Das immerwährende Schwert der Koan:
Mit Zazen durch Duàn zu einer Shunyata des WU.
Es ergeben sich zwei Fragen:
Ein „da ist nichts“ kann Menschen ins Bodenlose fallen lassen.
Die andere Frage ist: Sind Menschen noch gut, ohne Belohnung durch Wiedergeburt oder im Himmel?
Erst die letzte Frage, dann die darüber:
Ja, Menschen können auch mit „wu“ noch moralisch sein, erst Schopenhauer dann Laozi:
Schopenhauer, aus „Die beiden Grundprobleme der Ethik“:
Kriterium der Handlungen von echt moralischem Wert:
Legale Handlungen können aus egoistischen Triebfedern hervorgehen, aber nicht echt moralische. Dogmen sind zwar geeignet, Legalität zu erzeugen, aber nicht Moralität. Angenommen, dass der Glaube an Götter, deren Wille und Gebot die sittliche Handlungsweise wäre, und welche diesem Gebot durch Strafen und Belohnungen, entweder in dieser, oder in der anderen Welt, Nachdruck erteilten („belohnen“, siehe Matthäus 6.4: dein Vater im Himmel, der sieht was du Wohltaten im geheimen tust, wird dich belohnen, Lukas 6.35: leiht ohne was zurückzuerwarten, eure Belohnung wird groß sein und ihr werdet Kinder des Höchsten sein), allgemein Wurzel fasste und die beabsichtigte Wirkung hervorbrächte; so würde dadurch zwar Legalität der Handlungen, selbst über die Grenze hinaus, bis zu welcher Justiz und Polizei reichen können, zu Wege gebracht sein; aber Jeder fühlt, dass es keineswegs Dasjenige wäre, was wir eigentlich unter Moralität der Gesinnung verstehen. Denn offenbar würden alle durch Motive solcher Art hervorgerufene Handlungen immer nur im bloßen Egoismus wurzeln. Dagegen ist das Kriterium der Handlungen von echt moralischem Wert die Ausschließung derjenigen Art von Motiven, durch welche sonst alle menschlichen Handlungen hervorgerufen werden, nämlich der eigennützigen im weitesten Sinne des Wortes. Abwesenheit aller egoistischen Motivation ist also das Kriterium einer Handlung von moralischem Wert.
Die moralische Triebfeder:
Die moralische Triebfeder muss schlechterdings, wie jedes den Willen bewegende Motiv, eine sich von selbst ankündigende, deshalb positiv wirkende, folglich reale sein; und da für den Menschen nur das Empirische, oder doch als möglicherweise empirisch vorhanden Vorausgesetzte Realität hat; so muss die moralische Triebfeder in der Tat eine empirische sein und als solche ungerufen sich ankündigen (!!!), an uns kommen, ohne auf unser Fragen danach zu warten, von selbst auf uns eindringen, und dies mit solcher Gewalt, dass sie die entgegenstehenden, riesenstarken, egoistischen Motive wenigstens möglicherweise überwinden kann. Dieser Forderung entspricht allein das Mitleid.
Das heißt, es lässt nicht jenes selbst zu, das im Mitgefühl sich gefiele (Zufügung: Denn das definiert den Gutmenschen).
Entsprechend im Buddhismus: Mitleid darf nicht im geringsten Gefühl von Selbstzufriedenheit entstehen lassen (weil das ein egoistischer Grund ist).
Obige „Abwesenheit aller egoistischen Motivation ist also das Kriterium einer Handlung von moralischem Wert“ entlarft auch den Kantschen Imperativ als nicht moralisch: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“ hat als Grund, dass ich nur deshalb einem anderen den Schädel nicht einschlage, weil ich nicht will, dass wiederum ein anderer ihn mir einschlägt. Trotzdem, der Sinn von oben: ... „so würde dadurch zwar Legalität der Handlungen, selbst über die Grenze hinaus, bis zu welcher Justiz und Polizei reichen können, zu Wege gebracht sein“, aber es bleibt ein egoistischer Grund und somit kein moralischer.
Laozi, Dao-De-Jing (In der Übersetzung von Günther Debon):
KAPITEL 38
Höchste Tugend weiß von der Tugend nicht;
Daher: gibt es die Tugend.
Niedere Tugend läßt von der Tugend nicht;
Daher mangelt die Tugend.
Höchste Tugend ist ohne Tun;
Ist auch ohne Grund (!!!), warum sie täte.
Niedere Tugend tut,
Hat auch einen Grund, warum sie tut.
Höchste Menschlichkeit tut,
Aber ohne Grund (!!!), warum sie tut.
Höchste Rechtlichkeit tut,
Doch mit einem Grund, warum sie tut.
Nun zu:
Mit Zazen durch Duàn zu einer Shunyata des WU:
Ein „da ist nichts“ kann Menschen ins Bodenlose fallen lassen.
Das ist die Schranke vor dem Tor des Chan.
Wu-Men-Guan Koan 1:
Weil ein Mönch ihn fragte: „Hat auch ein Hund das Buddha-Wesen oder nicht?“, sagte Zhao-zhou: „Wu“ ... „da ist nichts“!
Darauf folgt der Kommentar von Wu-men (in der Übersetzung von Albert Krieter / Mumonkan, gibts als pdf):
„Um Zen zu verwirklichen, muss man die Hindernisse der Patriarchen überwinden. Erleuchtung kommt immer erst, wenn der Weg des Denkens versperrt ist (!!!). Wenn du die Barriere der Patriarchen nicht überwindest oder wenn dein Denken nicht abschneidest, so ist alles, was du denkst und tust, wie ein verirrtes Gespenst. Du fragst vielleicht: Was ist das, die Barriere eines Patriarchen? Diese eine Wort Mu ist es (!!!). Das ist die Barriere des Chan (!!!). Wenn du durch sie hindurchgehst, so siehst du Joshu (Zhao-zhou) von Angesicht zu Angesicht. Dann kannst du Hand in Hand arbeiten mit der ganzen Reihe der Patriarchen. Ist das nicht höchst erfreulich? Wenn du durch diese Barriere hindurch möchtest, so musst du mit jedem Knochen deines Körpers, mit jeder Pore deiner Haut arbeiten, immer erfüllt von dieser Frage: Was ist Mu? Und sie Tag und Nacht mit dir herumtragen. Glaube nicht, es sei dies das übliche negative Symbol, das einfach "Nichts" bedeutet. Es ist nicht das Nichts, das Gegenteil von Existenz. Wenn du wirklich diese Barriere überwinden willst, so musst du das Gefühl haben, als würdest du eine heiße Eisenkugel verschlucken (!!!!!!!), die du weder verdauen noch ausspucken kannst. Dann verschwindet dein früheres minderwertiges Wissen. Wie eine Frucht im Sommer reift, so werden deine Subjektivität und deine Objektivität auf natürliche Weise eins werden. Es ist so, wie wenn ein Stummer einen Traum hatte. Er weiss es, aber er kann ihn nicht erzählen. Wenn du in diesen Zustand eintrittst, so ist die Schale des Ego zerbrochen, und du kannst den Himmel erschüttern und die Erde bewegen. Du bist wie ein großer Krieger mit einem scharfen Schwert (!!!!!). Wenn ein Buddha in deinem Weg steht, so tötest du ihn; wenn ein Patriarch ein Hindernis aufrichtet, so tötest du ihn; und du bist frei auf deinem Weg des Lebens und des Todes (!!!). Du kannst jede Welt betreten, als sei sie dein eigener Spielplatz (!!!). Ich will dir erzählen, wie man das mit diesem Koan erreicht: Konzentriere deine ganze Energie auf dieses Mu und lasse keine Unterbrechung zu. Wenn du in dieses Mu eintrittst, und es erfolgt keine Unterbrechung, so wird dein Erfolg wie eine brennende Kerze sein, die das ganze Universum erleuchtet.“
Da ist wieder das Schwert des Abschneidens, aber da ist auch der Absturz in das Bodenlose, nichts Metaphysik, nicht irgendwas wie Gott, aus vorbei ... das ist sie, die heiße Eisenkugel zum verschlucken.
Wie kommt man nun von der verschluckten heißen Eisenkugel zu „du bist frei auf deinem Weg des Lebens und des Todes (!!!). Du kannst jede Welt betreten, als sei sie dein eigener Spielplatz (!!!)“?
Darum geht es eben wesentlich in den Bi-Yan-Lu, Cong-Rong-Lu, Wu-Men-Guan.
Z.B. Wu-Men-Guan Koan 35: Kommentar Wu-men (Übersetzung auch im folgenden immer Dietrich Roloff, entsprechend Bi-Yan-Lu, Cong-Rong-Lu, Wu-Men-Guan):
Wenn du in diesem Punkt zur Wahrheit erwacht bist, dann weißt du sogleich, dass das Heraustreten aus der Haut (zugleich Eintreten in die Shunyata) und das wieder Eintreten in die Haut (nach der Shunyata) wie das Übernachten in einer Herberge für Reisende ist.
Es geht also in keinster Weise um die glühende Eisenkugel als Selbstzweck, es geht darum, dass das Universum erleuchtet ist zum Zwecke des „Du kannst jede Welt betreten, als sei sie dein eigener Spielplatz (!!!)“.
Denken wir nochmal an Nietzsche, aus „Menschliches, Allzumenschliches, 1878“:
33.
...
die Menschheit hat im Ganzen keine Ziele, folglich kann der Mensch, in Betrachtung des ganzen Verlaufes, nicht darin seinen Trost und Halt finden, sondern seine Verzweifelung (die glühende Eisenkugel). Sieht er bei Allem, was er thut, auf die letzte Ziellosigkeit der Menschen, so bekommt sein eigenes Wirken in seinen Augen den Charakter der Vergeudung (und der Hoffnungslosigkeit des Endlichen).
...
34.
...
ich könnte mir eben so gut, wie jene geschilderte und bei einzelnen Naturen mögliche Nachwirkung, eine andere denken, vermöge deren ein viel einfacheres, von Affecten reineres Leben entstünde, als das jetzige ist: so dass zuerst zwar die alten Motive des heftigeren Begehrens noch Kraft hätten, aus alter vererbter Gewöhnung her, allmählich aber unter dem Einflusse der reinigenden Erkenntniss schwächer würden (hier ist die Shunyata „Wu“ !!!!!!!). Man lebte zuletzt unter den Menschen und mit sich wie in der Natur, ohne Lob, Vorwürfe, Ereiferung, an Vielem sich wie an einem Schauspiel weidend, vor dem man sich bisher nur zu fürchten hatte. Man wäre die Emphasis los und würde die Anstachelung des Gedankens, dass man nicht nur Natur oder mehr als Natur sei, nicht weiter empfinden. Freilich gehörte hierzu, wie gesagt, ein gutes Temperament (oder Übung), eine gefestete, milde und im Grunde frohsinnige Seele, eine Stimmung, welche nicht vor Tücken und plötzlichen Ausbrüchen auf der Hut zu sein brauchte und in ihren Aeusserungen Nichts von dem knurrenden Tone und der Verbissenheit an sich trüge, - jenen bekannten lästigen Eigenschaften alter Hunde und Menschen, die lange an der Kette gelegen haben. Vielmehr muss ein Mensch, von dem in solchem Maasse die gewöhnlichen Fesseln des Lebens abgefallen sind, dass er nur deshalb weiter lebt, um immer besser zu erkennen, auf Vieles, ja fast auf Alles, was bei den anderen (!!!) Menschen Werth hat, ohne Neid und Verdruss verzichten können, ihm muss als der wünschenswertheste Zustand jenes freie, furchtlose Schweben über Menschen, Sitten, Gesetzen und den herkömmlichen Schätzungen der Dinge genügen (ein erfülltes Leben ist nicht ausgeschlossen). Die Freude an diesem Zustande theilt er gerne mit und er hat vielleicht nichts Anderes mitzutheilen, - worin freilich eine Entbehrung, eine Entsagung mehr liegt. Will man aber trotzdem mehr von ihm, so wird er mit wohlwollendem Kopfschütteln auf seinen Bruder hinweisen, den freien Menschen der That, und vielleicht ein Wenig Spott nicht verhehlen: denn mit dessen “Freiheit” hat es eine eigene Bewandtniss (ahja: Nietzsche lehnt die Willensfreiheit ab).
Das schließt in keinster Weise aus, dass man seinen Aufgaben im Leben nachkommt, ob man nun seine Schale auswäscht (Cong-Rong-Lu Koan 39: Zhao-zhou) oder eine Firma leitet.
Die Shunyata als das Übernachten in einer Herberge für Reisende in die man immer mal wieder eintritt und austritt hat den Sinn und Zweck: Leben !!! Die Reisenden sind Reisende des Lebens!
Bloß dazu noch ein paar schöne Beispielchen:
Wu-Men-Guan (wie oben schon gesagt das folgende nach Roloff) Koan 46:
Shi-shuang:
Ein Mensch, der oben auf einer hundert Fuß hohen (Shunyata-) Stange sitzt –
Obwohl er den Zugang erlangt hat, ist das noch nicht das Wahre.
Oben auf einer hundert Fuß hohen Stange musst du vorwärts schreiten –
In die Welt (!!!) der zehn Richtungen deinen vollständigen Leib zeigen!
Wie so oft unschlagbar der Kommentar von Wu-men:
... sag doch mal: „Von der Spitze einer hundert Fuß hohen (Shunyata-) Stange ... warum denn da vorwärtsschreiten? – Ich habe mich heiser geschrien!
... auf dass ein erfülltes Leben winkt!
Bi-Yan-Lu Koan 39:
Ein Mönch fragte Yun-men: „Was ist mit dem reinen und klaren Wahrheitsleib?“
Yun-men sagte: „Blüte – Medizin – Umzäunung (!!!)“
Der Mönch sagte: „Wenn dann einer einfach so davongeht, was denn dann?“
Yun-men sagte: „Goldhaar-Löwe!“
Bi-Yan-Lu Koan 44 (mit wichtiger Abweichung von der Roloffschen Übersetzung):
Im Voraus:
In China wurde an den Stadttoren die Trommel geschlagen bevor sie geschossen wurden, damit diejenigen noch raus konnten die mussten. Hier meint raus: Rechtzeitig raus aus immerwährender (!!!) Shunyata ins Leben, was die Herberge für den Reisenden nicht ausschließt!
He-shan ließ einmal die Bemerkung fallen: Sich im Lernen üben heißt Hörer sein; das Lernen abgeschnitten zu haben (Shunyata) heißt Nachbar sein, und diese beiden überschreiten heißt wahres Überschreiten !“
Ein Mönch fragte: „Was ist dieses wahre Überschreiten?“
He-shan sagte: „Djiä da gu = den Trommelschlag verstehen!“
Der Mönch fragte nochmals: „Was ist dieses wahre Überschreiten?“
He-shan sagte abermals: „Djiä da gu = den Trommelschlag verstehen!“
Der Mönch fragte: „Ist es Geist, dann ist es Buddha, danach frage ich jetzt nicht! Was aber besagt: Es ist weder Geist noch Buddha?“
He-shan sagte: „Djiä da gu = den Trommelschlag verstehen!“
Der Mönch fragte: „Wenn ein Mensch kommt, der nach oben hin strebt, wie begegnet ihr dem?“
He-shan sagte: „Djiä da gu = den Trommelschlag verstehen!“
Man kommt an den Chinesen, am Dao-De-Jing und den Bi-Yan-Lu, Cong-Rong-Lu, Wu-Men-Guan nicht vorbei ... Jahrhunderte später noch die zwei verschiedenen Seiten einer Medaille Schopenhauer und Nietzsche (je nach Temperament) ... .. . das ist aber auch hinreichend.