Beiträge von Doris im Thema „Umgang mit dem Schatten der Vergangenheit“

    Hallo,


    das ist prima, dass es Dir schon gelingt Dich emotional zurückzunehmen, und den alten Schwesternkonflikt nicht weiterzuführen!


    Geschwisterliche Konflikte werden gerne mal bis in aller Ewigkeit fortgeführt, dabei sind erwachsene Geschwister gar nicht mehr in der Situation wie damals, als sie noch Kinder waren. So ist es mit allen Verletzungen, die wir mit uns tragen: Wir halten sie wach und lebendig, indem wir sie immer wiederholen. Dabei sind wir schon längst andere Menschen geworden, wir leben in anderen Lebenssituationen, sind jetzt Erwachsene, die selbst entscheiden können, was sie tun und wie sie sich fühlen. Sich diese Tatsache vor Augen zu führen, hilft ungemein. Aber das ist dennoch ein schwieriger und langwieriger Prozess, der mit vielen Rückfällen einhergeht.


    Du scheinst auf einem guten Weg zu sein.
    Wenn ich ungeduldig werde und meine Fortschritte zu klein finde, dann hilft mir das Wissen, dass so eine Umprogrammierung lange dauert und viel Geduld erfordert. Auch mit mir selbst muss ich lernen geduldig umzugehen. Du schreibst, es ging Dir so gut im letzten Monat. Das ist sicher ein Grund, warum Du bei der letzten Begegnung mit Deiner Schwester so gut mit der Situation umgehen konntest. Es ist immer so: Wenn es uns gut geht, dann verhalten wir uns auch gut. Ungeduld macht unzufrieden, was wiederum dazu führt, dass man nicht so gut handeln kann. Daher ist Geduld mit Dir selbst, etwas, dass Dir gut tut, weshalb Du dann besser handeln kannst. Ergo: Sei gut und gütig zu Dir selbst.
    Das bedeutet nicht, sich nicht anzustrengen. Das richtige Maß muss gefunden werden.


    Was mir noch hilft ist, den Blickwinkel zu ändern. Damit meine ich, die Person, mit der Konflikte bestehen, mal nicht aus meiner üblichen Rolle zu betrachten, sondern als wohlwollender Fremder. Immer wieder entdecke ich da Facetten dieser Person, die ich bisher nicht sehen konnte. Es kommt sogar vor, dass die Dinge, die mich vorher störten, plötzlich verständlich wurden, mir sogar liebenswert erscheinen. Die Menschen handeln aus ihrer Situation, aus ihren Möglichkeiten heraus. Das versuche ich zu berücksichtigen, was mir oft genug misslingt :grinsen:


    Ein Trick, den ich anwende, wenn ich in eine komische Situation gerade: Ich gehe erst mal auf die Toilette. Das schafft ein wenig Distanz und ich komme wieder zu mir.
    Manchmal hilft es, diejenige Person in einem ganz anderen Umfeld zu treffen, unter anderen Umständen, sich anders zu erleben.
    Dann kann man Situationen auch verkürzen, indem man nicht lange bleibt. So vermeidet man Eskalationen, die den Konflikt nur wieder anfeuern würden.
    Man kann Atemübungen machen, z.B. dreimal bewusst atmen, und erst dann sprechen.
    Und und und …
    Auf dieser praktischen Ebene gibt es unzählige Rezepte.


    Eine ganz auf Dich selbst bezogene Methode bietet der Vajrayana an:
    Man visualisiert vor einer Meditation alle Wesen vor sich, und stellt diejenigen in die erste Reihe, mit denen man die größten Schwierigkeiten hat. Dann widmet man ihnen Gedanken voller Wohlwollen und Mitgefühl.
    Ich denke, das kann man auch so für sich machen, ohne Vajrayani zu werden. Es klingt sehr künstlich und banal. Ist es auch. Erst mal künstlich. Ich erinnere mich an meine inneren Widerstände bei der Vorstellung meine "Erzfeinde" in die erste Reihe zu stellen und sie mit Wohlwollen zu überschütten. Aber es hilft tatsächlich.


    Übrigens, Mütter dürfen alles verzeihen. Das ist eine ihrer großartigsten Eigenschaften. Meine Mutter war auch so. Früher hat mich das genervt, weil ich wollte, dass sie für mich Position bezieht und mich in meinem Zorn über jemanden bestätigt, und es hat mich verletzt, weil sie das nicht tat. Erst spät erkannte ich, dass sie diese wunderbare Fähigkeit hatte, niemandem zu grollen und jedem zu verzeihen.
    Irgendwas muss Deine Mama sehr richtig gemacht haben, denn sie hat eine Tochter wie Dich erzogen.


    Liebe Grüße
    Doris