Ich will da nicht weiter auf Taylor herum hacken aber auf so einer abstrakten Ebene erscheint das doch eher grob und auch etwas crude, wenn er die Kirche selbst als Treiber der Säkularisierung ansieht. Das kann ja nur negativ gedacht werden, als eine beständige Folge von Verlusten aufgrund von Fehlverhalten und Fehlentscheidungen.
Wenn das so ruberkam, als sei "die Kirche" der Treiber von Säkularisierung habe ich das wohl falsch rübergebracht.
Während im Mittelalter eine große Kluft zwischen religiösen Eliten und in kollektiven Riten gefangener einfacher Bevölkerung gab, wurden ja hin zu Hochmittelalter Städte und Handelswege wichtiger und es entstanden Universitäten. . Von daher gab es immer mehr Laien die sich selber Gedanken machen könnten was sie in der Bibel Käsen und was sie vor ihren Augen sahen. Und was sie sagen war nicht eine Welt die zu weltlich war sondern im Gegenteil: sie sahen zu viel Aberglauben, zu viel Machtmissbrauch, schreiende Ungerechtigkeit und so weiter. Es entstand ein Wunsch nach REFORM einer als verweltlicht und entstellt empfundenen Kirche.
Zitat Wie ist es dazu gekommen? Es gibt viele Ursachen. Manche Autoren nennen die folgenden: der Humanismus der Renaissance, die wissenschaftliche Revolution, das Aufkommen des »Polizeistaats« und die Reformation. Das ist durchweg richtig. Aber um alle diese Ursachen zu verstehen, müssen wir die Wichtigkeit einer Bewegung würdigen, die im Spätmittelalter in Gang kommt und darauf abzielt, die europäische Gesellschaft umzugestalten, damit sie den Forderungen des Evangeliums und später der »Zivilisation« nachkommt. Vielleicht wäre es nicht falsch, diesbezüglich das allzu abgenutzte Wort »revolutionär« heranzuziehen, denn dieser Drang zur REFORM war der Nährboden, aus dem die europäische Vorstellung von der Revolution hervorgegangen ist. Um eine rhetorische Formulierung von Saddam Hussein zu mißbrauchen: Diese Bewegung war »die Mutter aller Revolutionen«. Was ich hier als »REFORM« bezeichne, war die Äußerung einer tiefreichenden Verdrossenheit über das hierarchisch abgestützte Gleichgewicht zwischen dem Leben der Laien und dem Leben derer, die sich zum Verzicht berufen fühlten. In einer Hinsicht war diese Unzufriedenheit durchaus verständlich. Diesem Gleichgewicht zufolge mußte man sich damit abfinden, daß sehr viele Menschen außerstande wären, dem Vollkommenheitsanspruch gerecht zu werden. Sie müßten in einem gewissen Sinn von den Vollkommenen »getragen« werden; und dieser Gedanke beinhaltet etwas, das der Grundgesinnung des christlichen Glaubens widerspricht. Als Erklärung des Unbehagens, der zunehmenden Forderung nach Schließung der Lücke, genügt das allerdings nicht. Alle Zivilisationen, deren Organisation um eine »höhere« Religion kreist, kennen eine große Kluft zwischen den Engagierten und den weniger Engagierten, zwischen äußerst anspruchsvollen Formen der Verehrung
Taylor führt das dann noch aus. Christentum und auch Buddhismus sind für ihn "achsenzeitliche Religionen" die in sich ein Potential zur radikalen Umkehr des Menschen tragen. Allerdings bestand der mittelalterlichen Kompromiss darin, dass nur für eine Minderheit dieses Ideal lebbar wurden, während das einfache Volk seine heiligen Orte, Rituale und Heilige hatte. Nun ergab sich - eben auch getrieben durch solche angserfüllende Sachen wie Pest, Klimaveränderung, Missernten und Krieg, die Idee man müsse mit dem Christentum erst machen und es konsequent in der ganzen Gesellschaft durchsetzten.
Taylor nennt da Calvins Genf und auf Seite der Gegenreformation den Mailänder Bischof Borrormeo:
Zitat Carlo Borromeo, der bedeutende Mailänder Bischof der Gegenreformation, reformierte viele kirchliche Bräuche in Übereinstimmung mit besonders avancierten Vorbildern. Er verurteilte den Karneval und sonstige Überbleibsel des Heidentums, bei denen Sakrales und Profanes miteinander vermischt wurden. Er versuchte, Tiere von der Kirche fernzuhalten, das Tanzen in Friedhöfen zu untersagen, Charivaris zu ächten und so weiter. Kurz, er bemühte sich, eine geordnete und weniger »verzauberte« Spielart des christlichen Brauchtums durchzusetzen. Außerdem unterstützte er die Stadt bei ihren Bemühungen, Arme und Vagabunden zu organisieren und zu disziplinieren.
In dieser Rigorosität und Humorlosigkeit und dem Bemühen um Diziplin ist das ja etwas, was später im absolutistischen Polizeistaat" und in der von Foucault beschriebenen Diziplinargesellschaft mündet.
Zitat Es gibt bestimmte gemeinsame Merkmale, die alle diese Bemühungen um Reform und Organisation durchziehen: (1) Sie sind aktivistisch, suchen nach leistungsfähigen Maßnahmen zur Neuorganisation der Gesellschaft und sind überaus interventionsfreudig. (2) Sie streben nach Uniformierung und wollen auf alles und alle ein und dasselbe Modell oder Schema anwenden. Sie versuchen, Anomalien, Ausnahmen, Randständige und alle möglichen Nonkonformisten aus der Welt zu schaffen. (3) Sie sind gleichmacherisch. Ihr Operationsgebiet besteht zwar immer noch aus Gesellschaften, die auf Rangunterschieden basieren, aber ihre allgemeine Tendenz geht dahin, Verschiedenheiten zu vermindern, die Massen zu unterrichten und dafür zu sorgen, daß sie immer mehr den Maßstäben genügen, die auch für die Höhergestellten gelten.
Die Moderne hat viel von einer "Mobilisierung". Und da finde ich es sehr glaubwürdig wenn frühe, christliche Mobilisierungsbewegungen die Grundlage für die weitere Mobilisierung ist. Wenn christliche Disziplinierungen in den Drill der militärischen Disziplinierung übergehen. Oder wie bei Max Weber der protestantische Sparchfuchs im kapitalistischen Dagobert Duck steckt.
Dies im aber wie gesagt nur der Anfang, weil ja eben der religiöse Franziskus von einem Calvin oder einem Borromeo wenn sie sich ineinander verkeilen zu sehr großen Problemen führt.
Gerade in England war man ja irgendwann religiöse Differenzen so Leid, dass man Religion Schritt für Schritt zur Privatsache machte. (Was natürlich nie ganz geklappt hat. Selbst Tony Blair dürfte ja erst nach seinem Amt Katholik werden)