Nun - ein wie ich meine recht offensichtlicher Aspekt eines Retreats* ist seine Intensität im Vergleich zum *normalen* Geistestraining (bhāvanā) eines Haushälters / 'Laien'. Für Laien ist es ja vor allem zu Beginn der Übung sehr schwierig, die mit ihr erfahrenen (und eingeübten) Bewusstseinsmodi in den sog. 'Alltag' (insbesondere einen 'erwerbstätigen', wie es im Finanzamts-Jargon heisst) zu transformieren. Was ja letztlich Sinn der Übung ist.
Insofern ist ein Retreat tatsächlich ein Urlaub, eine von der Arbeit für Nahrung, Kleidung und Unterkunft freie Zeit - ohne dass man sich dafür den ökonomischen Unsicherheiten einer auf Betteln basierenden Lebensweise aussetzen muss. Das ermöglicht für eine begrenzte Zeit ein sehr intensives Geistestraining, das dann auch die genannte Integration in den anschließenen Alltag erleichtert.
Nun sind Übung im Retreat einerseits und (möglichst tägliche) Übung zu Hause irgendwo zwischen Arbeit, Erholung und Schlafen nicht zwei alternative Konzepte; das sollte man nicht missverstehen. Es geht da nicht um ein entweder-oder sondern um ein sowohl-als-auch. Primär hilfreich ist die tägliche, regelmäßige Übung zu Hause - Retreats sind vor allem zur Unterstützung da. Das lässt sich durchaus mit Trainingscamps für Sportler vergleichen; wobei es da ja auch welche für ambitionierte Freizeitsportler und welche für Profis gibt. Wo man sich, wenn es dumm läuft, auch eine Sportverletzung wie etwa einen Bänderriss holen kann. Das Leben ist riskant und endet tödlich.
Mit dem mentalen 'Abstand' vom Alltag, der als bedrohliche Disparität empfunden werden kann, lässt sich meines Erachtens auch die Problematik bei psychisch labilen Personen erklären, die sich mit ihrem traumatisch erfahrenen 'Alltag' arrangiert haben. Wenn durch die Intensität der Übung in einem Retreat die Selbstschutzmechanismen relativ schnell 'transparent' und durchlässig werden, setzt dies Ängste frei. Bei solchen Ausgangsbedingungen ist ein Retreat eher nicht der richtige Umgang damit - vielleicht sogar Geistestraining überhaupt nur bedingt. Priorität hat da eine Heilung des psychischen Schadens und dafür gibt es Leute, die speziell dafür ausgebildet sind.
Wobei ich mir vorstellen kann, dass die Leute, die sich über schädliche Nach- oder Nebenwirkungen von Retreats beklagen, eben diese Retreats nicht zuletzt aufgrund des mehr oder weniger bewussten Leidensdrucks einer latenten Störung besucht haben. Gewissermaßen als untauglichen Selbsthilfeversuch. Womit ich jetzt keineswegs eine Art Schuldumkehr andeuten will - ich denke nicht, dass es da um 'Schuld' geht. Das von mir angesprochene private Vier-Augen-Gespräch (dokusan) ist vertraulich, so dass man zwangsläufig nicht sagen kann, was da "normalerweise" besprochen wird. Aber ich denke mal, die Vermutung ist naheliegend, dass idR als erstes besprochen wird, wer da kommt und warum. Und da gibt es dann welche, die haben ein Gespür für Verletzungen und Verletzlichkeiten Anderer (und manche missbrauchen auch diese Fähigkeit zur Manipulation) - und welche, die haben's nicht. Das müssen dann nicht notwendig schlechte Lehrende sein; nur solche, die mit Problemfällen überfordert sind.
*Dazu vorsorglich die Anmerkung, dass sich meine Erfahrung mit Retreats auf Sesshin ('Zen-Retreats') beschränkt, was möglicherweise einen Scheuklappeneffekt hat.