurde vom Fürsten bestimmt. Selbst heute gibt es keine große Wanderbewegung, sondern der Großteil der Bevölkerung, die Bauern, bleibt auf ihrer Scholle und ackert und betet das an, was seit langem im Tempel hängt. Zeit für 11000 Mitteilungen im Buddhaland haben sie auch nicht. Das kann ich deshalb ziemlich genau sagen, weil ich mehrere Jahre in Indien auf dem Dorf gewohnt habe.


    Der Überblick über die verschiedenen Schulen und die Lehrtätigkeit beschränkte sich in der Tat - und bis heute - auf die Geistlichkeit. Aber das Volk bleibt davon recht unberührt. Genauso wie bis heute das Analphabetentum weit verbreitet ist, so ist auch das Verständnis der Religion nicht groß entwickelt. Wir idealisieren bzw. interpretieren das manchmal so und meinen, dass in Südasien alle Menschen ein gutes religiöses Verständnis haben. Das ist aber nicht so, weshalb es auch zu vielgestaltigem Mißbrauch der Religion kommt.


    Herzliche Grüße,


    Engelbert

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    Ja, genau wie zur Zeit des Buddha. Da gab es auch ein
    reichhaltiges Angebot und viele verschiedene und Lehren und Ansichten.


    Korrigiere mich bitte, aber ist es in Südasien nicht bis heute so, dass viele Menschen ihr Dorf Zeit ihres irdischen Lebens nicht verlassen? Viele Dörfer haben bis heute kein Internet und die Sozialstruktur verbietet es, individuelle Richtungen zu suchen. Man wächst in seine Linie hinein und bleibt dieser verbunden. Das Angebot mag zur Zeit Buddhas reichhaltig gewesen sein. Ich meine, für den einzelnen Menschen war es das nicht.


    Wir hingegen haben nun die Richtungen vor uns liegen und stellen große Gedanken zur Sinnhaftigkeit dieser oder jener Richtung an. Ich würde meinen, dass man sich bereits aus logistischen Gründen der Richtung widmen sollte, die einem räumlich nahe ist. Es wäre doch schade, wenn man einen Sangha mit einer ganz genehmen Richtung findet, der dann aber doch so weit weg ist, dass man ihn zunehmend weniger besucht, weil die Anreise am Abend nach getaner Arbeit so mühsam ist. Je näher, desto praktikabler. Wir sollten auch solche, rein praktische Überlegungen in unsere Entscheidung einfließen lassen.


    Herzliche Grüße,


    Engelbert

    Liebe Doro,


    dieses Problem der verschiedenen Wege haben eigentlich nur wir modernen Menschen. Es ist ein wahrer Luxus, oder? :D


    Es ist ein Problem, das früher wohl nur die höchsten Gelehrten erkannten, denn nur diese waren überhaupt gewahr, dass es unterschiedliche Wege gab. Die gläubigen Tibeter einer bestimmten Region hatten eine bestimmte Schule, die vom Kloster vor Ort gelehrt wurde, die Japaner hatten ihre Schule, die dort von einem Kloster bewahrt wurde, die Thailänder die Ihrige. Nur wir haben jetzt alle Wege vor uns im Internet und sind arg verwirrt.


    Ich habe mir gesagt: ich war schon hunderte Male auf dieser Welt ("es gibt kein Lebewesen, das in einem früheren Leben nicht bereits Deine Mutter war") und wenn ich jetzt hier in Berlin beginne, dann ist das eben jetzt Kagyü, glücklicherweise in der Rimé-Tradition. In vielen anderen Leben waren es sicher andere Richtungen. Ich glaube, ich habe sie schon alle mehrfach durch. Ich vertraue darauf, dass auch dieser Weg mich gut voran bringt.


    Das Buddhistische Zentrum in dem ich mich zuhause fühle, lädt unentwegt verdiente Meister aus allen Ländern, Strömungen und Richtungen des Buddhismus ein. Der Gründer unseres Zentrums, Ringu Tulku Rinpoche, ist selber Gelehrter aller vier großen Schulen des tibetischen Buddhismus. So können wir unentwegt die Lehre Buddhas aus verschiedensten Richtungen anschauen.


    Ein Lehrer, Chokyi Nyima Rinpoche, hat einmal gesagt: "Es gibt da eine traditionelle Analogie für buddhistische Belehrungen. Besitzt man einen großen Topf mit Melasse, so schmeckt sie überall gleich süß, unabhängig davon, von welcher Seite aus wir sie kosten". Im selben Interview fuhr er fort: "Aber es gibt einen Meister, den ich persönlich getroffen habe, dies ist Khunu Lama Tenzin Gyaltsen, und niemand wusste, selbst nachdem er gestorben war, welcher Linie er tatsächlich angehörte. Kagyu Lehrer erhielten Kagyu-Belehrungen von ihm und demzufolge dachten sie, es handle sich um einen Kagyu Lehrer; Gelug-Anhänger dachten, er wäre Gelugpa; Sakyas dachten, er wäre ein Sakyapa; und Nyingma’s dachten, er wäre ein Nyingmapa. Auch ich habe persönlich viele Instruktionen von ihm erhalten, aber er äußerte sich dabei nie über seine Präferenz". Das ganze Interview findest Du hier: http://www.buddhistische-sekte…rerische-einstellung.html


    Das fand ich eine coole Aussage.


    Herzliche Grüße,


    Engelbert