Beiträge von Sudhana im Thema „"Reinkarnationstheorien in Tibet"“

    Sherab Yönten:
    Sudhana:

    Es liegt mir fern, vorgeben zu wollen, worum es hier gehen soll. Aber im Zusammenhang mit dem Thema wäre es mE schon sinnvoll, sich mit pratītyasamutpāda und insbesondere dessen viertem nidāna zu beschäftigen. Wenn man allerdings nicht weiss, dass genau das nāmarūpa ist, dann sind die Voraussetzungen dafür wohl nicht optimal ...


    Da bin ich wohl in bester Gesellschaft.


    Siehe die Diskussion unter http://www.buddhaland.de/viewtopic.php?f=1&t=16283


    Da geht es lediglich darum, ob nāmarupa alle fünf skandhah bezeichnet oder nur vier davon (unter Ausschluss von vijñāna). Grund dafür ist eben (bzw. das wird konkret als Grund angeführt), dass in der Formel des pratītyasamutpāda vijñāna (3. nidāna) als Bedingung von nāmarupa (4. nidāna) genannt wird. Was für mich nicht schlüssig ist, da dann ja auch saṃskāra (2. nidāna) und vedanā (7. nidāna) als von nāmarupa verschieden aufgefasst werden müssten und der Begriff 'nāma' in nāmarupa sich damit inhaltlich auf den saṃjñāskandha reduzieren würde - was mE unsinnig ist.

    Sherab Yönten:

    Allerdings wäre es schön, wenn Du etwas Licht in die Diskussion hineinbringen könntest und die von Dir genannten Fachbegriffe erklären könntest und dann darüber hinaus darlegen könntest, was das alles mit Reinkarnation nach tibetischer Lesart zu tun haben könnte!


    Es ist ein wenig viel verlangt, hier ad hoc ein Online-Seminar über pratītyasamutpāda abzuhalten - zumal unter spezieller Berücksichtigung der Behandlung in Nāgārjunas Mūlamadhyamakakārikā. Diese buddhistische Kernlehre sowie das Modell der fünf upādānaskandhah sollte man kennen, wenn man über punarbhava diskutiert. Meines Erachtens gehört dazu auch, dass man sich die paar zugehörigen 'Fachbegriffe' in Sanskrit oder Pali aneignet, weil sie unterschiedlich und zum Teil irreführend bzw. missverständlich übersetzt werden. Punarbhava - wörtlich 'Wiederwerden', häufig mit 'Wiedergeburt', 'Reinkarnation' o.ä. übersetzt - ist das beste Beispiel dafür. Für den Anfang kann schon Wikipedia da bei der Zuordnung der Fachbegriffe helfen.

    Sherab Yönten:

    "Was das alles mit Reinkarnation nach tibetischer Lesart zu tun haben könnte"?

    Wenn ich richtig informiert bin, wird in allen Schulen des tibetischen Buddhismus die Sichtweise des Madhyamaka (und zumindest in der Gelug-Schule speziell dessen Prasaṅgika-Interpretation) als höchste bezeichnet. Anerkannt wichtigster Grundlagentext des Madhyamaka sind Nāgārjunas Mūlamadhyamakakārikā, die u.a. die Identität von śūnyatā und pratītyasamutpāda darlegen (vgl. MMK XXIV,18) und insbesondere in dem von mir angesprochenen Abschnitt XXVI die Madhyamaka-Sichtweise von punarbhava im Kontext pratītyasamutpāda wiedergeben. Das ist in der Tat 'das' Mahāyāna, bzw. die hermeneutische Tradition des Mahāyāna , die als Madhyamaka ab dem 4. Jahrhundert nach China, Korea und Japan kam (Sanlun zong bzw. Sanron shū). Da kann man zu Recht von einer Sichtweise 'des' Mahāyāna sprechen, weil diese Tradition sich auch weitgehend mit der tibetischen Prasaṅgika-Lesart des Madhyamaka deckt, während die anderen, erst ab dem 6. Jahrhundert entstandenen späteren exegetischen Traditionen, die dann ab dem 11. Jahrhundert in Tibet Eingang fanden, eine "sehr späte [...] Ausprägung davon" sind. Wobei Svatantrika und die diversen Svatantrika-Yogacara-Amalgame (von Entwicklungen wie Shentong ganz zu schweigen) tibetische Spezialitäten geworden sind.


    Nicht von einer Sichtweise des Mahāyāna (oder gar des Buddhismus) sprechen kann man hingegen redlicherweise bei dem, was Dr. Berzin als "Die buddhistische Erklärung der Wiedergeburt" verkauft. Solche Einvernahmungen führen dann zu solchen Irritationen. Nochmals: mir geht oder ging es nicht darum, 'tibetische' Sichtweisen herabzusetzen oder als 'falsch' zu entlarven, sondern darum, mich gegen unbegründete Vereinnahmungen des ostasiatischen Mahāyāna zu wenden - dagegen, das Mahāyāna in Gesamtheit für spezifisch tibetische Sichtweisen in 'Mithaft' zu nehmen. Und das ist hier wohl eher nicht Thema, sondern eine 'innertibetische' Diskussion. Trotzdem schien mir diesbezüglich eine Klarstellung angebracht - anscheinend wurde mein Zitat ja anders verstanden.


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    Sherab Yönten:

    Ich weiß nicht ob es Sinn macht, über unterschiedliche Interpretationen von Übersetzungen zu philosophieren.


    Darum geht es überhaupt nicht. Es geht darum, was im Original steht und was bei Garfield daraus wird (d.h. Nāgārjuna in den Mund gelegt wird). Irgendetwas, das mit "enters transmigration" übersetzt werden kann, steht im Original definitiv nicht (sondern saṃniviśate ... gatau). Das ist dann bei Garfield in der Tat eine Interpretation (ob eine richtige, d.h. Nāgārjunas Intention korrekt wiedergebende, ist erst einmal eine andere Frage), aber keine Übersetzung. Den Unterschied kann Dir jeder Lehrer, der Fremdsprachen unterrichtet, erklären. Gute Noten gibt es nur für korrekte Übersetzungen. Eine korrekte(!) Interpretation bringt bestenfalls ein 'ausreichend', wenn nach einer Übersetzung gefragt ist.


    Der Unterschied zwischen dem, was im Originaltext steht und dem, was bei Garfield daraus geworden ist (ob das an Garfield liegt oder seiner tibetischen Vorlage, muss ich offen lassen), illustriert btw. auch sehr anschaulich den Unterschied zwischen 'dem' Mahāyāna und dem, was eine "sehr späte, mit schamanistischen (Bön) und hinduistischen Ideen vermischte Ausprägung davon" ist. Wobei ich mit den "in (und von) Tibet verbreiteten Reinkarnationstheorien" allerdings eher das hier im Sinn hatte: https://studybuddhism.com/web/…roup.html_1394466118.html Das ist natürlich auch nicht 'das' Mahāyāna und erst recht nicht "die buddhistische" Erklärung der Wiedergeburt", sondern bestenfalls(!) eine buddhistische Erklärung.

    Sherab Yönten:

    Von vornherein die Behauptung aufzustellen, dass die "tibetische Reinkarnationstheorie" falsch sei, weil sie schamanischen und hinduistischen Einflüssen unterliegen würde, halte ich für fragwürdig.


    Das ist richtig - aber hat das denn jemand getan? Lies Dir das Zitat, mit dem Du diesen Thread eröffnet hast, noch einmal durch - meinetwegen auch das komplette Posting, dem Du das Zitat entnommen hast. Wenn Du mir aufzeigen kannst, wo ich die "tibetische Reinkarnationstheorie" für falsch erklärt habe, nehme ich das gerne zurück. Reinkarnationstheorien sind Reinkarnationstheorien - 'falsch' und 'richtig' sind keine Bewertungen, die ich darauf anwende.

    Sherab Yönten:

    Es soll hier in diesem Thread ja auch nicht um den Begriff narupa gehen, denn das "was ein Körper in diesem Leben ausmacht" erklärt eigentlich nicht die Reinkarnation.


    Es liegt mir fern, vorgeben zu wollen, worum es hier gehen soll. Aber im Zusammenhang mit dem Thema wäre es mE schon sinnvoll, sich mit pratītyasamutpāda und insbesondere dessen viertem nidāna zu beschäftigen. Wenn man allerdings nicht weiss, dass genau das nāmarūpa ist, dann sind die Voraussetzungen dafür wohl nicht optimal ...



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    kilaya:

    Das ist ja quasi eine wörtliche Übersetzung in tibetischer Sprache


    Nicht ganz, aber fast. Körper-und-Geist (also Reihenfolge vertauscht). Ist das jetzt tatsächlich irgendwie überraschend?

    kilaya:

    Was ich meinte (aber zugegebenermaßen nicht gesagt habe) ist ein als Fachvokabel in deutschen Texten vorkommender Begriff, der typisch für die tibetische Lehre ist.


    Siehst Du dafür irgendeine Notwendigkeit? Eine andere Möglichkeit, die noch wörtlicher, d.h. näher am originalen (Sanskrit und auch Pali) nāmarūpa ist, wäre ming dang gzugs, "Name und Form". Was ist denn die deutsche "Fachvokabel", die "typisch für die tibetische Lehre ist" und das vierte nidāna von pratītyasamutpāda bezeichnet? Ich weiss ja nicht, wie deutsche Übersetzer von tibetischen Texten so etwas halten, aber z.B. Jay Garfield übersetzt in seiner Übertragung des dBu-ma rtsa-ba shes-rab (der tibetischen Version von Nāgārjunas Mūlamadhyamakakārikā) schlicht "name and form".


    MMK XXVI passt zufällig auch zum Thema - ist insbesondere interessant zu sehen, was aus śloka 2 (vijñānaṃ saṃniviśate saṃskārapratyayaṃ gatau / saṃnivișțe 'tha vijñāne nāmarūpaṃ nișicyate) bei Garfield wird (Having dispositions as its conditions, Consciousness enters transmigration. Once consciousness has entered transmigration, Name and form come to be.) Da steckt viel Fantasie drin ... wobei ich nicht weiss, ob in der tibetischen Übersetzung der MMK oder Garfields englischer davon.


    Aber damit soll nun auch Schluss sein - wollte mich nicht einmischen, nur einen sachdienlichen Hinweis geben.


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