Beiträge von Mabli im Thema „Kulturelle Aneignung“

    Ich weiß auch nicht, wieso der ausgesprochene Vorwurf angesichts meiner konkret vorausgegangenen Äußerung als so gewichtig betrachtet wurde, dass er - zunächst unkommentiert von der Moderation - in einen eigenen Thread eingestellt wurde.

    Ich glaube, dass so eine Verschiebung eines Beitrags in neuen Threads vor allem dazu dient off-topic Diskussionen auszulagern.


    Ich habe vor allem auf die Ausführung von kristallklar zu seiner Sicht auf eine koloniale Mentalität, die sich in einer selektiven Aneignung von Versatzstücken einer fremden Religion ausdrückt.

    Es ist eine koloniale Mentalität, in das Gebiet eines anderen einzudringen, sich zu nehmen, was sie wollen, und das zu verwerfen, was sie für nutzlosen, primitiven, rückständigen Aberglauben halten. (Leugnung von Karma, Wiedergeburt, Ritualen, traditionellen Praktiken.)

    Dazu habe ich einen anderen Aspekt, der aus meiner Sicht Ausdruck einer postkolonialen Mentalität sein kann, angeführt. Ich habe mich eigentlich gar nicht auf deinen Beitrag aus dem Ursprungsthread bezogen Yoshikind

    Von daher finde ich es durchaus sinnvoll, sich mit dem Begriff zu befassen. Insbesondere seine Implikationen zu prüfen. Ohne eine scharfe definitorische Abgrenzung, was "Aneignung" ganz konkret bedeutet, steht auch der "Austausch über die Lehre Buddhas" in einem deutschsprachigen Forum implizit mit unter dem Generalverdacht moralisch verwerflicher kultureller Aneignung.

    Soweit ich das verstehe wird kulturelle Aneignung immer in einem Kontext eines asymetrischen Beziehung zwischen einer dominanten und einer Minderheitenkultur gedacht. Die Aneignung impliziert in einem solchen Kontext auch eine Enteignung. pano hat ganz zu Beginn auch schon auf diese Aspekt hingewiesen.


    Der Begriff der Kulturellen Aneignung ist vielschichtig und kommt natürlich erstmal aus einem Kontext, in dem angeeignete Kulturgüter oder -merkmale für ihre ursprünglichen Kulturträger zu Diskriminierung führen. Also, solange die Kleiderordnung in amerikanischen High-School das tragen von Dreadlocks verbietet (was erstmal nicht das Problem der privilegierten Schüler ist), solange muss man sich nicht wundern, wenn BIPOC (black / indigeneous people of color) es nicht cool finden, wenn eine weiße Person diese Frisur trägt (mit der wiederum eine BIPOC ggf. den Job nicht erhalten würde). Dazu braucht auch die weiße Person überhaupt nicht rassistisch zu sein, es geht da um den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang.

    Aneignung kann ja auch ein positiver Begriff sein, gerade im Bereich der Bildung bedeutet Aneignung eine selbsttätige Beziehung des Subjekts zur Welt. Bei Humboldt heißt das:


    Zitat

    "Die letzte Aufgabe unsres Daseyns: dem Begriff der Menschheit in unsrer Person, sowohl während der Zeit unsres Lebens, als auch noch über dasselbe hinaus, durch die Spuren des lebendigen Wirkens, die wir zurücklassen, einen so grossen Inhalt, als möglich, zu verschaffen, diese Aufgabe löst sich allein durch die Verknüpfung unsres Ichs mit der Welt zu der allgemeinsten, regesten und freiesten Wechselwirkung

    Das ist aber mit kultureller Aneignung wohl nicht gemeint.

    Dazu ist Religion ist per Definition keine Privatsache, und inwieweit man eine säkuläre Kultur auf deutschem Boden sehen mag ist nunja, wie man es eben sehen und behaupten will ...

    Wie kommst du jetzt von Jodeln auf Religion? Oder übersehe ich da gerade etwas?

    Kulturelle Aneignung im engeren Sinne wäre es nur dann, wenn die Bajuwaren als mürrisches Bergvolk eine unterdrückte oder benachteiligte Minderheit wären und die Vermarktung der Kulturtechnik des Jodelns in einer falschen oder verzerrten Form und als Ware stattfände. Zudem müsste der Interpret mangelndes Verständnis und fehlenden Respekt gegenüber der bajuwarischen Kultur zum Ausdruck bringen.

    Da die Bajuwaren die Vermarktung ihrer volkstümlichen Musik als Volksmusik schon selbst erledigen und mit ziemlicher Sicherheit auch keine unterdrückte oder benachteiligte Minderheit sind, kann es sich per Definition nicht um kulturelle Aneignung handeln.


    Für mich entsteht die Komik des Videos daraus, dass eigene Stereotype und Vorurteile maximal frustriert und konterkariert werden. Aufgrund des Aussehens des Mannes erwartet man eben dem eigenen Stereotyp entsprechend nicht, dass in fast perfekten bayrisch und mit gerolltem rrrr losgejodelt wird.

    Bei der Geschlechterdiskriminierung wie bei der leider noch nicht ganz überwundenen Sklaverei handelt es sich im wahrsten Sinn des Wortes um eine menschliche Kulturschande und nicht um schützenswertes Kulturgut, da bin ich ganz bei Yoshikind . Und ich kann mir vorstellen, dass auch Mabli das so sieht.

    Auf jeden Fall verurteile ich Geschlechterdiskrimierung und Sklaverei. Ich weiß tatsächlich wenig über Tibets Geschichte und Gesellschaft und beginne gerade erst mich damit zu beschäftigen.


    Yoshikind Ich wollte mit meinem Einwurf ein Engagement für mehr Gerechtigkeit nicht schlecht reden. Es tut mir leid, falls ich das wider bessere Absichten doch getan haben sollte.


    Sudhana Danke für die vermittelnden Worte!

    Mabli. Bitte. Glaubst du, dass eine tibetische Nonne aus Tibet einfach zur Ordination nach Taiwan reisen kann? Aus einem annektierten Land, dessen Besatzer die Reisefreiheit massiv einschränken, die Tibeter schon ins Gefängnis werfen, wenn diese ein Bild des Dalai Lama besitzen und dessen Einwohner anderswo auf der Welt als "Staatenlose" gelten?

    Wie schon gesagt, kann ich hier nichts fundiertes zu dem Thema sagen. ich kann nur die Aussage von Pema Samten wiederholen, der selbst für zwei Nonnenklöster verantwortlich ist. Ich sehe momentan keinen Grund, warum er sich das ausdenken sollte.

    Ich kann ja nur für die Klöster sprechen, für die ich mich verantwortlich fühle – unter anderem zwei Nonnenklöster. Diese Nonnen sind in ihren Entscheidungen recht autonom, und niemand würde sie hindern, die Ordination bei zum Beispiel chinesischen Nonnen zu nehmen. Aber sie tun es nicht, und ich glaube, sie müssen dieses Bedürfnis erst noch entwickeln.


    Nutze bitte nicht ein random in den Raum gestelltes Schlagwort wie "kulturelle Aneignung", um die Behauptung aufzustellen, man dürfe nicht über die Rechte tibetischer Nonnen reden.

    Das habe ich nirgendwo getan, weder habe ich das Schlagwort "kulturelle Aneignung" benutzt, noch behauptet man dürfe nicht über die Rechte tibetischer Nonnen reden.

    Darüber hinaus ist mir nicht klar, welche Vorstellung du davon hast, inwieweit Diskussionen, die im Westen über die emanzipatorischen Rechte der Nonnen in Tibet geführt werden, überhaupt bei diesen ankommen. Ich persönlich gehe davon aus, dass sie so gut wie gar nichts davon mitbekommen.

    Es ging mir hier generell um eine bevormundende Haltung vom globalen Norden gegenüber Ländern des globalen Südens nach dem Motto: Wir wissen schon, was das beste für Euch ist. Das westlich-europäische Lebensmodell wird damit auch als stillschweigende Standardnorm gesetzt.

    Kannst du bitte mal ausführen, wie es genau aussieht, dass tibetischen Frauen Gleichberechtigung "aufoktroyiert" wird und wer ein Problem damit hat?

    Derlei Unsinn wird immer aus den Reihen der Privilegierten geäußert.

    Das ganz große Problem besteht darin, dass Entrechtete ignoriert und ausgebeutet werden, nicht dass ihnen Rechte "aufoktroyiert" werden.

    Ich möchte an einem anderen Beispiel versuchen das zu verdeutlichen, was ich damit meine. Koloniale Bestrebungen werden nicht selten als Befreiung von Unterdrückung legitimiert, obwohl mit Sicherheit auch andere Interessen eine Rolle spielen. So hat China den Einmarsch in Tibet auch als Befreiung von Feudalherrschaft und Sklavenhaltung im alten Tibet legitimiert. Die Tibeter hatten sie aber nicht um diese Befreiung gebeten.


    Wenn es stimmt, was Pema Samten sagt, und bei den Nonnen in seinen Klöstern das Bedürfnis nach einer Ordination (noch) nicht besteht, dann wäre es auch aufgezwungen, ihnen zu sagen, sie müssten sich ordinieren, um freier zu sein. Eventuell müsste dann erstmal ein Bewusstsein für die Möglichkeiten, die damit einhergehen könnten, entstehen oder die Hindernisse, die dem Im Weg stehen, beseitigt werden.

    Es besteht meiner Meinung nach zumindest auch eine Möglichkeit, die man untersuchen sollte, ob hier aus dem Westen nicht auch Vorstellungen vom eigenen Lebensmodell auf das so "andere" Tibet projiziert werden.

    Mabli, ich sehe deine Selbstkritik, aber ich kann deiner Herangehensweise nicht folgen. Frauen und ihre Körper werden seit jeher von Männern kolonisiert, und zwar in einem Maße, das es mit sich bringt, dass ein Ausdruck wie "kulturelle Aneignung" viel zu wenig ist.

    Ich wollte mit meinem Einwurf sicher nicht leugnen, dass es in Tibet und anderswo Geschlechterungerechtigkeit gibt. Das Zitat von Geshe Pema Samten kann vielleicht so ausgelegt werden, dass er die Unfreiheit der Nonnen in Tibet in der Frage der Ordination zurückweist, d.h. er sagt, sie könnten sich in Taiwan ordinieren lassen. Zugleich führt er an, dass Mädchen oft bessere Bildung erhielten. Das Phänomen gibt es bei uns übrigens auch. War vor einiger Zeit das katholische Arbeitermädchen vom Land das Sorgenkind, sind heute eher Jungen mit Migrationshintergrund in urbanen Gegenden die Bildungsverlierer.

    Ich würde auch das Thema Geschlechtergerechtigkeit und kulturelle Aneignung nicht gleichsetzen. Ich bin nicht ganz sicher, ob du mir diese Ansicht mit dem letzten Satz zuschreibst. Aber das sind für mich zwei verschiedene Fragen.


    Ich wollte mit meinem Einwurf lediglich darauf hinweisen, dass neben den patriarchalen Strukturen in Tibet auch noch andere Abhängigkeits- und Unterdrückungsverhältnisse bestehen, durch welche die Frauen in Tibet "doppelt im Schatten" stehen. So gibt es eine internationale wirtschaftliche Arbeitsteilung und eine Kolonialherrschhaft durch China. Der Westen wiederum neigt dazu durch Projektionen von eigenen Sehnsüchten Tibet zu romantisieren und zu verklären. Aus der Abgrenzung des Westens von Tibet als einer hierarchisch und feudal geprägten Gesellschaft folgt dann die Frage wie eine Modernisierung möglich erscheint.


    Ich möchte auch daran erinnern, dass Rechte für Frauen auch in unserer Gesellschaft noch eine recht junge Errungenschaft sind. Meine Vermutung ist, dass solche Entwicklungen ihre Zeit brauchen und nicht von außen aufoktroyiert werden können.

    Wenn du nicht im Thema bist, wieso führst du dann die Diskussion um die Ordination tibetischer Nonnen als Beispiel für den Verlust der eigenen Stimme an?

    Ich habe mich auf die Aussage von Geshe Pema Samten bezogen, dass die Diskussion über Nonnenordination und die Gleichberechtigung in Tibet, die von außen kommt, in der Sache nicht viel nützt.

    Nun habe ich - wie ich ja schon gesagt habe - selbst keinen blassen Schimmer von der gesellschaftlichen Situation in Tibet und lediglich diese Aussage assoziert mit der kolonialen Mentalität, um die es in der Diskussion ging. Wahrscheinlich ist meine nicht-wissende Einmischung in diese Diskussion nicht weniger Zeugnis einer kolonialen Mentalität.


    Zum Thema der kulturellen Aneignung habe ich noch einen schönen Artikel in der jungle world entdeckt, mit dem ich mich sehr gut identifizieren kann.


    Zitat

    Wer sich auf die Debatte über kulturelle Aneignung einlässt, wird geistig nicht unbeschadet daraus hervorgehen. Sie nötigt, auf Platitüden mit Platitüden zu reagieren – und kritische Energie in Endlosdiskussionen zu vergeuden, zu Fragen, die man vor wenigen Jahren noch als infantil oder scherzhaft aufgefasst hätte. Doch drängt die Aneignungskritik unter progressiver Flagge jeden Einspruch in die Defensive und zur Rechtfertigung, ihn nicht rassistisch oder prokolonial zu meinen. Doch wer sich rechtfertigt, so weiß man, der hat schon verloren.


    Über den vernünftigen Kern der Aneignungskritik redet kaum mehr jemand: der Kritik von kulturalisierender Aneignung als Romantisierung der Kultur Diskriminierter und von kultureller Enteignung als Definitions- und Vermarktungsmacht über diese Kulturen.

    Das erscheint mir doch etwas verkürzt.

    Natürlich ist das verkürzt und unterkomplex.

    Vielleicht möchtest Du Deine Bedenken ja mal mit ihr erörtern - ihre Email Adresse findet man im Link oben.

    Dazu fühle ich mich nicht ausreichend mit dem Thema vertraut. Ich finde es ja sehr begrüßenswert, wenn sich Menschen auf eine reflektierte Weise für Frauenrechte in Tibet einsetzen. Es gibt jedoch bestimmte Muster in der Debatte, die seit dem Beginn der Kolonialisierung bestehen und sich bis heute in das post-koloniale Zeitalter fortsetzen, die man dabei auf dem Schirm haben sollte. Spivak prägte dafür die Formel von den "weißen Männern, die braune Frauen vor braunen Männern retten".



    Dhawan: Diese politischen Positionierungen nicht rassistischer Feministinnen sind zwar bedeutsam, aber eine verantwortungsvolle Solidarität zwischen Feministinnen aus dem globalen Norden und globalen Süden verlangt nach Selbst-Reflexivität. Den Zusammenhang zwischen westlicher Politik und der Situation von Frauen in der dritten Welt muss dringend berücksichtigt werden – insbesondere dann, wenn militärische Interventionen wie der Krieg in Afghanistan von westlicher Seite immer wieder mit dem Verweis auf Geschlechtergewalt legitimiert werden.

    Das Thema kulturelle Aneignung finde ich ein schwieriges Thema. Ich kann gar nicht sagen welche Position ich dazu genau habe. Zum Thema koloniale Mentalität fiel mir folgendes Interview aus der taz mit Geshe Pema Samten vom Tibetischen Zentrum in Hamburg ein:


    Paradoxerweise führt gerade der Einsatz von Menschen aus dem Westen für eine Emanzipation der Frauen in Tibet dazu, dass diese Frauen keine eigene Stimme mehr in der Entscheidung haben. Das fällt für mich unter koloniale Mentalität.