Beiträge von Kagemusha im Thema „Nirvana und Nihilismus-Vorwürfe“

    Nihilismus geht nach der mir geläufigen Interpretation vom Fehlen einer legitimen Autorität aus, die einen objektiven Lebenssinn bzw. moralische Maßstäbe schaffen könnte. Den Vorwurf, der Buddhismus sei nihilistisch, kann man in dem Sinne bejahen, weil er von der Essenzlosigkeit alles Bestehenden ausgeht. Ich finde diese Begründung aber recht kurzsichtig. Die tibetischen Exilanten in Indien gehen zweifellos von der Essenszlosigkeit des Staates China aus, der sich aus Millionen Individuen zusammensetzt. Doch lässt sich nicht leugnen, dass dieser Staat einen objektiv nachweisbaren Fakt geschaffen hat, nämlich die Annexion Tibets. In der selben Weise würden nur wenige "traditionelle" asiatische Buddhisten behaupten, dass Gottheiten wie Yama keine objektiven Maßstäbe setzen, nur weil sie essenzlos sind- denn nach meinem Wissensstand fungiert er als eine Art Richter. Ist die Möglichkeit, in das Nirvana einzutreten, vor diesem Hintergrund wirklich nihilistisch? Oder nicht vielmehr existenzialistisch und emanzipatorisch, weil es den ständig wiedergeborenen Wesen die Möglichkeit eröffnet, sich aus diesem sklavischen Kreislauf zu befreien? Ich tendiere zu Letzterem.


    Ein weiterer Punkt, auf den ich eingehen will, ist die Einbeziehung der christlichen Perspektive im Artikel. Der Autor bemängelt wohl, dass der Buddhismus von Kirchenleuten trotz seines Nihilismus gelobt wird. Das scheint mir sehr ironisch, weil ich in "The Making of Buddhist Modernism" gelesen habe, dass christliche Missionare in Asien ad nauseam versuchten, den Buddhismus als wertlose, nihilistische Religion zu verunglimpfen. Die (aus meiner Sicht falsche) Annahme dahinter ist, dass Atheismus unweigerlich zu Nihilismus und davon ausgehend zu moralischem Verfall führt. Aber gerade der christliche Trinitarismus stößt auf Rechtfertigungsprobleme. Schließlich geht das Christentum von einem allmächtigen, unendlich barmherzigen Gott aus, der sich selbst zu sich selbst opferte, um die Menschheit vor dem Bösen zu retten, das er paradoxerweise selbst erschaffen hat. Die Annahme eines unsterblichen, allmächtigen und durchweg guten Schöpfers führt direkt zur Theodizee.


    Der Buddhismus hat aus meiner Sicht den Vorteil, dass er selbst in seiner demythologisierten Form den Nihilismus überwindet und (denke ich) eher in Richtung Existenzialismus geht. Und das Nirvana als Ziel ist, wie ich weiter oben schrieb, nicht als bloße Resignation vor dem Fehlen eines Lebenssinns zu verstehen.