Sunu:
Hab trotzdem was gelernt...vielen Dank
Da die eine oder der andere vielleicht nicht so mit europäischer Philosophie per Du ist, möchte ich mal erklären, wie überhaupt der Gedanke von der reinen Rationalität in die Philosophie gelangt ist. Also, aufgepasst!
Wie die Rationalität in die Philosophie gelangte und die Ethik verdrängte
Wir schreiben das Jahr 1930 in Wien, wo sich namentlich mit dem Wiener Kreis folgenreiche Bemühungen entwickelten, die Philosophie von ihrem metaphysischen Gewand und sinnlosen Sprachspielen a la Ethik zu befreien. Damit wurde sie zur wissenschaftlichen oder analytischen Philosophie, welche von höchstem Abstraktionsniveau ist. Oder wie Moriz Schlick es ausdrückte: Verdammt, wovon sprechen wir überhaupt??
Von dieser Frage gequält telegraphierte Schlick 1930 also eine Gruppe von Herren zusammen, den so genannten Wiener Kreis. Diese Geburtsstunde der modernen und rationalen Philosophie soll im Folgenden nachgezeichnet werden.
Schlick hielt gleich zu Beginn ein Impulsreferat. Dabei postulierte er gebetsartig den Grundsatz seiner neuen Philosophie, nämlich den der Rationalität. Es ginge nicht länger hin, Moralist zu sein, sondern man müsse zum Wissenschaftler werden, Forscher statt Prediger sein. Doch irgendwie kam kein Schwung in die Sache. Die Herren lümmelten und kratzten sich, spielten mit ihren Krawatten oder starrten öde in die Luft. Schließlich meldete sich Otto Neurath: Sag mal Moritz, soll das jetzt heißen, dass wir empirisch forschen sollen? Vielleicht gar zu den Wilden nach Borneo fahren oder sonst wohin? Befreiendes Gelächter. Ein Denker und Philosoph als empirischer Forscher, was für eine Zumutung! Das hatte es noch nie gegeben. Doch Schlick beruhigte seine Freunde: Davon könne überhaupt keine Rede sein. Nein, sondern es ginge der modernen Philosophie lediglich darum, beharrlich die Worte Wissenschaft und Rationalität mit größter Inbrunst in den Raum zu stellen!
Das wirkte. Nach und nach richteten sich die Zuhörer auf und ein Leuchten gelangte in ihre Augen. Sie begriffen, dass hier ein wissenschaftliches Weltbild im Entstehen war, eine vollkommen neue Philosophie. Schließlich endete Schlick kurz und prägnant: Rationalität, Rationalität, Rationalität!
Tosender Applaus. Einzelne Herren konnten nicht an sich halten und skandierten begeistert: Scheiß-Ethik! Scheiß-Ethik… Zur Beruhigung der Gemüter brauchte es Cognac und Zigarren und es wurde eifrig geschwatzt. Nur unwillig trennte man sich für die anschließende Arbeit in den Kleingruppen, um nun zielsicher die Frage zu klären, wovon im Weiteren zu sprechen sei. Jedes Grüppchen erhielt viele bunte Filzstifte! Über die Arbeit in den Kleingruppen ist wenig bekannt, doch sah man später ausnehmend bunte Flipcharts.
Als dann der gesamte Kreis wieder zusammentrat, entstand zunächst eine Diskussion, ob die Rauchpause vielleicht zu kurz gewesen sei. Beinahe alle Herren meldeten sich mit sehr differenzierten Beiträgen zu Wort. Schlussendlich war es Carnaps Vorschlag, die nachmittägliche Kaffeepause sowohl kürzer als auch länger einzuplanen, der zur allgemeinen Zufriedenheit führte. Trotz begrenzter Zeitressourcen vor der Mittagspause gelang es noch, die Resultate der Arbeit der Kleingruppen zu präsentieren. Denn es gab keine. Das war schon irgendwie bedrückend und man einigte sich sofort, sich noch einen Cognac zu leisten. So ausgestattet bewunderte man die ausnehmend bunt gestalteten Flipcharts.
Pünktlich um 14 Uhr wartete man noch ein wenig, aber es war bloß Wittgenstein, der eintrudelte. Ursprünglich war nun eine Runde geplant, wo sich alle Teilnehmer zu folgenden Fragen äußern sollten: Wie fühlen wir uns gerade? Allerdings, warum auch immer, war nun doch etwas in den Köpfen der Herren gereift. In einer Phase höchster Produktivität entstand sodann an jenem Nachmittag das berühmte Manifest des Wiener Kreises. Am Ende fasste Schlick zusammen: Besser wissend werden wir die anderen Wissenschaften auslegen. Damit ist das Gebiet moderner Philosophie bestimmt.
Zuvor war nicht unbegründet eingeworfen worden, dass dies doch schon immer das Geschäft der Philosophie gewesen wäre. Daraufhin hatte Schlick den Herren sehr eindrücklich ins Gewissen gesprochen: Wer ist die Wissenschaft? Wir sind die Wissenschaft. Und wer ist die Rationalität?! Wir sind die Rationalität! Eifrig hatten die Herren daraufhin ihre Cognacgläser geschwenkt und gerufen: Wir sind die Wissenschaft, wir sind die Rationalität!!
Ja, so ist das damals gewesen.