Beiträge von 123XYZ im Thema „Worauf will Nagarjuna raus?“

    Ein vielleicht passendes Beispiel punkto Aufklärung und Buddhismus:
    "Über die ästhetische Erziehung des Menschen" von Friedrich Schiller.


    Schiller verfasste dieses Werk aufgrund des blutrünstigen Verlaufes der Französischen Revolution.
    Er ist vereinfacht ausgedrückt der Ansicht das die Menschen erst zur Freiheit erzogen werden müssen um die Freiheit auch human leben zu können.
    Hierzu bedient er sich des Modells einer "ästhetischen Erziehung".


    Schiller ist der Ansicht das Menschen über eine rationale, vernunftbasierende und natürliche, emotionale Seite verfügen.
    Das Ideal sieht er darin die Menschen so zu erziehen das beide Seiten voll entfaltet miteinander in eine Art Spiel geraten.
    Er schreibt das die beiden Sichtweisen als getrennt voneinander/nebeneinander exisitierend zu betrachten sind.
    Beide Qualitäten müssen gleichwertig entfaltet werden sonst führt dies zu Extremen wie der Gewalt der Frz. Revolution.


    Eine Vorstellung davon wie dieses "ästhetische Zusammenspiel" von Vernunft und Empfindung funktioniert soll zB der Anblick ergreifender Gemälde bieten. Die betrachtende Person hat keine Begriffe dafür warum sie dieses spezielle Bild ergreift und in einen Zustand der Verzückung geraten lässt. Es ist nicht definierbar. Beim Anblick solcher Kunstwerke geraten laut Schiller Logik und Gefühl miteinander in ein ästhetisches Spiel. Das Kunstwerk scheint alles genau richtig zu machen und beide Seiten vollauf zu befriedigen und zu stimulieren ohne das man Worte dafür hat.


    Dieses ästhetische Zusammenspiel beider menschlicher Seiten hält Schiller für erstrebenswert damit die neu erworbene Freiheit im Zuge der Aufklärung von den Menschen auf harmonische Weise frei von Extremen angenommen und verarbeitet werden kann.


    Die einseitige Entfaltung einer der beiden Seiten führt zu "Wilden" (Gefühlsgeleitet) oder "Barbaren" (Regelgeleitet).
    Der Wilde wird von seinen Gefühlen beherrscht und verfällt reflexhaft und unbesonnen in jegliche aufkommende Stimmungslagen.
    Der Barbar zeigt sich völligst empathielos und drückt sein logisch erfasstes und auf Prinzipien beruhendes Regelwerk ohne Rücksicht auf die Gefühle der Mitmenschen auf Gedeih und Verderb mit allen Mitteln durch.
    Beide Extreme gilt es zu vermeiden.


    Ist stark simplifiziert zusammengefasst. Ich habe das Buch vor einigen Jahren ausführlich studiert.
    Ich finde es mutet gaanz leicht buddhistisch an (keinen Begriff des ästhetischen Zustandes machen können.. usw) und passt vielleicht ganz gut als Inspiration zur aktuellen Rationalität vs Irrationalität Diskussion hier ;)


    Zitat

    Er protestiert gegen das Zwangsdiktat der Vernunft der Aufklärung ebenso wie gegen die Willkür der Sinne bzw. der Natur.


    Zitat

    Dem „ästhetischen“ Menschen wird es quasi automatisch zum Bedürfnis, moralisch zu handeln, so Schiller im 23. Brief. Ästhetische Erziehung hat zum Ziel, den jungen Menschen die eigene ästhetische Sinnestätigkeit sowie ihr ästhetisch-kulturelles Milieu bewusst zu machen als Voraussetzung für den empfindenden, verstehenden und urteilenden Erwachsenen in Natur und Gesellschaft


    Die Vollendung eines ästhetischen, edlen Menschen sah Schiller in Goethe (Erleuchteter? 8) )



    ... hat dieses Zusammenspiel nicht was von Mitgefühl + Weisheit im Mahayana-Buddhismus?

    Kurz und bündig beschrieben hat das Ansinnen Nagarjunas der Zen-Meister Thich Nhat Hanh in seinem Werk "Schlüssel zum Zen" in Kapitel V "Fußspuren der Leerheit" auf den Seiten 117-121:


    Thich Nhat Hanh:

    Die Methode des Madhyamika besteht darin, deutlich die Leerheit vor Augen zu führen, wie sie in der Prajñāpāramitā dargestellt wird, sowie die Absurdität und Nutzlosigkeit aller Begriffe und Ziele aufzuzeigen. Sie stellt keine linguistische Philosophie dar und ist nicht lediglich eine Spielerei mit Worten oder eine intellektuelle Übung. Das Madhayamika zielt vielmehr darauf, alle Begriffe ad absurdum zu führen, um das Tor zum nichtbegrifflichen Wissen aufzustoßen. Dabei geht es nicht darum , eine bestimmte Sicht der Wirklichkeit vorzustellen und diese dann im Gegensatz zu anderen Sichten der Wirklichkeit zu bringen. Alle Sichtweisen sind nach Auffassung des Madhyamika irrig, weil alle Sichtweisen nicht Wirklichkeit sind. Das Madhyamika wird deshalb nicht als Lehre, sondern als Methode vorgestellt. Dadurch wird sie zur legitimen Erbin des Denkens der Prajñāpāramitā.
    [...]
    Diese (Anm. Nagarjunas Dialektik) zielt darauf, gegen jeden Begriff so vorzugehen, daß sich sein jeweiliger diametral entgegengesetzter Begriff als untauglich erweist. Aus diesem Grund nennt man sie "den Mittleren Weg". Mit dem Ausdruck "mittlerer" ist keine Synthese zweier gegensätzlicher Begriffe gemeint, wie etwa "Sein" und "Nichtsein", "Erzeugung" und "Vernichtung", sondern das Transzendieren aller Gegensätze.
    [...]
    Gemäß den Prinzipien der "drei Tore zur Befreiung" hat die Negation also die Aufgabe, so lange alle Begriffe zu zertrümmern, bis der Übende an den Punkt kommt, wo er sich vollständig von aller Unterscheidung löst und in die ununterschiedliche Wirklichkeit eindringt. Die Dialektik zielt darauf ab, im Betreffenden eine Krise auszulösen, die ihn völlig umkrempelt, und nicht, eine Wahrheit herauszumeißeln.