Beiträge von Useless im Thema „Mythen“

    void:

    Aber ist es dann nicht dessen ungeachtet so, dass "Rot" auf Tier, vorsprachliches Klenkind und Erwachsenen eine alamierende Wirkung ausübt, während "Grün", egal wie man es nennt eher beruhigend ist? Nur weil in dem einen Fall Sprache Erfahrung strukturiert bedeutet das doch nicht, das sie das in jedem Fall tut.


    Das bezweifle ich, kann aber keine Belege anführen, ausser, dass z.B. der Stier nicht auf 'rot', sondern die Bewegung des Tuchs reagiert, ich selber bestimmte Rottöne als sehr beruhigend empfinde und mich viele Grüntöne nerven. Vielleicht suchen wir beide mal.

    Hallo void,


    ich zitierte von der Buchrückseite, wo ja, wie wir wissen, Thesen oft etwas plakativ und reißerisch zitiert sind. Ich schreibe dazu gerne mehr, muss dazu aber nach Zitaten aus dem Buch suchen, was etwas dauern kann.


    Im Grunde geht es darum, dass 'Erfahrung' kein vorsprachlicher Zustand ist, sondern wir nur 'erfahren' können, was in der Struktur der Sprache angelegt ist. Insofern ist die Formulierung, dass 'Sprache der Erfahrung Bedeutung gibt' vermutlich unglücklich gewählt.

    Um mal den Bogen zum Buddhismus zu schlagen:


    Carl-Friedrich Geyer erwähnt in seinem Buch Mythos - Formen, Beispiele, Deutungen den 'Mythos von der Möglichkeit des direkten Zugriffs auf die Dinge selbst bei E. Husserl'. Ich muss da spontan an den immer wieder gerne gebrauchten buddhistischen Slogan vom 'Sehen der Dinge, wie sie wirklich sind' denken.
    Don Cupitts Buch Mysicism after Modernity habe ich neulich ja schon in einem anderen thread angeführt. Es heißt dort auf der Rückseite:

    Zitat

    Don Cupitt behauptet, dass die umfangreiche moderne Literatur über Mystik auf einem Missverständnis beruht - dem Glauben, dass es sinnvolle Erfahrungen gibt, die der Sprache vorausgehen. Die Mystiker wurden so verstanden, dass sie erst tiefgreifende Erfahrungen haben, die sie dann in Worte fassten.


    Im postmodernen Denken jedoch verleiht nicht Erfahrung der Sprache Bedeutung; im Gegenteil verleiht Sprache der Erfahrung Bedeutung.

    Das erinnert mich an eine Anekdote, die über mehrere Ärzte (u.a. Sauerbruch) erzählt wird und die auch Paul Watzlawick zitiert:

    Zitat

    In einem österreichischen Landeskrankenhaus liegt ein schwerkranker Mann im Ster­ben. Die behandelnden Ärzte haben ihm wahrheitsgemäß mitgeteilt, dass sie seine Krankheit nicht diagnostizieren können, ihm aber wahrscheinlich helfen könnten, wenn sie die Diagnose wüssten. Sie haben ihm ferner gesagt, dass ein berühmter Diagnosti­ker das Spital in den nächsten Tagen besuchen und vielleicht imstande sein wird, die Krankheit zu erkennen. Ein paar Tage später kommt der Spezialist wirklich an und macht seine Runde. Am Bett des Kranken angekommen, wirft er nur einen flüchtigen Blick auf ihn, murmelt 'moribundus' und geht weiter. Einige Jahre später sucht der Mann den Spezialisten auf und sagt ihm: 'Ich wollten Ihnen schon längst für Ihre Diagnose danken. Die Ärzte sagten mir, dass ich Aussicht hätte, mit dem Leben davonzukommen, wenn Sie meine Krankheit diagnostizieren könnten, und im Augenblick, da Sie 'moribundus' sagten, wusste ich, dass ich es schaffen werde.

    Spock:

    Axel hatte ja den Aspekt/die Definition der Schrift in Bezug auf den Mythenbegriff mit eingebracht.


    Nein, hatte ich eigentlich nicht, obwohl das ein hochinteressantes Feld ist... :)


    Ich schrieb 'Text' bewusst in Anführungszeichen und versuchte mit dem zusätzlichen im weitesten Sinne deutlich zu machen, dass ich mich hier an den Gebrauch des Wortes Text an Derridas Dekonstruktivismus anlehne. Zitat Derrida nach Wikipedia:

    Zitat

    Jeder potentielle Bedeutungsträger ist laut Derrida ein dekonstruierbarer Text:


    „Das, was ich Text nenne, ist alles, ist praktisch alles. Es ist alles, das heißt, es gibt einen Text, sobald es eine Spur gibt, eine differentielle Verweisung von einer Spur auf die andere. Und diese Verweise bleiben nie stehen. Es gibt keine Grenzen der differentiellen Verweisung einer Spur auf die andere. Eine Spur ist weder eine Anwesenheit noch eine Abwesenheit. Folglich setzt dieser neue Begriff des Textes, der ohne Grenzen ist […] voraus, dass man in keinem Moment etwas außerhalb des Bereichs der differentiellen Verweisung finden kann, das ein Wirkliches, eine Anwesenheit oder eine Abwesenheit wäre […] Ich habe geglaubt, dass es notwendig wäre, diese Erweiterung, diese strategische Verallgemeinerung des Begriffs des Textes durchzuführen, um der Dekonstruktion ihre Möglichkeit zu geben […]“


    Das bedeutet nicht, dass ich Derridas Theorien vertrete (von denen meine Kenntnis bestenfalls oberflächlich ist), sondern seine erweiterte Definition von 'Text'.


    Was den Zusammenhang von geschriebenem und gesprochenem Wort, Mythos und Mystik angeht, will ich bloß auf die zwei Kapitel 'The Flesh of Language' und 'Animism and the Alphabet' in The Spell of the Sensuous: Perception and Language in a More-Than-Human World von David Abram und auf Mysticism after Modernity von Don Cupitt hinweisen.


    Tut mir leid, dass ich z.Zt. in allen threads nur 'Häufchen' mache, ohne in die Tiefe zu gehen. Hat was mit Nachtdienst und einer zusätzlichen Erkältung zu tun, die mich gerade ganz wattig im Kopf machen.

    accinca:

    Wenn ich einer Tages solche Sätze mal verstehen werde,
    dann sage ich bescheid. :)


    Es ist Dir wichtig, dass Du diese Aussage veröffentlicht hast. Ich habe sie zur Kenntnis genommen.

    jianwang:

    Wobei mystisch nicht immer falsch sein muss, man erinnere sich an Meister Eckhart, einen christlichen Mystiker.


    Ein 'innerer Zustand' kann nie 'falsch' sein, aber er kann 'angemessen' oder 'unangemessen' sein.

    Ein Mythos (von altgriechisch μῦθος) ist ein 'Text' (im weitesten Sinne), der eine symbolische Deutung verlangt, mystisch (von μυστικός mystikós 'geheimnisvoll', zu μύειν 'Mund oder Augen schließen', 'verbergen') ein innerer Zustand.


    Alle anderen hier vorgestellten Worte sind reine 'Privatsprache', mit der Bedeutung, die ihnen der Schöpfer gibt.


    'Mystische Erzählungen' gibt es imho nicht, nur Erzählungen, die mystische Erfahrungen zu schildern versuchen.