Beiträge von Bebop im Thema „Menschen töten als Buddhist“

    Das "ich übe mich ..." in den Regeln oder Gelübden beinhaltet kein "ich darf nicht, ich mache nicht", sondern es beinhaltet ein mögliches "Scheitern" am Ideal, darum ist es ja auch nur ein Üben. Im Falle einer Situation, die auf beide Seiten kippen kann, ist die Tendenz klar, aber nicht die letztendliche Handlung. Nur so ist es zu erklären, dass ein mir und Sudhana bekannter Buddhist (Munish B. Schiekel) einen Vers von Hongzhi so übersetzen muss (ab 26):


    Trinke die Medizin der rechten Sicht.
    Schlage die giftverschmierte Trommel.
     

    Wenn sie zusammenwirken,
    stehen dir Töten und Lebendigmachen offen.


    Es bedürfte keiner martialischen Bilder und nicht dieser Wortwahl Hongzhis, wenn man sich lediglich im viel zitierten Bereich von ahimsa aufhalten wollte, um das Verlöschen des Egos etc. zu beschreiben. Darum war es auch korrekt von Kampfkünstlern wie Yagyu Munenori (von Zen-Meister Takuan beeinflusst) oder dem moderneren Omori Sogen, diese Metapher auf die Schwertkunst zu übertragen.


    Das Missverständnis - und deshalb bin ich überhaupt noch auf diesen Thread eingegangen - ist mir nach Dekaden in Foren und im Zen als eines der wesentlichen aufgefallen. Regelmäßig steckt der Wunsch nach einem Ideal dahinter, der regelmäßig ent-täuscht wird. Diese Enttäuschung ist ja nicht nur historisch und bezieht sich nicht nur auf Shaolin (Caodong/Soto)-Mönche, die in Kriege zogen, oder auf die Mönchsarmeen in Japan, oder auf die zahlreichen in den Weltkrieg verwickelten Zen-Meister (andere Traditionen lasse ich mal außen vor). Es betrifft auch andere Regeln.


    Wenn der Zen-Meister Ikkyu in Bordelle ging, hat er mit hoher Wahrscheinlichkeit - laut Regel - Ehebruch begangen, weil dort auch verheiratete Frauen arbeiteten. Viele moderne Zen-Lehrer wie Shimano begingen Ehebruch. In der Regel zerfallen deren (westliche) Gemeinschaften, wenn der Skandal zu sehr öffentlich wird, weil sie nur mit dem Instrumentarium eines wörtlichen Verständnisses der Gelübde und Regeln der Sache beikommen, also weiter ein Ideal des Zenlehrers kolportieren, mit dem von Anfang an aufgeräumt war: Bodhidharma war "der (rotbärtige) Barbar". Sein Nachfolger ein gewaltsamer Selbstverstümmler (jedenfalls in späteren Legenden, die noch heute eine Rolle spielen). Ein anderer zertrennte eine Katze, nur um was klar zu machen.


    Ich habe mich oft gefragt, wie das "ich übe mich ... " aussieht, wenn man einen Fehler gemacht hat. Nehmen wir Joshu Sasaki. Er stahl Geld vom Tempel, also unterschlug es, um eine Geisha zu finanzieren. Hier ging eine Übung schief - der Regelbruch ist, da die Geisha wohl unverheiratet war, das Stehlen. Sasaki wurde ertappt. Er gestand. Nun funktionierte wiederum eine andere Übung: die Wahrheit sagen. Im Knast machte er dann gleich Zazen. Mit anderen Worten: Er hatte die Freiheit, einen Regelbruch zu begehen, aber auch die Fähigkeit, davon wieder zu lassen (Geständnis) bzw. zu bereuen.


    In den Fällen, wo der Regelbruch keine juristischen Konsequenzen hat (wie etwa beim Ehebruch), wäre adäquat von einem Zen-Adepten zu erwarten, dass er ggf. von dem Regelbruch auch wieder lassen kann. Mehr nicht. Solange er sich in diesem Bereich der "Freiheit der Erleuchtung" bewegt, ein Terminus, der in einem Zen-Lexikon Dutzende Male auftauchen wird, kann man ihm nicht vorhalten, er würde sich nicht üben, denn wenn er etwas NIE täte und keinerlei Neigung dazu besäße, bedürfte es ja keinerlei Übung. Der Mensch ist im Zen aber lediglich von Anfang an erwacht (jap. hongaku), nicht aber moralisch fehlerlos.


    Der Unterschied zum Otto Normalverbraucher ist der Grad der Freiheit, mit dem sowohl das Tun als auch das Lassen begangen werden kann. Was im Allgemeinen aus buddhistischen Schriften, insbesondere dem Märchenbuch Palikanon, extrahiert wird, ist hingegen ein makelloses Bild ethischer Reinheit, das, wie ich hier oft gezeigt habe, bei genauem Lesen nicht aufrechtzuhalten ist, selbst wenn sich die Schreiber des Kanons noch so bemühten. Und vor allem ist es irrelevant, weil wir niemanden kennen, der so ist, also experimentell keinen Beleg für den Realismus solcher Wunschvorstellungen bringen können. Wir können allerdings in uns gehen und ggf. feststellen, dass wir jemanden wie Ikkyu, Sasaki oder die Shaolin scheiße finden. Aber das ist dann unser Problem, nicht das der Genannten, und auch nicht das der Zen-Überlieferung.


    Was allgemein erwartet wird, ist, dass Gelübde zu keinen Regelbrüchen führen, weil sie nicht als Übung, sondern als Muss verstanden werden, und darum stehen dann auch Regelbrecher in ihren Gemeinden recht schnell auf dem Abstellgleis. Ich denke, das ist der Grund, warum Sasaki z.B. keinen seiner Schüler zum Nachfolger ernennen wollte, denn keiner hatte das begriffen. Sasaki war stets in der Lage, die Regeln erneut zu brechen, und es erneut zu lassen. Alles andere ist bereits Teil unserer normalen Erziehung: Wir wissen, was richtig und was falsch ist.


    Um es ganz drastisch zu sagen: Keiner, der erwacht ist (also sein ursprüngliches Erwachen erkannt und verwirklicht hat), ordiniert. Es ordinieren nur Menschen, die das noch nicht erlebt haben, durchschaut haben usw.

    Als Ordinierter kann man da jedenfalls nicht mehr viel machen

    Als Ordinierter vielleicht nicht, wenn man buchstabengläubig ist. Aber als Erwachter. Da kann man alles machen. Oder bleiben lassen. Jedenfalls ist das die Vorstellung der Freiheit, die "darüber hinausgeht" und "jenseits von Worten und Konzepten" im Zen ist.

    Zitat
    (von nuk) Ich werde nicht zur Waffe greifen, um hier irgendweilche Machthaber zu verteidigen

    Hierzu sah ich einen interessanten Clip. Eine Chinesin in den USA erledigte das Thema, ob dort privater Waffenbesitz weiter erlaubt sein sollte, so: "Glauben Sie, dass China sich einen solchen Umgang mit seinen Bürgern erlauben könnte, wenn sie alle bewaffnet wären?"


    Nun sieht man allerdings gerade in den USA, dass es so auch nicht geht.