Beiträge von Selbst im Thema „7 Jahre in Tibet: Beispiele für den Buddhismus.“

    Mir fallen zuerst ethnografische und Tierfilme ein. Dann zu dem Thema, das Sudhana ansprach, die Doku "Shoah". Etwas ähnliches sah ich mal mit ehemaligen Kriegsteilnehmern aus Japan, die bis hin zum Kannibalismus Geschichten zum Grausen aufführten. Das ist zwar eine sinnliche Erfahrung (des Schocks), aber dennoch lehrreich. Man kann so etwas auch lesen, aber die Gesichter dabei zu sehen, wie sie sich in Erinnerung in Tränen auflösen z.B., verstärkt den Eindruck doch sehr. Manchmal sagt einem ein Bild eben mehr als tausend Worte. Aber prinzipiell ist dann mit Sachbüchern natürlich eine ganz andere Vertiefung des Themas möglich. In unserem Fall hier hat verrückter narr im Salon gerade schön zitiert, wie man leider durch Filme auch Falschinformationen bekommen kann, die dann mühsam wieder verlernt werden müssen (z.B., wenn man sich mit Harrer und Kollege beschäftigt, dass sie beide völlig abstinent in Tibet gewesen sein sollen, da war nix von der im Film oft obligatorischen Liebesgeschichte). So etwas finde ich dann manchmal auch ärgerlich. Eine Landebahn, die es nicht gab etc., muss das denn sein, oder ist da der Autor nicht ein bisschen faul?

    Diese Medienkritiker, so recht sie einerseits haben, sind auf dem einen Auge doch blind. Lese ich ein Buch von Beckenbauer, wird mir das weniger Sinn machen, als ihm beim Herausreden im TV zu sehen, wie er sich selbst entlarvt. Über witzige Bücher kann ich genauso lachen wie über Woody Allen im Film. Zuletzt wurde eine Welle neuerer episch angelegter amerikanischer TV-Serien von Kulturkennern mit literarischen Meisterwerken verglichen und auf eine Stufe gestellt. Das ist auch richtig, denn die meisten Dinge, die wir als Film sehen, beruhen auf gedruckten Medien, nämlich Drehbüchern. Man kann diese Medien gar nicht so trennen, wenn man ihren Entstehungsprozess kennt.


    Zählt man all den gedruckten Schund zusammen ("Groschenromane") wiegt der womöglich so schwer wie das sinn-lose der bildgewaltigen Medien. Die Kunst besteht doch immer in der Auswahl. Lese ich das Falsche, ist es auch bloß für die Sinne. Und was heißt "bloß"? Ich möchte den sinnlichen Genuss von Fußballspielen im TV nicht missen, die nutzen mir gedruckt nicht halb so viel. Irgendwie werden diese Kritiker der Vielfalt der Bildmedien nicht gerecht. Außerdem sage ich ja auch nicht: "Na, Professor Hörisch, essen Sie auch jeden Tag ihren Broccoli und ihren Reisschleim? Denn das macht Sinn. Dass mir ihr Essen bloß nicht zu sinnlich wird. Und die Beziehung zu Ihrer Frau bitte auch nicht ..." ;) Daran erkennt man doch, dass dieser Vergleich Sinne-Sinn rhetorisch geschickt ist, aber an unseren menschlichen Bedürfnissen vorbeigeht. Hier stellte Alltibasu m.E. die Frage nach Sinn. Aber andere, die nicht seine Aufgabe hatten, haben mit Recht den Film möglicherweise eher auf der Ebene der SinnE erlebt. Denn das ist der Sinn eines solchen Films. Sozusagen seine eigene Natur. Er will zwar Sinn machen, das muss er auch, aber vor allem sinnlich sein.


    Es ist z.B. eine Kunst, Bilder wie in Annaud-Filmen zu erzeugen. Das ist aus meiner Sicht schwieriger, als einen Text für eine Tageszeitung zu verfassen, darum dauert es auch länger, braucht mehr Technik, Zeit, Arbeitskraft usw. Es ist Arbeit. Wenn es Kunst wird, sollte es auch sinnlich sein. Der Sinn ergibt sich für den jeweiligen Betrachter, zum Beispiel auch im Glücksgefühl beim Betrachten. Sinn macht m.E., wenn Bildmedien einfach mit den anderen koexistieren. Es gibt Menschen, die total im Medium Film (oder Theater) aufgingen und ganz weise Geschichten erzählt haben, wie Ingmar Bergman. Ob der genannte Professor die kennt? Eine starke Szene im Film kann mich so bewegen wie eine im Buch, und für mich Sinn machen, mein Denken, Leben und Handeln beeinflussen. Wenn ich träume, sehe ich übrigens auch Filme, ich lese da keine Druckwerke. Das sollte uns doch auf den Teppich bringen.


    Ein anderes Beispiel, wie ich Hörichs Aussage widerlegen kann: Eine Zeitung machte Sinn daraus, einen ehemaligen Bundespräsidenten abzusetzen. Sah man jedoch den pikierten Zeitungsmacher, der hinter der Kampagne stand, im TV, konnte man schon in etwa erahnen, um was es wirklich ging. Bilder können also entlarvender sein als Worte. In Annauds Film sieht man z.B. schießende Tibeter. Wenn man nun in einem gedruckten Werk ein Dalai Lama-Interview liest, indem er die Friedfertigkeit seines Volkes preist, wird man stutzen und womöglich von diesen Bildern erkenntnismäßig profitieren.

    Zitat

    Auch hier die Frage: was hat das mit uns zu tun?


    Lieber Sudhana, das kann ich in Bezug auf Harrer, Würmer und Flüchtlinge beantworten. Mit ersterem und letzterem habe ich momentan nichts zu schaffen. Am ehesten müsste ich mir tatsächlich die Frage stellen, wie ich mit den Würmern beim Umgraben umgehe. Ist es meine Aufgabe, mich Dingen zu widmen, die nicht zu meinem Leben gehören? Da kommen wir zu voids Analyse.


    Man kann sich nicht nur gegen Faschismus aus dem Buddhismus heraus positionieren, sondern gegen jede illusionäre Ideologie, also auch gegen religiöse, linke, wie man sie auch nennen mag. Vom Buddhisten erwarte ich einen klaren Kopf. Einige Architekten haben eine aufgeschüttete Insel mit einer völlig neuen Stadt zwischen Tunesien und Italien erdacht, das finde ich zum Beispiel toll. Es gibt aber wohl keinen politischen Willen, das zu verwirklichen. Drei Probleme hätten die Flüchtlinge dort nicht in der jetzigen Form: mit Misstrauen Einheimischer konfrontiert zu sein, mehrere Monate lang im Jahr zu frieren und eine fremde Sprache lernen zu müssen.


    Warum erwähne ich das? Es gibt nicht viele Projekte, die ich in der Sache oder in der Tat unterstützen würde, was das Flüchtlingsproblem angeht. Ich belasse es also nicht bei deiner Frage, ich kann das für mich beantworten. In ganz Europa macht sich, vielerorts viel deutlicher als hierzulande, eine Flüchtlingsfeindlichkeit in Wahlergebnissen Luft, die ich nicht übersehen kann. Das sind demokratische Entscheidungen, die ich auch akzeptieren muss. Mir gefallen darum Lösungen, die den anderen möglichst so sein lassen, wie er ist, in einem Umfeld und einer Umwelt, die er kennt, und die dem Willen vieler gerecht werden, nicht zu viele Fremde ins eigene Land zu lassen. Das verringert auch die Gefahr von Übergriffen derer, die auf jeden Fall hier bleiben werden (weil sie einen Pass haben) und offensichtlich von zuviel Fremden überfordert sind.

    Annaud, der früher auch mal Entwicklungshelfer in Kamerun war, hat für diesen Film damals von den deutschen Arthouse-Kinos (!) einen Hauptpreis bekommen. Sicher beherrscht er auch das Spielen auf der Gefühlsklaviatur, wie man sie mit dem Hollywoodkino identifiziert. Vor allem aber ist er bildgewaltig und hat einen Hang zu asiatischen Themen und Drehorten, kürzlich durfte er wieder in der Inneren Mongolei drehen.


    Ich glaube, der Rest deines Beitrags, lieber Sudhana, zeigt eher, dass Harrer dich "kratzt" und du auf politischer Mission bist. Nichts gegen dein Anliegen, aber war dieser historische Exkurs nötig, in einem deutschen Forum, wo keinem Schüler die Geschichte des Nationalsozialismus unbekannt sein dürfte (dagegen die Chinas unter Mao, die Tibets, die Kambodschas, die Mauritius' usw. wahrscheinlich schon, da sie nicht auf dem Lehrplan steht)? Wie gesagt, man ersetze den Namen "Harrer" etwa durch den Namen "(H.) Schmidt", und es wird auch ein Schuh daraus. In diesem Film jedenfalls begegnet Harrer dem Buddhismus so gut wie gar nicht, er begegnet einem neugierigen Kind, das von ihm vor allem ein Kino gebaut bekommen haben will. Ich mache nun ein neues Topic auf, um zu zeigen, wie ich die Sache anging. Was wird hier - unabhängig von der Figur Harrer, weil man es nämlich so noch heute oder auch anderswo belegt findet, außerhalb fiktionaler Kontexte - als Buddhismus von Tibetern betrachtet und warum ist es möglicherweise keiner?


    Warum nun Harrer buddhistische Reue nahegelegt werden soll, verstehe ich auch nicht, er hat doch im Spiegel-Interview mehr oder weniger zu erkennen gegeben, dass er Agnostiker ist, und es steht mir nicht an, eigene oder zumindest buddhistische oder andere religiöse Ideale jemandem nahezulegen, der vielleicht seinen eigenen Weg hat, Gutes zu tun.


    Ja, und was geht uns oder mich dieser Film an? Eine gute Gelegenheit, darzustellen, was der Buddhismus könnte und woran er, gemessen an seinen Idealen oft scheitert. Ich führe das gleich auf, am besten im Salon. Was wir als Buddhisten hier uns fragen können, da hast du natürlich recht, ist, wie wir uns zu aktuellen ethischen Fragen wie dem Umgang mit Flüchtlingen positionieren. Ich glaube allerdings auch da nicht daran, dass es nur einen Weg gibt, den man aus dem Buddhismus ableiten kann. Buddhistisch geprägte Länder, die mit Flüchtlingen schlimmer umgehen als wir, können da schon einen Fingerzeig geben. Die haben keine nationalsozialistische Vergangenheit (oder ungebrochene Verbindung) und können sich trotzdem ihre Gründe zurechtlegen, warum sie so mit Andersgläubigen oder Einwanderern umgehen.

    Zitat

    man kann sicher noch verspätet versuchen, das eigentlilche Thema anstatt der eigenen Reaktionen darauf zu behandeln.


    Lieber Yofi, ein solches Problem hatte ich nicht, ich habe das eigentliche Thema behandelt. Morgen ist ja Abgabetermin, und ich bin davon ausgegangen, wer sich die gleiche Mühe macht wie ich und den ganzen Film vornimmt, wird das Alltibasu senden, statt hier erst eine öffentliche Diskussion einzuleiten, die nur auf Nebengleise führt (wie die Nazi-Mitgliedschaft Harrers). Ich brauche für meine Gedanken nicht den Segen anderer, und Alltibasu wird kritisch genug sein, zu nehmen, was ihm beliebt, von wem es auch kommen mag.


    Einige der Dinge, die mir auffielen, kann ich nächste Woche gern zitieren, weil sie Fragen nach buddhistischem Tiefsinn aufwerfen, wie die schon angedeutete Problematik mit den Würmern (wobei Alltibasu das ja gar nicht bis in die Tiefe abhandeln muss und das dann auch mehr Platz erfordern wird).

    Lieber Sudhana, wegen der Produktionsgesellschaften und des französischen Regisseurs würde ich nicht einfach von einem "Hollywood-Film" sprechen wollen. Es wird gleich zu Beginn darauf hingewiesen, dass Harrer Nazi war. Und die Aufgabe, die der Schüler bekam, war ja eine andere: Was ist hier "Buddhistisches" zu entdecken? In einem Ethikkurs werden dann populäre buddhistische Filmklischees womöglich zu interessanten Fragen nach einer buddhistischen Moral. Was die Mythenbildung angeht, so scheint mir der tibetische Buddhismus selbst da eine geeignete Matrix zu sein. Der Dalai Lama wird im Film als Wiedergeburt von Avalokiteshvara bezeichnet, eines Bodhisattvas. Trifft da nicht Mythos auf Mythos, auch wenn Harrer es nicht mit Sozialkritik hat, sondern mit Naturbewunderung? Letzteres hat er wohl mit dem Regisseur gemein.


    Interessant wäre ein Vergleich mit dem gleichnamigen Film von 1959, in dem Harrer selbst mitspielte. Vielleicht findet man den auch online.

    Liebe Elke, ich möchte dir zustimmen. Und erlaube mir eine kleine Spitze, weil ich dem Schüler ja nun meine themenbezogene Hilfe zukommen ließ und das Thema von dieser Seite her abgedeckt habe.


    Natürlich sollte man die Kritik an Harrer bedenken. Aber wenn ich mir überlege, dass er dann mit 26 oder 27 Jahren in Gefangenschaft kam, und das für 5 Jahre, während Helmut Schmidt noch mit 26 Jahren seine "tadelfreie nationalsozialistische Haltung" bescheinigt bekam und später Bundeskanzler wurde - dann frage ich mich wirklich, was die Aufregung um Harrer soll. Wenn man bei Schmidt die "Allerweltseinträge" relativiert, warum gestattet man das Harrer nicht, der Sportlehrer war und im Krieg selbst "weit ab vom Schuss"?
    http://www.spiegel.de/politik/…machtsakte-a-1005719.html


    Was mir an Harrer im Spiegel-Interview gefällt ist, dass er sich nicht von der ganzen Atmosphäre um den Dalai Lama einlullen ließ und kritischen Abstand zur Religion bewahrte. Das zeigt sich meines Erachtens sogar noch im Film, denn der ist kein gelungenes Plädoyer für den Buddhismus, sondern eher ein Folklore-Porträt.

    Liebe(r) Alltibasu, kannst du es uns nicht leichter machen mit einer Liste der Dinge, die dir aufgefallen sind? Nicht jeder hat diesen Film zuhause.
    Ist das eine Schulaufgabe? Es klingt so, nämlich ein bisschen naiv, denn DEN Buddhismus gibt es nicht. Ich gebe dir ein Beispiel als meine persönlichen Gedanken zu deiner Frage (da ich nicht in Anspruch nehme, für den Buddhismus insgesamt sprechen zu können):


    Was Tibeter tun, ist womöglich eher tibetisch geprägt als buddhistisch (Motiv angestammte Kultur). Gartenarbeit (Umgraben) ist im Theravada-Buddhismus den Mönchen z.B. verboten.
    Einen Wurm, der ausgegraben ist, muss man nicht eingraben, das kann er schon selbst (Motiv des "Nicht-Handelns" oder Nicht-Eingreifens).
    Ist einen Wurm eingraben deshalb gut, weil man ihm einem Vogel wegschnappt, der ihn getötet hätte? Und der Vogel, der dadurch satt geworden wäre? (Motiv Unterscheidung)
    Viele Würmer werden beim Umgraben zerteilt. Was macht man nun? (Das könnte ein Zen-Koan sein - Aus eins wird zwei, wie machst du wieder eins daraus?)


    Das könnte ein spannendes Projekt sein, wenn du uns hilffsft. Mit sehr vielen Antworten, die euch alle vielleicht zu reghaften Diskussionen anregen, die über den Film und "den" Buddhismus hinausgehen. Mich würde freuen, wenn ihr dabei zur Erkenntnis kommt, dass ethische Fragen nicht immer einfach und schematisch zu beantworten sind und die verschiedenen buddhistischen Schulen auch unterschiedliche Perspektiven haben.