Überlegungen zu Religion und Demografie:
Aus meiner Sicht sind Religionen nicht für die historisch hohen Geburtenraten verantwortlich, sondern diese resultieren aus Bedürfnissen der Landwirtschaft (Arbeitskräfte, Schutz), die dann als religiöse Moralen Niederschlag fanden, inklusive Patriarchat, Tabuisierung weiblicher Sexualität, Ächtung von Homosexualität und allem, was Schwangerschaften verhindert.
Der demografische Wandel in Japan scheint mir der industrialisierten Welt, der Geburtsrückgang im buddhistischen Südostasien typisch den Schwellenländern zu entsprechen. Das historische Tibet scheint mir ein Spezialfall, wo die Landwirtschaft nie große Überschüsse erzeugen konnte. Dort aber, wo nur Gartenbewirtschaftung möglich ist, besteht in keiner Gesellschaft das Bedürfnis nach vielen Kindern, sind beispielsweise auch Matriarchate möglich, werden Unverheiratete toleriert oder viel gesellschaftliches Klosterleben. Im Extremfall sind einzelne Gesellschaften im Hochland von Tibet sogar bemüht, die Geburtenrate möglichst niedrig zu halten, was dort die Polyandrie, die Vielmännerei zur Folge hat.
Was hat Demografie also mit Religion zu tun? Gesellschaftliche Moralen müssen irgendwie festgeschrieben werden. Zu diesem Zweck gibt es uralte Texte, wo alles und nichts drinsteht, kommt mir vor. Wenn solche religiöse Textstellen nicht mehr passen, werden sie einfach zugunsten anderer wieder vergessen, kommt mir vor.
Die Ursache für Kinderreichtum ist nicht in den Religionen zu suchen. Gibt es überhaupt einen Grund zur Kritik an den Religionen? Schichten, die traditionell kinderreiche Landwirtschaft betreiben und dann sehr plötzlich in die industrialisierte Welt gelangen, können ihr Familienbild nicht von heute auf morgen anpassen. Vermutlich sind es auch religiöse Vorstellungen, die dies behindern, verzögern.
Richtig schlimm wird die Sache, wenn Gesellschaften extreme Kinderüberschüsse erzeugen. 5 Söhne können nicht die gleiche Landwirtschaft erben, was leicht einzusehen ist. Bevölkerungen wie die Syrische haben sich in hundert Jahren mehr als verzwanzigfacht, was zu Millionen junger Männer ohne Perspektive führt. Darf eine "friedliche" Religion einer solchen Entwicklung zusehen?
Vielleicht wird der Einfluss der Religion aber auch überschätzt. Führt der Staat zwangsweise Geburtenkontrolle in bäuerlich-patriarchale Gesellschaften ein, gibt es Millionen weibliche Föten, die abgetrieben werden. Darin unterscheidet sich die hinduistisch-bäuerliche Gesellschaft kaum von der weniger religiösen chinesischen, kommt mir vor.
Ein anderer Vorwurf könnte lauten, dass Religionen versuchen, eine universalistische Moral zu geben. So möchte die katholische Kirche ein Familienbild als gottgewollt vertreten, das für Afrika genauso wie für Europa passen soll. Sieht man allerdings genauer auf das päpstliche Schreiben zur Familiensynode, scheint mir, dass dieser Vorwurf nur zum Teil stimmt und den lokalen Kirchen durchaus Flexibilität zugestanden wird.