Beiträge von Sudhana im Thema „Was ist der Unterschied zwischen der Rinzai und Soto-Tradition?“

    Die Diskussion um mehr oder weniger schiefe Türme oder auch verschiedene Wahrheitsebenen - so fruchtbar sie sein mag - geht meines Erachtens etwas an dem Dōgen-Zitat vorbei. Da dieses Ausgangspunkt war, erlaube ich mir, daran zu erinnern.


    Das Gakudō Yōjin shū ist ja (dafür, dass er von Dōgen stammt) nicht sonderlich kryptisch; einfach, weil es explizit an 'Einsteiger' gerichtet ist. Daher sagt Dōgen auch ziemlich unmissverständlich, was nach seiner Auffassung ein falscher Beginn ist, der zu Myriaden von nutzlosen Übungen führt: "Erwachen außerhalb des Geistes zu suchen, oder Wiedergeburt in einem anderen Land zu suchen." Das wendet sich konkret vor allem gegen Praktiken von Mikkyō und Jōdo bukkyō (Vajrayāna und Amidismus), wie sie zu seiner Zeit in Japan propagiert und gelehrt wurden; d.h. Ritualismus und (Fremd-)Erlösungsglaube. Das Vertreten solcher Lehren ist daher Ausschlusskriterium auf der Suche nach einem "wahren Lehrer", worum es in diesem Abschnitt ja geht. Ein zweites Kriterium ist die "Methode der Kontrolle" - d.h. ein "wahrer Lehrer" muss nicht nur fähig sein, die richtige Methode aufzuzeigen, sondern auch, deren Anwendung zu kontrollieren. Korrekte Methode, korrekte Anwendung. Das setzt nicht nur bestimmte Fähigkeiten des Lehrers, sondern auch ein bestimmtes Lehrer-Schüler-Verhältnis voraus.


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    pamokkha:

    Gibt es auch doktrinäre Unterschiede zwischen Rinzai und Soto?


    Nein, die doktrinäre Grundlage ist dieselbe. Beide beruhen auf dem Chan, das selbst so etwas wie ein Schmelztiegel verschiedener Strömungen ist. Als grundlegende Schicht die Agamas, dann Madhyamaka und Prajnaparamitasutras, die (für China typische) Verschmelzung von Tathagathagarbha-Strömung (Srimaladevisutra, [Mahayana-]Mahaparinirvanasutra, Ratnagotravibhanga ...) mit Yogacara-Ideen (Lankavatarasutra, Yogacarabhumishastra, Trimsika ...) insbesondere im Buddhadhatu Shastra (Foxing Lun) und Mahayana Shraddotpada Shastra, dann natürlich das Lotossutra, das Avatamsaka (insbesondere das Gandavyuha-Kapitel) und ein paar 'Spezialitäten' wie das Vimalakirtinirdesha und Surangamasutra. Das alles ist nicht unbedingt konsistent, was allerdings die praktisch orientierten Chan-Meister wenig gestört hat. Dem Lotossutra folgend hat man das recht unbekümmert als einen Vorrat von Upaya ('geschickten Mitteln') gesehen, einen Werkzeugkasten, wo man sich das gerade zur Schulung benötigte Werkzeug gegriffen hat - weil das eigentliche Verstehen, die 'Rechte Sicht', zwar mit Hilfe der Schriften, aber nicht in ihnen zu finden ist.


    Auf dieser 'kanonischen' Grundlage setzt dann die spezifische Zen-Überlieferung auf - vor allem die Bodhidharma zugeschriebenen Texte, das Huineng zugeschriebene Platformsutra (das bis zur Mingzeit ganz erhebliche 'Anwachsungen' erfuhr), die frühen Lehrgedichte. Als nächste Schicht die Yulu-Literatur (die Sammlung von Sprüchen und Darlegungen der klassischen Meister der Tang-Zeit), aus der sich wiederum die Koan-Sammlungen entwickelten. Die klassischen 'Fünf Häuser' setzten zwar - bestimmt durch besonders wirkungsstarke Persönlichkeiten - unterschiedliche Schwerpunkte in ihrer Didaktik, aber sie blieben in wechselseitigem Austausch. Dafür sorgte schon, dass es in China keine institutionelle Trennung der 'Häuser' gab. Zwar war bei vielen Klöstern durch kaiserlichen Erlass festgelegt, dass der 'Abt' einer Zenlinie angehören musste - aber nicht, welcher. So fand Dogen, als er zum ersten Mal den Tiantong Shan besuchte, dort einen Abt der Linji-Linie vor. Bei seinem zweiten Besuch war dessen Nachfolger Rujing (dessen Schüler Dogen wurde) jemand, der der Caodong-Linie angehörte. Dogen seinerseits legte Wert darauf, dass er nicht das Chan der Caodong-Linie nach Japan übertragen hatte und auch nicht die wahre Chan-Lehre - sondern den wahren Buddhadharma.


    Die heute als so typisch angesehene Unterscheidung zwischen Kanhua Chan (Kanna Zen) und Mozhao Chan (Mokusho Zen) - also der Koanarbeit und dem stillen Sitzen als Schulung - entwickelte sich erst zwei Generationen vor Dogen, also in der Song-Zeit. Wobei die Exponenten der beiden Schulungsmethoden ausweislich ihres Briefwechsels einen durchaus freundschaftlichen und respektvollen Umgang miteinander pflegten. Welche Praxis genau die großen Lehrer der klassischen (Tang-)Zeit ihren Schülern verordneten, weiss man erstaunlicherweise gar nicht so genau ... Sicher gab es Unterschiede - so wird verschiedentlich von Fällen berichtet, wo ein Lehrer einen Schüler an einen Lehrer einer anderen Linie 'weiterreichte', weil das unter den gegebenen Umständen das 'Richtige' für den Schüler war.


    In Japan war dann aufgrund der institutionellen Trennung von Tempeln/Klöstern der Rinzai- und der Soto-Linien der Austausch zwischen beiden nicht mehr so eng - aber nicht verschwunden. Auch die heute gerne als 'Unterscheidungsmerkmal' angesehene und jeweils einer der beiden Traditionen zugeordnete unterschiedliche Schulung (Kanna Zen vs. Shikantaza) hat sich in dieser 'Schärfe' erst ab dem späten 17. / 18. Jahrhundert mit den Reformbewegungen Manzan Dohakus im Soto und Hakuin Ekakus im Rinzai entwickelt.


    Für einen Vergleich mit verschiedenen Vipassana-Schulen weiss ich zu wenig über diese. Aber ich denke, man kann durchaus sagen, so wie diese sich als 'Theravada' verstehen, verstehen Rinzai und Soto sich als 'Zen'. Für die verschiedenen Praktiken gilt dasselbe wie für die oben umrissenen Doktrinen - es sind 'nur' Upaya. Sie sind auf den Übenden zugeschnitten und sollen ihm helfen, nicht jedoch die Richtigkeit einer Doktrin oder die generelle Überlegenheit einer Schulungsmethode beweisen.


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    gbg:

    Ein offenes Zengeheimnis ist, dass Glockenklang eine Qualität ist wie auch die Worte des Meisters Qualitäten sind, wenn die Gedanken in ihm nicht blockiert werden durch die Vernunft


    Dass Gedanken nicht durch Vernunft blockiert werden, kommt gar nicht so selten vor. Wenn man sie dann ausspricht oder niederschreibt, nennt man das - wenn es zwanghaft-pathologisch auftritt - inkohärente Logorrhoe. Zu einem Meister macht einen das allerdings nicht, selbst wenn es nicht krankhaft ist. Volkstümlich nennt man so jemanden eher einen Dummschwätzer ...


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