Beiträge von Karnataka im Thema „Mitgefühl - Bücher - tib. Buddhismus (vorzugsweise Gelug)“

    Andrej:

    Mir wäre es wichtig, dass die Bücher vor allem zwischen "Idioten-Mitgefühl" bzw. "falschem Mitgefühl" und tatsächlichem selbstlosen Mitgefühl vermitteln - also nicht nur beschreiben, was Mitgefühl ist, sondern möglichst drauf eingehen, was es NICHT ist.


    Vermute, dass du da beim DL auch nicht fündig wirst. Ein heikles Thema. Nachdem du aber dieses wichtige Thema angeschnitten hast, beschäftigt es mich und ich nehme mir die Freiheit, ein paar Gedanken hier zu formulieren.


    Nehmen wir eine Zeitung, die eine herzzerreißende Story von einem kleinen Hündchen bringt. Vielleicht ist die Geschichte schlicht erlogen und die Zeitung bringt sie nur, um sich als mitfühlend darzustellen, während sie bei viel wichtigeren Themen harte Ansichten propagiert. Ähnlich erlebte ich unlängst, wie die Bundessprecherin „meiner“ Partei einer heiklen Frage auswich, indem sie eine rührselige Geschichte auftischte.


    Mitgefühl als Gefühl ist vermutlich etwas, das in manchen Situationen angemessen sein kann, aber nicht generell überhöht werden sollte. Beispielsweise ist es für eine Krankenschwester wichtig, sich abgrenzen zu können, um ihren Beruf auszuüben. Vielleicht muss man vor der Gefahr der Manipulation sogar warnen.


    Der DL beschreibt Mitgefühl als eine Ausrichtung des Geistes, als Bereitschaft, zum Wohl anderer zu handeln, die aus dem Gefühl der Verbundenheit erwächst. Ein solches Vertrauen stärkt unsere sozialen Fähigkeiten. Schließlich meint Mitgefühl wohl auch etwas, das mit Glaube und Gewissen zu tun hat.

    Sherab Yönten:

    Danke für den Hinweis, das ist mir bisher nicht bekannt gewesen, dass es eine "verbesserte Variante" dazu gibt. Hast Du beide Bücher gelesen ? Vermutlich sind viele Teile doppelt, oder ?
    Das Buch der Menschlichkeit beinhaltet für mich übrigens nicht nur Ethik, es wird auch viel auf Weisheit/ Mitgefühl und abhängiges Entstehen eingegangen.


    :) keine Überschneidungen. Mir ist die "Rückkehr" wichtiger. Das Thema Leerheit fehlt dort vollständig, die säkulare Haltung wird ausführlich erklärt. Nach eigener Auskunft verfolgt der DL diese Haltung nicht, um für den Buddhismus über das Hintertürchen die Werbetrommel zu rühren. Sondern es geht ihm um eine moderne Ethik, deren Begründung von keiner bestimmten Religion abhängt, die zugleich aber auch keiner Religion widerspricht. In Zeiten zunehmender Unsicherheit, Angst, Ablehnung, Ausgrenzung und Feindseligkeit gegenüber Menschen muslimischer Religionszugehörigkeit finde ich dieses Vorhaben besonders zukunftsweisend. Der DL stellt das gemeinsame Menschsein in den Vordergrund, ohne dabei religiös empfindende Menschen vor den Kopf zu stoßen.


    Sicher ist die persönliche Weiterentwicklung das Wichtigste. Auch ist oft einfach fürsorgliches Empfinden gefragt, um zum richtigen Handeln zu gelangen.


    Doch gehört auch das Nachdenken zur Ethik. Ansichten, die das Zusammenleben betreffen, resultieren aus unterschiedlichen Faktoren. Da gibt es eine Haltung („Mitgefühl“), das Wissen um Fakten („Bildung“), sowie die Auseinandersetzung mit anderen Meinungen. Damit Kommunikation aber zu einem geschickten Mittel wird, braucht es einen herrschaftsfreien Dialog, wo das Argument nicht die einzige, aber doch eine wichtige Rolle spielt.


    Ich sehe das „Buch der Menschlichkeit“ als den ersten Versuch des DL zu einer systematischen Ethik. „Rückkehr zur Menschlichkeit“ ist die spätere, aus meiner Sicht wesentlich verbesserte Variante. Der englische Titel entspricht wohl mehr der Intention des DL: Beyond Religion. Ethics for the whole world. Es handelt sich also um eine, wie der DL ausführlich erklärt, säkulare Ethik. Wenn die Auseinandersetzung mit moderner Wissenschaft interessiert, ist das Werk Gefühl und Mitgefühl sehr zu empfehlen, das der DL gemeinsam mit dem Emotionswissenschaftler Paul Ekman verfasst hat!


    Die Richtungen im tibetischen Buddhismus werden zumeist in metaphysischer Hinsicht unterschieden. Auch dort wird also freudvoll diskutiert, wie die Leere richtig zu verstehen sei. In Hinsicht auf die Ethik wird die Sache sicher enorm komplex, da hier gesellschaftliche und politische Umstände hineinspielen. Da kenne ich mich zwar nicht aus, doch ließe sich vergleichsweise kein pauschaler Unterschied der christlichen Kirchen zur Nächstenliebe festmachen, da diese nach dem Religionsstifter das wichtigste Gebot überhaupt ist.


    Anmerkung zum von Andrej genannten „Idioten-Mitgefühl“: Ich glaube, dass sich die Möglichkeit nicht leugnen lässt, Mitgefühl für manipulative Zwecke zu missbrauchen. Vermutlich bedeutet auch im tibetischen Buddhismus Mitgefühl, sich um einen geistigen Zustand des Mitgefühls zu bemühen, um über komplexe Probleme nachzudenken. Dann ist Mitgefühl keine Emotion wie Zorn, die das Denken einengt. Im Gegenteil sollte es helfen, einen weiten Blickwinkel und damit bessere Lösungen zu finden.