Beiträge von Tai im Thema „Lesegruppe 03.06 - 09.06: Mumonkan Fall 20 - Ein Mann von großer Kraft“

    Das "Passt auf" ist keine bloße Redewendung.


    Ich würde nicht zuviel auf das "Passt auf" geben, womöglich steht es gar nicht im chinesischen Text drin... Vorsicht, schamloser Plug für meine Twitter-Seite Zen und China (auch echt ohne Account).

    Danke für den Hinweis und für den Link zur Twitter-Seite.


    Als jemand, der des Chinesischen nicht mächtig ist, kann ich es nicht beurteilen, folge aber gerne deiner Argumentation. An der Bedeutung der Passage ändert sich meiner Auffassung nach dadurch nichts.


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    @ Schmu: Ja, gut beschrieben.


    Vergiss aber nicht, dass das Nichtverstehen des Koans ein wunderbarer Einstieg in gegenstandsloses Gewahrsein ist. Und gegenstandsloses Gewahrsein führt in ein Erleben der Soheit dessen, was da genau jetzt erlebt. So unterschiedlich die Aspekte des Erwachens sind, auf die das jeweilige Koan ein Schlaglicht wirft, die Koans weisen doch alle in diese eine Richtung - da hat Horin sicher nicht unrecht.

    Wie entsteht ein Koan? Sind das so eine Art Erkenntnisse von Meistern, die sie spontan in Worte fassen? Oder entwickelt ein Zen-Meister ein Koan eine Zeit lang, haben sie einen Entstehungsprozess?

    Zuerst mal sind Koans i.d.R. Anekdoten, meist aus dem Leben von Zen-Praktizierenden, die auf lebendige und anschauliche Weise einen Aspekt des Erwachens oder auch 'Fehler' im Sinne von Ebenen der Anhaftung z.B. an begriffliches Denken zum Ausdruck bringen. Etliche dieser Annekdoten stammen aus einer Zeit als noch gar nicht in der heute überlieferten Weise formale Koanschulung betrieben wurde. Diese und auch viele der späteren Koan dürften einfach spontan in der Interaktion erwachter und um Erwachen ringender Menschen entstanden sein; ein Ausdruck lebendigen Zens. Auch heute noch kommen auf diese Weise neue Koans hinzu. Gerade unter den neueren gibt es auch Koans, die lediglich aus einer Frage bestehen.

    Ich hab mal eine Frage an die, die vertrauter mit Koans sind. Ich drücke das jetzt vielleicht etwas merkwürdig aus (weil ich nicht viel darüber weiß, geschweige denn irgendwelche Praxiserfahrungen in so eine Richtung habe), aber vielleicht kann trotzdem jemand etwas dazu sagen:


    Wie entsteht ein Koan? Sind das so eine Art Erkenntnisse von Meistern, die sie spontan in Worte fassen? Oder entwickelt ein Zen-Meister ein Koan eine Zeit lang, haben sie einen Entstehungsprozess?

    Für alle, die damit noch wenig Erfahrung haben, versuche ich das Thema "falsche Antwort / richtige Antwort" in der Koanarbeit mal allegorisch zu beschreiben:


    Ein durstiger Mensch hat gehört, dass in der Nähe eine Trinkwasserquelle sei und erkundigt sich nach dem Ort. Die falsche Antwort führt ihn irgendwohin, wo es kein Wasser gibt. Die richtige Antwort weist den korrekten Weg zum Trinkwasser. Aber damit, dass der Durstige die richtige Antwort erhalten oder selbst erraten hat, ist er dem Stillen seines Durstes erst mal noch keinen Schritt näher gekommen. Er muss schon hingehen. Und trinken muss er auch - das wird ihm niemand abnehmen. Nur wer das Wasser wirklich trinkt, wird die Koanfarge authentisch und korrekt auf eine Weise beantworten können, die im Dokusan Bestätigung findet.


    In diesem Sinne ist zu verstehen, dass die 'richtige' Antwort (wenn sie hier jemand ausplaudern würde oder wie man sie in gewissen Schriften finden kann) erst mal immer noch genauso weit von der eigentlichen Sache entfernt ist wie die falsche Antwort. Koanarbeit ist kein schlichtes Rätsellösen oder sonst eine Art von intelektueller Spielerei, sondern etwas, das mit Leib und Seele verwirklicht werden will. Mit Beliebigkeit im Sinne von "irgendwie sind alle und keine Antwort richtig" hat das natürlich nichts zu tun. Solch eine Haltung findet man eher schon mal bei Menschen, die sich niemals einer formalen Koanpraxis unterzogen haben oder die diese frühzeitig abgebrochen und sich dann selbst zu Koanexperten/Zenmeistern ernannt haben.


    Es sollte (um noch mal bei der Allegorie zu bleiben) klar sein, dass es fundamental wichtig ist, den 'richtigen' Weg zum Wasser zu finden. In diesem Sinne kann ich mich nur Leonie anschließen, die es genau auf den Punkt gebracht hat:



    An diesem Beispiel Fall 20 (und auch an anderen Fällen) lässt sich zumindest sagen, dass es jeweils eine richtige Antwort, auf die Fragen gibt. Warum ist das so? Weil es auch um eine faktische Seite geht. Also wenn ich frage, wieviel Uhr ist es - dann gibt es eine "richtige" Antwort.

    Die faktische Seite des Koan kann also sehr wohl als "richtig" erkannt werden.


    Und auch dieser Fall hier hat eine "richtige" Lösung.

    ... witzig nicht: da hast du für mich alles dargelegt und bis doch immer mitten drin und voll daneben. hat mich nicht gefreut dein Beitrag.

    Lieber Ellviral,


    ich hab's mir noch mal angeschaut und musste mit Erschrecken feststellen, dass man meinen Beitrag, auf den du hier antwortest, tatsächlich so lesen kann, als würde ich darin deine Praxis beschreiben und bewerten. Das war selbstverständlich nicht meine Absicht - ich kann ja deine Praxis gar nicht kennen und habe wirklich nicht die geringste Ahnung, wie du praktizierst, woher auch? Es steht mir auch nicht zu und ist auch nicht im Geringsten mein Interesse, irgend jemandes Praxis zu bewerten.


    Es geht mir im obigen Post ausschließlich darum, ganz allgemein zwei Aspekte der Koanpraxis zu beschreiben:

    1. Wie das Nichtwissen der Antwort ein wichtiger Bestandteil der Wirkung dieser Praxis ist.

    2. Warum es aus genau diesem Grund wichtig ist, die Antworten, die man dabei findet und die einem dann in der Koanarbeit im Weg stehen, vom Meister im Dokusan prüfen und zerschlagen zu lassen.


    Stilistisch gesehen bin ich kein großer Freund von "man"-Sätzen und verwende mitunter lieber ein "du" oder ein "wir". Statt zu sagen "man geht dann zum Dukusan mit seiner Erklärung und der Meister zieht einem den Boden unter den Füßen weg", neige ich eher dazu, zu sagen "dann gehst du zum Dukusan mit deiner Erklärung und der Meister zieht dir den Boden unter den Füßen weg". Das hat sich diesmal leider als sehr unglückliche Wortwahl erwiesen, denn so kann man meinen Text zwar immer noch als ganz allgemeine Beschreibung lesen (wie er auch von mir gemeint war) aber ebenso auch als völlig anmaßende Bewertung oder Abwertung deiner Praxis, wie er natürlich nicht gemeint war, denn ich kenne wie gesagt deine Praxis oder die der anderen Diskussionsteilnehmer hier ja gar nicht. Ich gehe, ehrlich gesagt, auch nicht davon aus, dass außer Leonie und mir in dieser Lesegruppe noch jemand eine formale Koan-Praxis vollzieht oder vollzogen hat (der gute Festus hat dieses Forum ja leider verlassen). Keineswegs verstehe ich mich in diesem Forum als Lehrer, sondern berichte, weil es zum Thema dieser Lesegruppe passt, lediglich von meiner Erfahrung mit der Koanarbeit und von ihrer Wirkungsweise.


    Von meiner Seite sorry, wenn das bei dir oder bei anderen Diskussionsteilnehmern anders angekommen sein sollte.


    Tatsächlich bezog ich mich allerdings in dem eingeklammerten und mit Noreply versehenen Satz auf deinen Beitrag, in dem du zum Geheimhalten von Koan-Antworten sagst: "Beschützer von Heiligtümern werden immer so reagieren, nichts für Menschen nur für vor Heiligtümern Kniende." Diese Sichtweise halte ich in der Tat für irreführend. Da das Nichtwissen der Koanantwort gewissermaßen das Einstiegstor in die Koanpraxis ist, würde diese Praxis nicht mehr funktionieren, wenn man die Antworten öffentlich verraten würde. Mit ehrfürchtigem Niederknien vor Heiligtümern hat das nun wirklich nichts zu tun.


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    Tai

    Zitat Ellviral: "Zu viel Angst ... davor das hier anonym ein Meister ist und man sich bis auf das Mark seiner Knochen blamiert."


    Zitat Sili: "ich hab gerade gemerkt das ich das blöde ding nur lösen wolte für das gefühl"



    In uns allen steckt wohl so ein verkappter Sherlock Holmes, der das Koan-Rätsel lösen und den anderen zeigen will, dass wir es konnten. Das ist nur menschlich und normal. Viele Menschen, besonders Anfänger in der Koanpraxis neigen dazu, erst über das Koan nachzudenken und - da das nicht zum Erfolg führen kann - in einer Art intuitivem Assozieren quasi 'out of the box 'nach ener Antwort zu suchen. Löst eine dieser Fantasien dann ein starkes Gefühl in ihnen aus, glauben sie die Lösung gefunden zu haben. Doch darum geht es gar nicht in der Koan-Praxis - im Gegenteil: genau damit werden wir dem Koan nicht mehr gerecht und verstellen uns seiner Wirksamkeit.


    Mumon sagt: "Passt auf: Wollt ihr wissen, ob etwas reines Gold ist oder nicht, müsst ihr es mitten im Feuer verstehen."


    Was glaubst du, wo dieser Ort ist, an dem das Gold im Feuer ist? Und wann findet wohl ein solches Ereignis statt? Das "Passt auf" ist keine bloße Redewendung.


    Wenn du dich in deiner Praxis nun an diesen Ort begibst und dir die Frage stellst "Warum hebt ein Mann von großer Kraft sein Bein nicht hoch?" und du dann keine Ahnung hast - dann kann sich das Koan (das nicht verschieden ist von dir, denn du bist es ja der/die sich die Koanfrage stellt) dann kann sich dieses Koan zu offener Weite ausdehnen und zu blühen beginnen und leuchten wie ein junger Stern. Das hält aber nur genauso lange an bis du mit deiner nächsten genialen Koan-Antwort um die Ecke kommst, inklusive Aufregung, Begeisterung und Stolz, es geschafft zu haben. Spätestens dann brauchst du ganz dringend ein Dokusan beim Meister, damit sein Stock den Unsinn wieder zerschlägt, den du dir so schön zurecht gelegt hast. (@ Ellviral: Mit "Beschützen von Heiligtümern, nicht für Menschen, nur für vor Heiligtümern Kniende" hat dieses Zerschlagen nichts zu tun. Nicht umsonst sagte Bodhidarma im ersten Koan des BI-Yän-Lu: "Offene Weite - nichts von Heilig.")


    Man liest ja immer wieder, dass wir im Zazen unsere Gedanken loslassen oder sie nur beobachten und weiterziehen lassen sollen. Das ist sicher ein toller Ratschlag, aber er ist auch fast unmöglich zu verwirklichen. Dieser Moment aber, in dem du dir die Koanfrage stellst und sie nicht beantworten kannst, öffnet eine große Tür. Wir stellen uns die Frage und unsere hausbackenen Antworten lauern von allen Seiten, im Begriff uns jeden Augenblick anzuspringen, um sich in unserem Geist festzubeißen. Wie kannst du sie im Zaun halten? Indem du dir weiter die Frage stellst, die Frage als Frage bestehen lässt und sie nicht ein Sprungbrett sein lässt ins nächste Fettnäpfchen einer hahnebüchenen Erklärung.


    Hast du dir die Frage in deiner Praxis (Grundlage dieser Praxis ist natürlich immer das Zazen) lange genug vorgelegt, wirst du irgendwann in der Lage sein, den Inhalt der Frage auch nonverbal wachzuhalten ohne das du es jedes Mal im Kopf formulieren musst. Mein Tipp: Versuche diesen Zustand zu erreichen, in dem du dir die Frage nonverbal vergegenwärtigen kannst ohne sie dabei zu verlieren; dann öffnet sich die Tür recht schnell. Irgendwann hast du die Frage und das, worauf sie zielt, so ganz und gar durchdrungen, dass die Antwort ganz von selber da ist. Diese Antwort ist dann aber auch zugleich ein Zustand. Das wird der Meister im Dokusan bestätigen.

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    Wenn jeder Koan nur immer die eigene lösung hat dan könnte ja nie jemand beim lösen eines Koan versagen. Dann wärren alle lösungen immer korrekt was das ganze üben ja noch sinnloser machen würde:?

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    Das stimmt.


    In der (koreanischen) Schule, in der ich etwa 10 Jahre lang mit Koans praktiziert habe, wurde betont, dass jedes Koan im Grunde eine Frage enthält/ist, auf die es eine klare, eindeutige Antwort gibt. Und so, wie du die Frage verbal stellen kannst, lässt sie sich in vielen Fällen auch verbal beantworten. Manchmal ist die Antwort auch eine Geste oder Handlung, aber sie ist eindeutig und passt messerscharf zur Frage. In der Geist-zu-Geist-Übertragung zwischen Meister und Schüler besteht da keinerlei Zweifel. Hörst oder liest du zufällig die auf verbaler Ebene richtige Antwort auf die Frage und trägst sie ins Dokusan, wird der Meister erkennen, ob deine Antwort nur intellektuell verstanden, aber nicht durchdrungen und nicht real verwirklicht ist.


    Eine Sache ist dabei essentiell (und das darf gerne als Hinweis auch auf den hier besprochenen 20. Fall des Mumonkans verstanden werden): Jedes Koan zielt immer auf genau denjenigen/dasjenige, das sich die Koan-Frage stellt. Auf intellektueller Ebene kannst du an beliebiger Stelle anfangen und mit voller Kraft beliebig lange alles geben - auf diese Weise wird dein Erwachen da, wo das Koan stattfindet, niemals ankommen. Im Gegenteil.


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