Beiträge von Sudhana im Thema „Mara, bzw. "das Böse"“

    Ich möchte anmerken, dass der Begriff "das Böse" eher was christlich Angehauchtes ist.

    Zumindest fehlt diesem Begriff im buddhistischen Kontext die moralisierende Komponente. Gerade in Bezug auf Māra ist das 'Böse' identisch mit der Fortsetzung von Alter, Krankheit und Tod bzw. die Vereitelung der Befreiung davon.


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    An dieser Stelle bin ich irritiert, weil Asuras ja eigentlich Halbgötter sind während der Begriff "Dämon" für mich schwer in die 6 Daseinsbereiche einzusortieren ist. Kannst Du erklären, was "ein Dämon bei den eifersüchtigen Göttern zu suchen hat"? Oder gibt es von der Mythologie der 6 Daseinsbereiche auch verschiedene Systeme, wo diese unterschiedlich verstanden werden?

    Generell sind solche Ansätze, wo ältere Mytheme in den Buddhismus übernommen wurden, nicht konsistent. So gibt es z.B. eine Inkonsistenz, die sechs Gāti und die buddhistische Kosmologie betreffend. Gemäß letzterer ist Māra 'Herrscher' des Kāmaloka, dem ja auch vier 'Himmel' und der Tāvatiṃsa- Bereich des Sumeru (Existenzbereiche von Devas) zugerechnet werden. Zwischen diesen und dem Bereich der Asura liegt dann noch der Bereich der Cātummahārājika, wo sich etliche mythologische Wesen herumtreiben, die nicht in die Gāti - Systematik passen (Kumbhāṇḍas, Gandharvas, Nāgas, Yakṣas ...). Da ist Māra offensichtlich eher als abstraktes Prinzip aufzufassen - und wenn als Personifikation, dann eher als Deva. Wird er wiederum als 'Dämon' (Rakshasa) aufgefasst, so werden diese Wesen zumeist (falls man überhaupt versucht, sie in das Schema der Gāti einzufügen) als eine Untergruppe der Asura (und zwar die bösartige) aufgefasst. Bei den Hindus wiederum (die ja auf derselben mythologischen Grundlage aufsetzen) setzen manche Gruppen Asura und Rakshasa schlicht gleich, für andere wiederum ist Māra ein Deva, da hat er den Platz des vedischen Totengottes Yama eingenommen - der sich wiederum auch im tibetischen Buddhismus findet.


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    Hallo Whanni ,

    man sollte sich beim Studieren klassischer buddhistischer Texte (z.B. Sutten des Palikanon) bewusst sein, dass diese - bei allem, was sie an damals neuen und revolutionären Gedanken formulierten - ihre Wurzeln in einem archaischen kulturellen Milieu haben; konkret der Kultur Nordindiens des 5. / 6. Jahrhunderts vor der Zeitenwende. Dies war das kulturelle Substrat der buddhistischen Lehre und es kann nicht verwundern, dass sich deutliche Spuren dieses Substrates - d.h. des in dieser Kultur verbreiteten mythologischen und kosmologischen Denkens - in den Sutten finden. Ohne sich dieser mythologisch gefärbten Sprache und der symbolischen Bilder dieses Denkens zu bedienen, wäre es Buddha und seinen Schülern gar nicht möglich gewesen, die Lehre ihren Zeitgenossen verständlich zu machen.

    So ist Buddhas Lehre in der Form, wie sie in den Sutten dargestellt wird, zwar im Kern und in ihren wesentlichen Aussagen eine psychologische und philosophische Lehre, die jedoch stark mit mythologischen und kosmologischen Komponenten vermischt ist, eben dem oben erwähnten kulturellen Substrat. Nun wäre der Buddhismus keine Weltreligion und schon gar nicht wäre er es noch heute, 2500 Jahre nach Entstehung, wenn das spezifisch 'buddhistische' der Lehre Gautama Buddhas nicht unabhängig von diesem archaischen kulturellen Substrat Bestand haben könnte bzw. wenn der buddhistische Kern der Lehre, wie sie sich z.B. im Palikanon findet, nicht auch im Kontext einer völlig anderen kulturellen Umgebung 'funktionieren' würde. Z.B. im China des 7. Jahrhunderts nach der Zeitenwende, im Japan des 13. Jahrhunderts oder heute in Westeuropa.

    Dazu bedarf es allerdings einer Anpassungsleistung, einer Akkulturation. D.h. es gilt, die spezifisch buddhistischen, überzeitlich gültigen Aussagen von den zeitgebundenen des kulturellen Substrats zu trennen bzw. die 'Versatzstücke' des kulturellen Substrats (beispielsweise die Figur des Mara) in ihrer Funktion im Kontext der Lehre zu verstehen. Das heisst konkret, den psychologisch / philosophischen Aussagegehalt etwa einer Auseinandersetzung zwischen Buddha oder wie in MN.50 eines Arhat mit der mythologischen Figur eines Mara oder auch - an anderer Stelle - eines Deva wie Brahma zu entschlüsseln. Anders gesagt: es geht darum, die eigentlich buddhistische Lehraussage in solchen Episoden zu verstehen und nicht darum, an die Existenz von Dämonen wie Mara oder von Göttern wie Brahma zu glauben.

    Zu Mara selbst: es handelt sich um einen mächtigen Dämon, eine Gestalt, die im Kontext der mythologischen sechs Existenzbereiche (Devas, Asura, Menschen, Preta / Hungergeister, Tiere und Bewohnern des Narakaloka / 'Höllen') einer niederen Klasse von Asura, den Rakshasa, zuzuordnen ist. Wie alle Wesen der sechs Existenzbereiche sind auch Asura / Rakshasa Alter, Krankheit und Tod unterworfen - sie wandern also durch die Existenzbereiche (Gati) von Samsara. Das wird gerade in MN.50 deutlich, wo Mogallana, einer der Hauptschüler Buddhas, von seiner karmischen Verbindung mit einem früheren Mara namens Dusi spricht (der 'aktuelle' Mara heisst Namuci). 'Mara' steht also nicht für eine Entität, ein beständiges Wesen, sondern eher für eine Funktion in Samsara. Diese Funktion besteht darin, andere Wesen an Samsara zu binden. Das Mittel dazu ist 'Versuchung' - und hier haben wir tatsächlich eine Parallele zum Satan der christlich-jüdischen Mythologie. Das wird besonders deutlich in der Schilderung von Buddhas Erwachen, das Mara Namuci zu verhindern sucht (der Kampf mit Mara, marayuddha) - u.a., indem er seine drei schönen Töchter Tanha, Raga und Arati vorschickt. Die Namen der Töchter (Tanha - der Durst, Raga - Verlangen und Arati - Ablehnung) verweisen nun schon sehr deutlich darauf, dass es sich um eine Allegorie handelt, um eine symbolische Darstellung eines inneren 'Kampfes'. Dabei ist Tanha das Verlangen nach angenehmen sinnlichen Erfahrungen; Raga ist der Wunsch zu werden, Ziele zu erreichen, Anerkennung und Ruhm zu finden. Arati ist der Wunsch, unangenehmen Erfahrungen zu entgehen. Das sind die 'Versuchungen' Maras. Alle drei sind sie verschiedene Formen von Verlangen, von Durst in zunehmender Subtilität: Kama-Tanha, Bhava-Tanha und Vibhava-Tanha.

    Auch der Name Mara ist - wenn auch weniger deutlich - ein 'sprechender' Name. Er ist von marati, sterben oder getötet werden, abgeleitet (vgl. auch lat. 'mori'). Eben dies verweist auf die Konsequenz der Bindung an Samsara, das die 'Funktion' von Mara ist - das immer und immer wieder wiederholte Sterben in Samsara. Mara als mythologische Gestalt ist die symbolische Verkörperung des Sterbens. Aus diesem Grund trägt Mara auch den Beinamen Papima, was man mit 'der Böse' übersetzen kann. Das 'Böse' ist hier freilich etwas Anderes als das, was im christlich-jüdischen Kontext als 'das Böse' verstanden wird.

    Zusammenfassend: man kann den buddhistischen Mythos von Mara wörtlich verstehen oder symbolisch; man kann ihn auch wörtlich und symbolisch verstehen. Letzteres war wohl zu Zeiten Buddhas (in dem damaligen kulturellen Substrat) das übliche Verständnis zumindest der breiten Masse. In unserem kulturellen Umfeld ist es hingegen eher unüblich, an die Existenz von Dämonen zu glauben bzw. sie als gegeben hinzunehmen. Da ist es eher sinnvoll, solche Mythen als Allegorien für bzw. symbolische Darstellung von psychischen (Loslösungs-)Prozessen zu verstehen. Also: es geht im Zusammenhang dieses Mythos tatsächlich um nichts anderes, als "gegen Deinen inneren Schweinehund" zu kämpfen. Mara ist Dein "innerer Schweinehund", nichts anderes, und er kann mit der Praxis des achtfachen Pfades überwunden werden. Mara ist ebensowenig ein konkret existierendes Wesen wie Dein Schweinehund, auch wenn Dir der Schweinehund so schwer im Magen liegen kann wie Mogallana Mara im Gedärm.

    Ein fundamentalistisches Wörtlich-Nehmen überlieferter Texte ist im Zusammenhang buddhistischer Lehre genau so wenig sinnvoll wie im Kontext christlicher oder islamischer 'heiliger Bücher'. Es bleibt an der Oberfläche hängen und verhindert ein tieferes Eindringen in die Texte und deren sinnentnehmendes Verstehen. Lass Dich bei diesem Eindringen und Verstehen nicht durch Deinen Mara / Schweinehund entmutigen

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