Alle Achtung und tiefen Respekt für dein "mütterliches" Engagement, das du deiner schwerkranken Mutter entgegengebracht hast - so eine Belastung schafft man sicher auch nur, wenn man viel Liebe und großes Verantwortungsbewusstsein in sich fühlt.
Es ist bestimmt auch sehr schwer gewesen, am Ende loszulassen und alleine weiterzuleben?
Ums Loslassen kommt ja keine "Mutter" herum....
Ich habe meine Mutter beschützt und verteidigt, und im Seniorenheim habe ich um sie gekämpft.
So wie eine Mutter um ihr Kind herum ist. Es kam wirklich von Herzen und das größte Anliegen war es für mich, ihre Würde zu bewahren und zu schützen.
Doch früher hat meine Mutter sehr viel in der Erziehung falsch gemacht, was mich sehr belastet hat, ohne dass sie es merkte. Es hat mir ein paar Jahre meines Lebens gestohlen.
Meine Mutter und ich waren sehr verschieden voneinander - die einzige Gemeinsamkeit war die, dass wir beide sehr nachgiebig waren und immer versuchten, einander die Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen. Darum hat es geklappt, dass wir - meinerseits mit kleiner beruflicher Unterbrechung - Jahrzehntelang in einem gemeinsamen Zweier-Haushalt leben konnten.
Aber, ich muss sagen: das Loslassen ist mir überhaupt nicht schwergefallen, es war eher leicht für mich. Vielmehr hatte ich Sorge, dass sie nicht loslassen kann, denn irgendwann kommt ja mal für jeden die Zeit des Abschieds (darum habe ich immer am Totenbett zu ihr gesagt: "Du bist stark, Du kannst allein gehen. Dreh Dich nicht um zu mir, dreh Dich nicht um! Geh in das helle Licht!" Sechs Wochen später gratulierte sie mir zum Geburtstag, indem ein Kalender herunterfiel, der unter normalen Umständen gar nicht hätte herunterfallen können). Trotz ihrer schweren Demenz wusste sie immer, wer ich war; alle anderen Menschen lernte sie jeden Tag neu kennen. Allerdings dachte sie zuletzt, wenn sie überhaupt noch inhaltlich etwas über mich dachte, dass ich zur Schule gehe, und sie fragte mich, als sie noch fragen konnte, ob ich denn immer artig bin bei den Lehrern und ob ich immer meine Hausaufgaben mache (dieses kurz vor meinem Renteneintritt). Sie war überglücklich, dass ich das Spiel mitspielte. Es machte mir sogar Spaß.
Wie schon gesagt, ihre Kindheit beschäftigt mich heute noch sehr.
Von allen Nachfahren ihrer Familie weiß ich noch am meisten, allerdings liegt das daran, dass sie früher gern erzählt hat und außerdem die Zweitälteste war (der Älteste ist im 2. Weltkrieg als Soldat verschollen).
Schon nach nur zwei Generationen weiß man kaum noch etwas über das Leben der Großeltern. Das liegt daran, dass man als Kind anders gepolt ist und diese gezielten Fragen nicht imstande ist zu stellen. Wenn man dann selbst alt ist, bereut man es bitter.
Manchmal denke ich, in dieser Hinsicht haben es indigene Völker mit ihrem archaischen Glauben besser. Sie halten die Vorfahren hoch in Ehren und wissen über sie zu erzählen, vielfach eingebettet in Rituale. Das gibt der Sippe ein starkes Gefühl der Geborgenheit und das Wissen, wie wichtig es ist, auf der Welt zu sein und diesen Sinn zu erfüllen.