Beiträge von Sudhana im Thema „Kulturelle Aneignung“

    Das, was ich als hysterisch anmutenden Umgang mit einem Kampfbegriff wahrnehme

    Autsch! Zur Klarstellung, falls das missverstanden wurde - ich meinte damit nicht den Umgang damit hier im Forum; ich nehme die Diskussion vielmehr angenehm sachlich wahr. Ich meine Dinge wie die Ausladung eines Musikers, weil er Dreadlocks trägt (stand, glaube ich, in der taz) oder diese Diskussion über als Indianer verkleidete Kinder.

    Sollte hier darüber diskutiert werden, ob bereits die Beschäftigung mit fremden Religionen eine Form der kulturellen Aneignung darstellt?

    Das ganze Forum ist dem Austausch über die Lehre Buddhas gewidmet. Was war hier beabsichtigt?

    Ich bekenne mich dazu, gerade zu der im ersten Satz angesprochenen Frage eine etwas vertiefende Diskussion über den Begriff "kulturelle Aneignung" beabsichtigt zu haben. Dieser Begriff dient ja als Vorwurf, implizit etwas schlechtes, unheilsames zu sein. Er drückt also eine moralische Wertung aus.


    Von daher finde ich es durchaus sinnvoll, sich mit dem Begriff zu befassen. Insbesondere seine Implikationen zu prüfen. Ohne eine scharfe definitorische Abgrenzung, was "Aneignung" ganz konkret bedeutet, steht auch der "Austausch über die Lehre Buddhas" in einem deutschsprachigen Forum implizit mit unter dem Generalverdacht moralisch verwerflicher kultureller Aneignung. Deswegen halte ich es für wichtig, diesen Begriff zu reflektieren. Das, was ich als hysterisch anmutenden Umgang mit einem Kampfbegriff wahrnehme (wofür ich ja auch konkrete Beispiele genannt habe), deutet eben auf mangelnde Reflektion hin.

    Für mich entsteht die Komik des Videos daraus, dass eigene Stereotype und Vorurteile maximal frustriert und konterkariert werden.

    Das ist die kognitive Dissonanz, von der ich schrieb. Und da die Reaktion darauf - das Lachen oder Lächeln - die Dissonanz nicht notwendig auflöst, in Form zumindest einer Differenzierung der Stereotypen und Vorurteile, schrieb ich von einer Übersprungshandlung. Die Dissonanz wird als 'komisch' eingeordnet, was vor allem nicht-bedrohlich bedeutet - und damit auch 'nicht ernst zu nehmen'. Das erspart die Auseinandersetzung mit der Dissonanz; ihre Auflösung durch Erkenntnis. So viel zu plattem Humor.


    Wobei Komik der nicht allzu flachen Art (solche, die auch ernst genommen werden will) Dissonanzen natürlich auch subversiv als Mittel der Kritik einsetzen kann: https://www.youtube.com/watch?v=-wHMYNRdr-k - eine politisch äußerst unkorrekte kulturelle Aneignung (von der ich mich hier unzweideutig distanzieren möchte) zur Diffamierung von Bayern. Wäre heute sicher ein Fall für cancel culture ...


    einfachundgerne : die Problematik deutschen Staatskirchenrechts ist mir durchaus bewusst. Tatsächlich ist jedoch der Einfluss der Kirchen auf Gesellschaft und Politik (die 'öffentliche Meinung') nur noch marginal. Zumindest jedoch nicht entscheidend und offensichtlich auch zunehmend schwindend. Dass auch eine säkulare Ideologie nicht etwas grundsätzlich anderes ist als eine Religion, also dieselbe soziale Funktion erfüllt - geschenkt. Falls Bedarf an einer tieferen Diskussion dieses hier mE offtopic - Themas besteht, wäre ein eigener Thread sinnvoll.

    Sorry, wenn ich auf dem Punkt 'Komik liegt im Auge des Betrachters' etwas herumreite. Ich halte es für einen wichtigen Punkt, weil da nicht nur Komik liegen kann - es gibt auch unangenehmere Projektionen, als jemanden als Witz zu empfinden.


    Nun ja - ohne nun ein großer Freund dieser Art traditioneller Musik zu sein (wobei ich durchaus ein Ohr für ihre Reize habe, allerdings in weniger kommerzialisierter Form) so muss ich doch sagen, dass ich es nicht sonderlich komisch finde, wenn jemand, der seit längerer Zeit als 'Zugereister' in Reit im Winkl wohnt, ein Faible für die lokale Musiktradition hat und diese selbst ausübt. Auf einem technischen Level, für das das Publikum dieser Art Musik Wertschätzung hat, so dass er sogar Geld damit verdienen kann. Sein Stammpublikum nimmt ihn nach meiner Einschätzung nicht als Komiker wahr. Als Exot aufgrund seiner japanischen Herkunft (sein kommerzielles 'Alleinstellungsmerkmal') - das ja. Aber nicht als Clown. Zumindest nicht über das Level an Clownhaftigkeit hinaus, das die Unterhaltungsbranche von jedem Performer erfordert. Klappern gehört zum Handwerk ...


    Ich persönlich finde das nicht komischer als etwa dieses Beispiel (Du hast es herausgefordert):
    https://www.youtube.com/watch?v=xWRAvcYJX38

    Der 'Tristan' war übrigens meine erste Opernaufführung 'live' ... Das, was die Dame und das New Japan Philharmonic Orchestra in dem Video machen, ist jetzt vielleicht nicht gerade Bayreuth-Niveau (das sind viele europäische Inszenierungen auch nicht), aber respektabel ist das allemal. Übrigens ist auch in europäischen Spitzenorchestern heute der Anblick von Musikern und (vor allem) Musikerinnen ostasiatischer Herkunft keine Seltenheit und schon gar keine Sensation mehr. Das ist kulturelle Aneignung und ich finde das großartig. Muss ich ja wohl auch, da ich mir umgekehrt auch so ein paar ostasiatische Sachen kulturell angeeignet habe. Ist nur fair ...

    Yoshikind und Mabli - ich kann Euer beider Argumentation nachvollziehen, so dass sich mir der Verdacht aufdrängt, Ihr redet aneinander vorbei. Möglicherweise auch noch offtopic; die Verbindung zum Thema des Threads ist für mich nicht recht nachvollziehbar.


    Ich kann Mabli verstehen, da ich seine/ihre Skepsis hinsichtlich "westlicher Werte" teile. Nicht gegen alle, versteht sich. Eher gegen die Mischung, die dann offensiv propagiert wird. Da wird - wenn solche 'wertebasierte Außenpolitik' guten Willens aber allzu unreflektiert betrieben wird, offensichtlich nicht die Dialektik des Liberalismus verstanden. Da gibt es eine Sonnenseite und eine Kehrseite. Ob man aktives Eintreten für diese Werte nun befürwortet oder nicht - da geht es nicht um kulturelle Aneignung, sondern um kulturelle Dominanz.


    Ich finde, man sollte bei Werten - egal ob westlichen oder östlichen - differenzieren. Für jemanden, der dem buddhadharma folgt, bedeutet dies, die Heilsamkeit solcher Werte zu prüfen. Und ich bin von daher auch der Auffassung, dass es sinnvoll ist, sich für ökonomische und soziale Gleichberechtigung der Geschlechter einzusetzen. Auch und gerade im vierfachen Sangha, wenn schon ein Viertel davon gerade noch in der Dharmaguptaka - Linie erhalten ist.


    Bei der Geschlechterdiskriminierung wie bei der leider noch nicht ganz überwundenen Sklaverei handelt es sich im wahrsten Sinn des Wortes um eine menschliche Kulturschande und nicht um schützenswertes Kulturgut, da bin ich ganz bei Yoshikind . Und ich kann mir vorstellen, dass auch Mabli das so sieht. Übergriffig im Sinne einer Aneignung ist eine Einflussnahme auf Kulturen mit solchen Defekten wie Unterdrückung und Ausbeutung von Menschen mit niedrigem sozialen Status auch nicht. Es ist Einflussnahme (oder doch der Versuch dazu) zur Heilung eines kulturellen Defekts. Wobei - wie bei jedem therapeutischen Eingriff - richtiges Augenmaß dabei nicht vernachlässigt werden sollte.

    Paradoxerweise führt gerade der Einsatz von Menschen aus dem Westen für eine Emanzipation der Frauen in Tibet dazu, dass diese Frauen keine eigene Stimme mehr in der Entscheidung haben. Das fällt für mich unter koloniale Mentalität.

    Das erscheint mir doch etwas verkürzt. Was Wiederbelebung der Nonnenordination in Tibet angeht, so ist das ein besonderes Arbeitsfeld von Bhikṣuṇī Jampa Tsedroen (Dr. Carola Roloff), die bereits 1987 mit Unterstützung des Dalai Lama die erste Konferenz zu dem Thema ins Leben gerufen hat. Ihr 'The Buddhist Nuns’ Ordination in the Tibetan Canon' ist Standardwerk zu dem Thema.


    U.a. auch gerade ihre Arbeit führte im Juni letzten Jahres zur Vollordination von 144 Bhikṣuṇī in Bhutan, ein historischer Vorgang. Die Frauen kamen aus Bhutan, einige aus Nachbarländern. Dazu eine Engländerin, die allerdings schon länger in einem bhutanesischen Kloster lebte.


    Vielleicht möchtest Du Deine Bedenken ja mal mit ihr erörtern - ihre Email Adresse findet man im Link oben.

    Offen gesagt verstehe ich diese Geschichte 'kulturelle Aneignung' nicht wirklich. Beim Zusammentreffen unterschiedlicher Kulturen in Zeit und Raum kommt es unweigerlich an den Peripherien (die sich idR überlappen) zu Transitionsprozessen. Eher selten ausschließlich einseitigen. Neben Austausch von materiellen Gütern (wobei die Grenze zwischen Handel und Raub selten scharf zu ziehen ist) ist da ein Austausch von Bräuchen und Sitten und schließlich auch von Ideen unvermeidlich - wobei sich letzteres (der Austausch von Ideen) natürlich erst seit ihrer schriftlichen Fixierung historisch nachweisen lässt. Nicht zuletzt findet auch ein genetischer Austausch statt. In der Archäologie sind für den Austausch von 'Bräuchen und Sitten' insbesondere Bestattungsformen und 'gemischte' (also zwei verschiedenen Kulturtraditionen, etwa La Hoguette- und Bandkeramik, angehörenden) Keramikdepots Indikatoren solcher in Europa bis ins Mesolithikum nachweisbaren kulturellen Wechselbeziehungen.


    Es ist ein besonderes Kennzeichen der Globalisierung, dass die Peripherien unterschiedlicher Kulturen zunehmend diffus werden und die wechselseitige kulturelle Durchdringung sich zunehmend intensiviert - wobei konkret auch Migrationen nach wave-of-advance-Modell eine zunehmend bedeutendere Rolle spielen.


    In diesem Kontext kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass der Diskurs zur 'kulturellen Aneignung' eigentlich unter falscher Flagge geführt wird. Dass es weniger um Respekt vor anderen Kulturen geht als um die Abgenzung von ihnen. Zur Verdeutlichung etwas provokativ formuliert: Xenophobie in der Verkleidung des Respekts.


    Zur Charakterisierung kultureller Wechselbeziehungen dienen insbesondere die bewährten Begriffe 'Akkulturation' und 'Inkulturation'. Während Inkulturation - grob gefasst - das Eindringen fremder kultureller Elemente bezeichnet (von außen nach innen gerichtet), ist Akkulturation deren wertschätzende Übernahme und Aneignung (von innen nach außen). Die Inkulturation trägt häufig den Charakter einer 'feindlichen Übernahme', selten den friedlicher Missionierung. Die Inkulturation der neuzeitlichen westlichen Kultur in anderen Kulturen, mittlerweile in Form eines entwickelten liberalen Kapitalismus, mit Mitteln des Kolonialismus und Imperialismus ist ein gutes Beispiel dafür.


    Dass Akkulturation in sehr verschiedenen Formen stattfindet, ist unvermeidlich und daran ist auch nichts schlimmes. Und dass sich diese Formen zuweilen stark von ihren Vorbildern unterscheiden, auch nicht - der Akkulturationsprozess ist notwendig eine Anpassung des übernommenen kulturellen Elements an den anderen Kontext. Insofern ist das ein aneignender, aktiv verändernder Prozess. Der zweifellos seine Blüten treibt, bis hin zu Trivia wie dem Deko-Buddha auf dem Klo. Was soll's, wenn es bei der Verdauung hilft ... Trotzdem würde ich mir, wenn mir so etwas begegnet, einen freundlichen und nicht übertrieben deutlichen Hinweis darauf erlauben, dass es da ein Kreuz an der Wand zur Erinnerung an Demut und Hingabe vielleicht auch täte ...


    Auch ich habe einen Deko-Buddhakopf im Garten stehen, ein wohlgemeintes und von Herzen kommendes Geschenk meines Bruders zum Geburtstag. Sein Anblick lässt mich jedes Mal die Verbindung mit meinem Bruder spüren - ob das nun jemand kitschig oder irgendwie kulturell übergriffig findet, ist mir schnurz. Was in meinem Garten Platz findet, geht niemanden außer mir etwas an - dafür habe ich ihn.


    Wie gesagt, ich verstehe diese etwas hysterische (so kommt sie mir jedenfalls vor) Debatte um "kulturelle Aneignung" nicht. Wenn ein Halbstarker aus Mönchengladbach sich Dreadlocks wachsen lässt (was ich persönlich etwas unappetitlich finde, aber mich nix angeht), dann drückt er damit symbolisch allem Anschein nach Anerkennung und Wertschätzung für bestimmte kulturelle Werte aus. Dass er kein gebürtiger oder wenigstens gläubiger Rastafari ist (was ja nur eine noch umfangreichere Aneignung wäre) - wen juckt's? Einen Rastafari nach meiner Einschätzung eher nicht.


    Hier wurde gestern in der Zeitung im Lokalteil allen Ernstes diskutiert, ob es okay ist, wenn die Kinder als Indianer verkleidet in den Kindergarten zum Kinderfasching kommen. Geht's noch? Klar wird da ein romantisches Märchenbild reproduziert, das die grausame Wahrheit des Genozids verdeckt - aber ist es sinnvoll, kleinen Kindern den verantwortlichen Umgang damit zuzumuten? Oder auch nur, sie in diesem Alter darüber aufzuklären?


    Für die signalisiert die Verkleidung Tapferkeit und Ehre und auch ein Stück Naturverbundenheit - Respekt vor dem naiv aufgefassten "Wilden", in dessen Rolle sie spielerisch schlüpfen. Was vielleicht ein paar Jahre später dazu führt, etwas hinter die Kulisse von 'Cowboy und Indianer' zu schauen und zu sehen, was da wirklich los war.


    Mein Lieblingsoutfit im Kinderfasching war übrigens der Chinese - Gesicht knallgelb mit Schlitzaugen geschminkt, den gelben Kegelhut mit langem, angenähten Zopf auf dem Kopf. Lyncht mich. Mir hat's nicht geschadet und auch sonst niemand. Aktuell lese ich z.B. die Arbeit des Sinologen und Ethnologen Thomas Höllmann 'China und die Seidenstraße', eine breit angelegte und faktenreiche Geschichte kulturellen Austauschs Chinas nicht nur mit dem Westen und Norden, sondern auch dem pazifischen Raum (sog. 'Seidenstraße des Meeres'). Vielleicht eine karmische Spätwirkung meiner kindlichen Respektlosigkeit ...