Beiträge von Tai im Thema „Tätige Nächstenliebe im Buddhismus“

    Ich habe mit der Beschreibung dieses non-dualistischen Seins, in dem keine Unterscheidung mehr zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Innen und Außen da ist, meine Probleme …

    Das ist völlig okay. Ich glaube auch nicht, dass Mahayana-Buddhismus für jede/n immer die geeignetste Methode sein muss. Vielleicht ist das einfach nicht dein Ding. Dieser Eindruck entstand zumindest bei mir, als dir im Nachbar-Thread bei der Erwähnung von Koan-Praxis und Zen-Talk nichts anderes einfiel als ein abwertender Bibelspruch über Balken im Auge. Vielleicht erschließt sich dir der Theravada-Buddhismus ja besser.

    Da gibt es doch sehr wahrscheinlich einen wesentlichen Unterschied, der mit entgangen ist, oder?

    Bewusstes Gewahrsein, Loslassen von Anhaftung an Gier, Wut und Verblendung.


    (Säuglinge sind emotional sicher sehr authentisch, aber ihren Begierden, Ängsten und Abneigungen auch ziemlich hilflos ausgeliefert. Ich kann mich an mein Bewusstsein als Säugling nicht erinnern und schließe daraus bzw. vermute, dass es nicht dem konstanten, gegenstandslosen Gewahrsein des Buddhageistes entspricht.)

    Gemäß dem Bodhisattva-Idael unter Auflösung der "Ich"-"Andere"-Dualität für alle da zu sein, ist als Praxis bereits Ausdruck des Erwachens.

    Aha, also ist er doch schon erwacht, aber eher "inoffiziell"?

    Gemäß einer weit verbreiteten Anekdote soll Buddha nach seiner Erleuchtung sinngemäß ausgerufen haben: "Alle Wesen sind bereits erleuchtet; nur aufgrund ihrer Anhaftung an verblendendes Denken sind sie sich dessen nicht gewahr."


    Davon abgesehen ist es (zumindest gemäß der Zen-Tradition, in der ich ausgebildet wurde und praktiziere) ein Mythos, dass Erleuchtung ein für alle mal erreicht würde und man dann für immer erwacht sei. Das Erwachen ist vielmehr etwas, das von Augenblick zu Augenblick verwirklicht werden möchte (ganz im Sinne des obigen Buddha-Zitats). Unser waches Gewahrsein findet in einer absoluten Gegewart, also immer genau jetzt statt. Die Erleuchtung von gestern ist genau jetzt eine bloße Erinnerung. Sind wir genau jetzt gebunden an Anhaftungen und unterscheidendes Denken (z.B. in Form von Erinnerungen), kann dieser Zustand nicht als Erwachen beschrieben werden.


    Im Diamant-Sutra bezeichnet Buddha dies auch als das Ergreifen der 'Vorstellung von einer Lebensspanne' (im Sinne von Zeitvorstellung); eine der vier Arten von Vorstellungen, die ein Bodhisattva nicht ergreift:


    Zitat

    Subhuti, weil ein Bodhisattva, der die Vorstellung von einem Selbst, die Vorstellung von einer Person, die Vorstellung von einem fühlenden Wesen oder die Vorstellung von einer Lebensspanne hat, kein Bodhisattva ist.

    (Diamant Sutra, Kap.3)


    Ich dachte bisher immer, der Bodhisattva verzichte bewusst auf das Eingehen ins Nirvana, um, erfüllt von Bodhicitta, zunächst allen anderen Wesen zu helfen, befreit zu werden?

    Hier gilt das Gleiche. Das Nirvana, in das ich später eingehen möchte, ist genau jetzt nur eine Vorstellung. Man kann auch sagen, es ist eine Vorstellung, die ich genau jetzt aufkommen lasse und der Schlüssel zum Erwachen liegt nicht in der Vorstellung an sich, sondern in demjenigen, das eine solche Vorstellung genau jetzt hat/wahrnimmt.


    Die von dir wiedergegebene Lehre verstehe ich so, dass ein Erwachen aus deiner Perspektive (und das ist die einzige, die du jemals haben kannst) das Erwachen aller anderen Wesen miteinschließt. Irgendwer sagte mal: "Wenn du erwacht bist, sind alle Wesen erwacht." Denn nichts, was du jemals erlebst, wahrnimmst oder dir vorstellst, kann getrennt von dir sein. Andersherum verstanden, wäre eine Erleuchtung, die nur dich betrifft und andere ausschließt, wieder geprägt von der Unterscheidung zwischen "Ich" und "Anderen" und könnte nicht als wirkliches Erwachen bezeichnet werden.


    'Absolutes Bodhichitta' bezeichnet gemäß der Buddhaland-Definition "die Verwirklichung von Leerheit, untrennbar vom allumfassenden Mitgefühl und jenseits dualistischer Vorstellungen", ist also in sich bereits ein Synonym des Erwachens bzw. der Verwirklichung des Bodhisattva-Ideals.

    Und wie ist das richtige Verständnis der Lehre, egal welcher?

    Keine Ahnung. Ich kann nur über meine persönliche Auffassung der Lehre sprechen und bezog mich mit dem Begriff „falsches Verständnis“ in #20 in erster Linie auf genau das irrtümliche Verstehen, das ich in diesem Post aufzuzeigen versucht habe.

    Ja, das leuchtet ein, allerdings:

    Wie viele Buddhisten sind schon so weit?


    Tatsächlich befinden sich wohl die meisten Praktizierenden noch in der Dualität und handeln als "Ich" , wobei es den Hilfsbedürftigen egal sein dürfte, ob der Helfende (auf dem Weg) schon weiter fortgeschritten ist - Hauptsache, er handelt mit offenem Herzen, verstehend, achtsam, liebevoll und mitfühlend.


    Deshalb wäre es nicht sinnvoll, mit dem Handeln bis zur "Erleuchtung" zu warten... ;)

    Genau. Selbstloses Handeln stellt in sich einen hervorragenden Praxisweg zur Überwindung von dualistischer Anhaftung dar.

    Ich sehe es ganz laienhaft so, dass im Buddhismus meine Nächsten nicht getrennt von mir existieren und eher ein Teil meiner eigenen Wahrnehmung sind, in diesem Sinne ein unabtrennbarer Teil meiner Existenz.

    So laienhaft finde ich das gar nicht. Konsequent gelebt, führt das von dir beschriebene Verständnis zu einer extrem empathischen, "selbst"losen Einstellung in Leben und Taten. Die christliche Tugend der Nächstenliebe, an welcher die buddhistische Lehre in diesem Thread gemessen und (ab)gewertet wird, postuliert eine starke Dualität zwischen "Ich" und "anderen". Wo diese Art des dualitären Verstehens konsequent losgelassen wird, ist gar kein Raum mehr da für egoistische Selbstbevorzugung. Man tut, was zu tun ist und die Früchte kommen allen Wesen zugute.


    Ich halte es auch für einen Irrtum, zu glauben, das Boddhisattva-Ideal bestünde darin, erstmal persönlich Erleuchtung zu erlangen, um dann auch andere zur Erleuchtung zu führen. Gemäß dem Bodhisattva-Idael unter Auflösung der "Ich"-"Andere"-Dualität für alle da zu sein, ist als Praxis bereits Ausdruck des Erwachens.


    In der Realität mögen wir alle ja noch sehr weit entfernt von der Verwirklichung dieses Bodhisattva-Ideals sein. Das liegt dann aber vielleicht auch oft an einem falschen Verständnis der buddhistischen Lehre.