Beiträge von Amdap im Thema „Annäherung Theravada/Maha-/Vajrayana bei fortschreitender Praxis“

    Liebe Leute,
    letztes Wochenende konnte ich mich freischaufeln, um mir zwei Vorträge eines Kagyü-Lehrers (mit tibetischem Hintergrund) anzuhören. Es ging um gewisse Grundlagen der buddhistischen Lehre.
    Unterdessen kam der Gedanke auf, ob jemand, der den hinayanischen Weg geht und die Arhatschaft anstrebt, dabei nur an sich selbst denkt.


    Was meint Ihr spontan dazu, hat so ein Arhatschaft-Anwärter nur egoistische Motive?
    Ich jedenfalls dachte darüber nach und kam zu einer differenzierteren Lösung.
    Ich vertrete die Ansicht, dass es mit fortschreitender spiritueller Praxis zu einer Annäherung beider Seiten kommen muss.


    Obwohl ich mich als Mitglied einer vajrayanischen Gemeinschaft sehe, ist die theravadische Ansicht, dass nur ein Erleuchteter einen Blinden führen kann, keinesfalls aber ein Blinder einen Blinden, und man darum so schnell wie möglich selbst Erleuchtung erlangen muss, für mich völlig plausibel. Es ist klar, dass man deswegen auf diesem Weg zunächst nur an sich selbst denken muss. Trotzdem beinhaltet dieses in seinem Keim ja schon: dass man anderen auch zur Erleuchtung verhelfen möchte. Selbst wenn dieses nur ein unterbewusster Faktor wäre, der da mitspielt. Doch stets muss der Schüler auf der Hut vor Versuchungen sein und Abstand von ihnen nehmen, um seine eigene Reinheit zu pflegen.
    Mit fortschreitender Praxis fühlt so ein Kandidat dann, wie segensreich sein Streben auf seine Umgebung wirkt, und er findet möglicherweise immer mehr geschickte Mittel, wie er seine Mitwesen auf seinem Weg mit einbeziehen kann. Unweigerlich, d. h. durch (Lebens-)Erfahrung, entwickelt er sich dabei mehr und mehr zu einem Vertreter des Großen Fahrzeugs. Er merkt: "Ich weiß, dass ich nichts weiß", und gerade das macht ihn mit der Zeit natürlicher.


    Ein von vornherein mahayanisch Praktizierender erkennt vielleicht von Anfang an, was für ein ungeheuerliches, nahezu unmögliches Unterfangen sein Streben bedeutet. Das macht ihn demütig, dem Lehrer gegenüber sehr hingegeben. Er geht seinen Weg nicht erst für sich, um später für die spirituell weniger Begabten da zu sein, sondern er geht von Anfang an mit den Mitwesen. Er macht keinen Unterschied zwischen sich und anderen, setzt seinen Pfad in den einzelnen Schritten so um, wie es kommt (auch wenn es unvollkommen ist), weil er spürt, dass ohne Vernetzung nichts funktioniert. Die einzelnen Schritte zu immer mehr Verwirklichung nimmt er sozusagen nebenbei mit, ohne besonders daran angehaftet zu sein, denn im Vordergrund steht ja, mit den Anderen mitzugehen. Das scheint einfacher zu sein, ist aber in Wirklichkeit anspruchsvoller, durch das Erkennen verstärkter Versuchungen, wie er mit zunehmendem Fortschritt merkt, was wiederum eine Verwandtschaft zum Hinayana aufzeigt. Nur durch tiefe Hingabe zum Lehrer und allen seinen Emanationen (zunehmend erkennt auf seinem Weg der Adept immer mehr Alltagsphänomene als Emanationen seines Lehrers) kann er sich vor aller Art Versuchungen schützen.


    Glaubt Ihr, dass es im Ziel, Erleuchtung zu erlangen, Qualitätsunterschiede gibt? Dass etwa eine "hinayanische Erleuchtung" nicht so viel "wert" ist wie eine vajrayanische?
    Es kann doch nicht sein, dass ein Theravadin beim Erleuchtungsstreben nur an sich selbst denkt, das würde gar nicht funktionieren.
    Andererseits ist es auch abwegig zu glauben, dass der Weg eines mahayanisch/vajrayanisch Praktizierenden aussichtslos ist in Hinblick auf die Erleuchtung, nur weil er durch weltliche Verunreinigungen "kontaminiert" ist.
    Es kann auch sein, dass das Verständnis für den Weg des Großen Fahrzeugs mit zunehmender Lebenserfahrung wächst, jedenfalls trifft das auf mich zu.
    Und noch eine Bemerkung: so wird klar, dass die Kultivierung des Lehrerstatus im Großen Fahrzeug gewichtiger ist als im Kleinen Fahrzeug.


    Liebe Grüße von Amdap


    P. S. ich habe dieses Thema hier eingestellt, weil der Ausgangspunkt die Vorträge eines Kagyü-Lehrers waren und es mir schien, dass er von besagten "Qualitätsunterschieden" überzeugt war. Das hat mich etwas irritiert.