Beiträge von void im Thema „Wabi Sabi“

    Ich selbst verstehe Ed Browns Satz so, als einen ganz einfachen Vergleich, das er damit einfach nur den Unterschied zwischen Natürlich und Unnatürlich, zwischen Natürlicher Abnutzung (zu Leben und zu Altern, ohne wenn und aber), und Unnatürlich (künstlich zu Leben und zu altern, und dabei Anschein bewahren oder etwas wie das wahre Alter verbergen zu wollen) ausdrücken möchte.

    Diese Unterscheidung zwischen "Natürlich" und "Unnatürlich" kommt mir wie eine Falle vor. Etwas wo zwei Gegensatzpaare in eins gesetzt werden.


    "natürlich" ist ja sogar ein Kampfbegriff. Der eine spricht sich gegen pasteurisierte Milch aus, weil Bakterien natürlich sind. Für den Christen ist der Glaube an Gott natürlich und Atheismus eine Abirrung. Für Reaktiinäre ist es natürlich, dass die Frau abwäscht und ein Abweichen davon künstlich. All diese Sachen bemerkt man bei anderen aber bei sich selber nicht. Oft ist natürlich einfach ein Deckname für das Intuitive, Unhinterfragte. Von daher bin ich da mißtrauisch.


    Aber ich weiß auch kein besseres Wort. Bei Richard Rortry gibt es den

    Begriff der "Kontingenz" - vielleicht paßt der?


    SZ:

    Im Februar 1986 sollte Richard Rorty am University College in London drei Vorträge halten. Er sollte darin erläutern, warum ihm jeder philosophische "Essentialismus" so zuwider war, der das Wesen von Ich, Sprache, Gesellschaft oder Welt erkennen und freilegen wollte. Und er sollte seine Alternative der "Kontingenz" begründen: dass wir nämlich "alles, unsere Sprache, unser Bewusstsein, unsere Gemeinschaft, als Produkte von Zeit und Zufall" behandeln sollten

    Der gerumgeschupste Kessel war vielleicht mal - als er neu war - etwas was dem Plan eines Kesselmachers entstammte. Eine Idee Kessel die er dann ins Werk setzte, aber dann hat der Kessel seine Reise durch "Zeit und Zufall" angetreten. Um am Ende seines Lebens lander er im Schuppen - eine Spinne baut ihr Nest - ein Kind verwendet ihn als Helm - er fällt in den Fluss und wird zur Wohnung von Flusskrebsen. Die Realität des Kessel - der Kessel als Prozess - ist viel größer als die Ideen die auf ihn projeziert werden. Die Idee des Machers von einem Kessel - die Idee des Kochs. Die Idee des Kindes von einem Helm. Die Idee des Fisches von einer Behausung.


    Der Gegensatz um den es geht ähndelt dem Gegensatz natürlich - unnatürlich aber läßt sich nicht darauf reduzieren.


    Und bei Lynch rede ich nicht von seinen Filmen sondern meine ganz speziell das Interview Project. Gerade wenn ein Mensch nicht so sehr Planer seines Lebens ist sondern eben vom Zufall und Zeit gezeichnet ist - wenn der Lack ab ist was er sein sollte oder sein wollte - dann scheint wie beim Kessel das durch, was er ist. Eher die Momentaufnahme eines Prozesses als eine Essenz.


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    Wenn diese Würde inmitten der Vergänglichkeit sichtbar ist - gerade im Alter sieht man das - dann braucht nicht gefunden werden. Vom Interview Project gab es auch eine deutsche Variante "

    Interview Project Germany".

    Du zitierst Ed Brown:


    Zitat

    Die Falten in deinem Gesicht sind Teil deiner Aufrichtigkeit.

    Ein Ding, das keine Linien zeigt, und nicht altert,

    wie etwas aus Kunststoff, ist nichts Ehrliches.


    Da ist eine große Gefahr drin, in ein reaktionäres Denken zu verfallen, wo man das "Authentische" dem "Unauthentischen" gegenüberstellt. Den"Jargon der Eigentlichkeit" nannte Adorno Heideggers Geraune. So eine kulturpessimistische Nostalgie, wo man sich an althergebrachtes klammert und auf eine Moderne aus Plastik und Beton herabschaut. Diese Nostalgie kann gefährlich sein.


    Zitat

    Wir sehen etwas Wirkliches, so wie es ist.

    .....

    Aber im Leben erhält man Beulen,

    setzt Patina an.

    Bei Wasserkesseln akzeptiert man,

    dass sie eine bleibende Qualität besitzen können,

    wenn sie verbeult sind,

    Flecken oder Dellen haben.

    Man geht mit Wasserkesseln nämlich nicht besonders respektvoll oder sorgfältig um.

    Während dies ja nicht von "authentischen" ausgeht sondern eher vom Kaputten - dem was etwas durchgemacht hat. Nicht vom Weizen sondern von der Streu. Dem was übrigbleibt.


    Vor kurzem ist ja der Filmemacher David Lynch gestorben. Er war kein Buddhist aber als Fan der ( durchaus kontroversen) "Transzendentalen Meditation" hat er sehr viel meditiert. Und von daher auch einen Blick auf die Dinge gewonnen, der der hier von Ed Brown geäußerten Herangehensweise nicht unähnlich ist.


    Sein "Interview Project ist durch die USA und dann auch Deutschland gefahren und hat da auf der Straße Leute aufgelesen und nach ihrem Leben befragt. Darunter sind natürlich viele, die etliches durchgemacht haben - viel benutzte Kessel mit etlichen Flecken und Dellen. Wo dann durch all die menschlichen Fehler und Schwächen - die kleinen Freude , die Wirrnisse und auch die Kaputtheit - so eine dahinter liegende Würde und Heiterkeit durchschimmert.

    So die Idee sich statt dem Schönen, Sauberen und Neuen dem Kaputten, Dreckigen und Alten zuzuwenden - wie Ed Brown das vorschlägt - finde ich ja eine gute und lobenswerte Sache.


    Aber wenn diese Anti-Ästhetik dann wieder selber zur Ästhetik wird gehört man ja sofort wieder der Katze.


    Der Erfinder des Begriffs "wabi sabi" Sen No Rikyū war ja vielleicht anfangs ein schlichter Tee-Nerd aber dann hatte er ja so viel Erfolg, dass er zum persönlicher Teemeister der blutrünstigen Warlords Nobunaga und Hideyoshi aufstieg und und ihrer Schergen und Lakaien mit "Wabi-Sabi" belieferte.


    Aber vielleicht muß man dann eben weiter zurück gehen. Ich muß an das "Hōjōku" von Kamo No Chōmei denken. Dieses ist noch ein Stück weiter von der Ästhetik weg und näher am Buddhismus:


    Hier gibt es den Begriff "wabi sabi" noch nicht. Die Einfachheit von Hanfleinen und Hütte taucht zwar auf aber es ist Teil eines Entsagungsweges von "Rang und Namen" hin zur Schlichtheit.


    Während es bei Sen No Rikyū schon zu einer Ästhetik verdinglicht ist, die sehr gut zu einer Sehnsucht nach heiler Welt paßt.

    Ich mag die wabi sabi Idee sehr gerne, aber es liegt eine Gefahr darin.


    In Amerika gab es im 18 Jh die protestantische Sekte der Shaker. Als Puritaner waren sie jeglichen Luxus abhold und versuchten auch in ihren Möbeln so schmucklos zu gestalten, dass nichts an ihnen sie von ihrer Spiritualität abhielt.


    So entstanden die Shaker Möbel. Aber gerade weil sie so ästhetisch und funktionalistisch waren, wurden sie zum "Kult". Designer feierten sie ab, und heute werden sie zu astronomischen Preisen versteigert und gelten als Großväter von Ikea-Möbeln. Das ganze Projekt ist vollkommen nach hinten losgegangen. Statt etwas zu schaffen, was möglichst "langweilig" , möglichst "banal", möglichst "fade" ist, wurde eine Spezialität für ästhetische Conniseure draus.


    Dies ist auch die Tragik von Wabi Sabi. "Schlichtheit" und "Einfachheit" wurden zum Kennzeichen erlesenen Geschmacks und sozialer Distinktion. Du lässt deinen Teepot von einem koreanischen Dachziegelmacher fertigen, damit er nicht vom geselligen Zusammensein und dem Geschmack des Tees ablenkt und auf einmal stehen bei dir gackernde Hipster auf der Matte und wollen auch einen haben, weil es in ihren Kreisen der letzte Schrei ist.