Beiträge von Sudhana im Thema „Nicht denken!.“

    Falls die gestrige Diskussion zwischen Spock, Morpho und mir - die als Diskussion unter Zennis etwas hermetisch und für Außenstehende möglicherweise missverständlich war - Anlass dieser Frage gewesen sein sollte, hier eine eingehendere 'klassische' Erläuterung des Begriffs wu nian:


    Vor allem im letzten Absatz wird deutlich, dass der Begriff 'Nicht-Gedanke' keineswegs ein Negativum, also die bloße Abwesenheit von etwas, bezeichnet. Es geht vielmehr um eine andere Qualität mentaler Aktivität, des 'Denkens', für das mangels einer postiven Bezeichnung ein Begriff verwendet wird, der darauf verweist, was dieses 'Denken' nicht ist - eben nicht das gewöhnliche, be- und ergreifende dualistische Denken bzw. das, was man gewöhnlich unter Denken versteht.


    Dōgen versucht, dieser differenzierten Auffassung (die eben nicht mit plattem 'Nichtdenken' verwechselt werden sollte) mit einem anderen Begriff etwas gerechter zu werden, wobei er auf das dem dritten Patriarchen Sengcan zugeschriebene fei si liang (非思量, Jap. hishiryō) zurückgriff, das ich mit 'Undenken' übersetzt habe. 非 dückt wie 無 eine Verneinung aus, wobei eine Übersetzung hier eher in Richtung 'ist nicht' als einfach 'nicht' geht. Statt 念 (in unserem Kontext: Gedanke) steht hier 思 'Denken' insbesondere im Sinn von diskursivem Denken, nachdenken, erwägen, überlegen – aber auch kontemplieren. Eine wichtige Konnotation von 思 ist die Bezeichnung einer motivgesteuerten mentalen Funktion, einer Absicht. So wird 思 auch verwendet, um Skrt. cetana wiederzugeben – den Willensimpuls, den Buddha mit karma identifizierte. Dass die Abwesenheit dieser Art des Denkens nicht einfach ein Vakuum hinterlässt, zeigt das dritte Schriftzeichen 量, das man hier mit 'ermessen' oder 'erfassen' übersetzen kann. Ich verzichte darauf, Dōgen zu diesem Begriff zu zitieren (etwa das Shōbōgenzō Zazenshin), da dies mE nur jemandem den Begriff näher erschließen würde, der hinreichende Erfahrung mit (und damit ein Verständnis von) dem von Dōgen gelehrten Zazen hat.


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