Für die jüngeren unter unseren Teilnehmern - über Herrn Williams wurde hier schon 2016 ausführlich diskutiert. Hier: Re: Christ und Buddhist sein (ab Beitrag #336) geht's los. Da ich nicht nur eitel, sondern auch faul bin, zitiere ich mal mein Fazit (in Beitrag 443):
Der 'Fall' Williams weist für mich ein paar Merkwürdigkeiten auf, wobei die sich daraus für mich ergebenden Fragen mich nun allerdings auch nicht so sehr umtreiben, dass ich die Zeit investieren würde, sein Buch 'The Unexpected Way' zu lesen. Aber interessant ist der 'Fall' allemal. Zunächst einmal darf man Williams sicherlich ein für einen Laien weit überdurchschnittliches theoretisches Verständnis des Buddhismus bescheinigen. Wobei ich einschränkend anmerken muss, dass ich in akademischen Arbeiten schon gelegentlich auf Aussagen stoße, die sich mit meinem Verständnis nicht decken. Nicht immer führt das zu einer Revision meines Verständnisses - manchmal auch zu der Einschätzung, dass da schlicht die buddhistische Praxis als Korrektiv rein theoretisch gewonnener Ein- und Ansichten fehlt. Hier liegt übrigens auch der Grund, warum ich auf den Punkt 'buddhistischer Lehrer' solches Gewicht gelegt habe. Voraussetzung für eine solche Bezeichnung ist eben nicht nur ein hinreichendes theoretisches Verständnis, sondern auch eine hinreichende praktische Erfahrung. Die Kriterien, was 'hinreichend' ist, sind nach Tradition formal unterschiedlich. Wie die Kriterien in der von Williams gewählten Gelug-Tradition aussehen, habe ich ja kurz angerissen. Dass zumindest in Bezug auf die praktische Erfahrung die Zeitdauer, die für sie aufgewandt wurde, kein Kriterium dafür ist (jedenfalls kein entscheidendes), ob sie 'hinreichend' ist, sondern ihre Qualität (die wiederum zu beurteilen ein berechtigterweise anerkannter 'buddhistischer Lehrer' die Kompetenz hat), dürfte zumindest einem Buddhisten klar sein.
Williams jedenfalls darf man sicher auch unterstellen, dass er sich tatsächlich etwa 20 Jahre lang ernsthaft bemüht hat, seine theoretischen Einsichten praktisch umzusetzen. Konkret im Lamrim Chenmo, der allerdings erklärtermaßen eine breite Auswahl von Zugängen - von einfacher Devotion bis hin zu Mahamudra - für Menschen unterschiedlicher Befähigung bietet. Wie nun Williams' Lehrer dessen Befähigung eingeschätzt und welche konkrete Praxis er ihm 'verordnet' hat, weiss ich nicht und will auch nicht darüber spekulieren. Der entscheidende Punkt ist natürlich auch nicht, ob die praktische Erfahrung, die Herr Williams in diesen zwei Jahrzehnten mit der buddhistischen Lehre gemacht hat, hinreichend für eine Qualifikation als buddhistischer Lehrer ist, sondern dass sie seine Erwartungen nicht erfüllt hat. Wobei natürlich die Erwartung auch darauf gerichtet sein konnte, sich als buddhistischer Lehrer (und nicht nur akademischer Lehrer für Buddhismus) zu qualifizieren. Aber das ist rein spekulativ und ich will das Williams auch nicht unterstellen.
Dabei ist es nach meiner Auffassung gar nicht einmal entscheidend, welche Erwartungen Herr Williams gehegt hat, als er Zuflucht genommen hat. Allzu abwegig dürften sie aufgrund seines theoretischen Wissens auch gar nicht gewesen sein. Was mich etwas merkwürdig berührt (eine der eingangs erwähnten Merkwürdigkeiten), das ist, dass nach 20 Jahren buddhistischer Praxis (wobei ich nicht einmal in Frage stellen will, dass es eine intensive Praxis war) überhaupt noch Erwartungen vorhanden waren, die enttäuscht werden konnten. Wo lag also Williams' Problem? Genau das ist doch der Punkt, der den 'Fall' Williams nicht nur für Katholiken, sondern auch für Buddhisten bemerkenswert macht. Wobei sich die Gründe des Interesses durchaus unterscheiden. Auf der einen Seite: warum wird so jemand zum Katholiken? Auf der anderen Seite: warum wendet sich so jemand vom Buddhadharma ab?
Natürlich kann man darüber, wo denn das Problem auf der 'buddhistischen Seite' lag, nur spekulieren. Die Spekulation, dass das Problem darin liegt, dass der Buddhismus eine Irrlehre ist, kann man dabei ruhig der katholischen Seite überlassen. Diese theoretische Möglichkeit mal beiseite gelassen - naheliegend ist jedenfalls der Schluss, dass es an der Praxis lag. Nur spekulieren kann man auch darüber, ob die Praxis nun falsch oder zu nachlässig ausgeübt wurde (dann läge die 'Schuld' bei Williams selbst) oder ob sie falsch gewählt bzw. zu nachlässig supervidiert war (was die 'Schuld' Williams' Lehrer zuweisen würde). Aber um Schuldzuweisung geht es selbstredend nicht. Es ist einfach nur merkwürdig (sic!), dass ein hochintelligenter Mann sich mit falschen Erwartungen auf eine bestimmte Lebensweise einlässt und dann zwei Jahrzehnte für die Einsicht benötigt, dass er damit eine falsche Entscheidung getroffen hat, die revidiert werden muss. Besonders bedauerlich empfinde ich, dass ich zumindest aus den mir vorliegenden Informationen nicht entnehmen konnte, dass Williams diese zwei Jahrzehnte Lebenserfahrung als nutzbringend für seinen jetzigen Lebensweg als Katholik ansieht. Möglicherweise ist das ja dem literarischen Genre der Konversionsgeschichten geschuldet, zu deren Standardtopoi nun einmal 'Irrweg' und 'Umkehr' gehören - ansonsten wären zwei mit einem Irrweg vergeudete Lebensjahrzehnte eine ziemlich traurige Angelegenheit.
Ich weiss nicht viel über Lamrim-Praxis. [...] Was sich für mich - bei aller Oberflächlichkeit der Betrachtung - abzeichnet, ist, dass Williams' Konversion nicht auf einer Einsicht beruht, dass anatman und sunyata 'falsche' Konzepte, Gott und Seele hingegen die 'richtigen' Konzepte sind. Seine Einsicht war wohl die, dass er ohne telos bzw. ohne die Hoffnung, dieses als Person zu verwirklichen, nicht leben wollte. Das telos des Erwachens (wenn es denn überhaupt eines ist) ist kein persönliches (und das der 'Wiedergeburt', wie Williams ja ausführlich darstellt, ebenfalls nicht) - das der Wiederauferstehung hingegen schon.
Dies als zutreffend vorausgesetzt, wäre die Diagnose einfach: trotz 20 Jahren buddhistischer Praxis gescheitert an der Überwindung schon der ersten 'Fessel' (saṃyojana) - dem Persönlichkeitsglauben. Ermutigend ist das bei den von Williams mitgebrachten Voraussetzungen - hohe Intelligenz, tiefe theoretische Kenntnis des Buddhadharma - nicht. Vielleicht ist es aber auch gerade umgekehrt ermutigend - zeigt es doch, dass hohe Intelligenz und tiefe theoretische Kenntnis des Buddhadharma nicht unbedingt hilfreich sind. Ich muss bei so etwas immer an Shurihandoku denken ...
Nur sind einfache Diagnosen selten uneingeschränkt plausibel. Die Merkwürdigkeit dabei ist ja wiederum, wie jemand, der immerhin intensiv über buddhistische Philosophie allgemein und Madhyamaka speziell gearbeitet hat, die Erwartung oder Hoffnung hegen kann, persönlich bodhi zu erfahren und dann auch noch 20 Jahre braucht, um zu merken dass eine solche Hoffnung notwendig enttäuscht werden muss. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass an dieser ganzen Konversionsgeschichte irgendetwas grundsätzlich nicht stimmt - ohne nun genau den Finger darauf legen zu können.