Beiträge von Lirum Larum im Thema „Wie gehe ich mit einer Gewalttat um?“

    Betti:

    Und ich habe nach den ersten Reaktionen, wenn ich das in meinem Umfeld erzählt habe, beschlossen, lieber nicht weiter nach Hilfe von außerhalb zu suchen, denn ich war doch ziemlich überrascht, wie ausweichend alle reagiert haben! Das ist wirklich ein Phänomen, das mich nach wie vor beschäftigt, wie z.B.: "Oh Gott, das ist ja schrecklich!.... Jaja, die Franzosen sind echt komisch...!" [Der Mord ist in Frankreich passiert, meine Bekannte hat dort seit einigen Jahren gelebt, der Täter ist ein Franzose] oder "Au weia! Das ist ja schlimm.... Oh nein, erzähl bloß nicht weiter!" oder "Was? Ach, wie schrecklich!... ach, hab ich Dir erzählt, wen ich neulich getroffen habe...." Wie gesagt, ich mag es kaum noch erzählen, weil ich die Reaktionen teils nicht fassen kann! Und MIR hilft das schon mal gar nicht


    Mich erinnert das an Guido Westerwelles Reaktion vorgestern zum Tod von Robert Enke: (Zackig und kurz:)"So ein junger Mensch! Furchtbar!" Und zack war er hinter irgendeiner Haustür verschwunden. Kein Ausdruck des Mitfühlens oder irgendwas, nur ein dahingeworfener Satz wie eine kurze Ohrfeige. Absurde Reaktion für einen Politiker, finde ich. Ich vermute dahinter eine riesengroße Hilflosigkeit so einer Situation gegenüber.


    Mich hat der Tod von Enke übrigens auch überdurchschnittlich fertig gemacht. Dabei bin ich gar kein Fan, sondern als Hannoveranerin nur ein bisschen fußballinteressiert. Enke hab ich immer bewundert, ihn aber nur zwei mal live gesehen. Mittwoch war ich trotzdem den ganzen Tag verheult. Das ist eigentlich merkwürdig und mein kleiner Sohn brachte es auf den Punkt: "Warum bist du denn so traurig? Er war doch gar nicht aus unserer Familie."
    Ich glaube, diese Trauer hat noch mehr mit mir selbst zu tun als mit Robert Enke. Obwohl ich zugeben muss, dass ich oft etwas viel Mitgefühl habe... an der ganzen Sache schwingt doch auch viel von mir, und auch das Gefühl der Hilflosigkeit und des Helfenwollens.
    Jedenfalls ist es alles ein trauriges Phänomen, das ich beobachten kann.


    Gestern abend hab ich am Stadion eine weitere Kerze zu den tausenden dazu gestellt und meine tibetischen Lieblingssegenswünsche (die Vier Unermesslichkeiten) für ihn und seine Familie in ein Kondolenzbuch eingetragen. Das hat mich sehr erleichtert.

    Betti:

    ...
    Meinen Schmerz beobachten? Oder verstärkt dieser sich dann weiter?


    Mit Beobachten verstärkt man es nicht, aber vielleicht ist es so stark, dass Du immer mal Pause brauchst vom Beobachten?


    Betti:

    ... - das ist übermächtig und lähmt mich!
    Ich durchlebe gerade so viele Momente aus der Vergangenheit, lese alte Notizen, auf der Suche nach etwas, das sie mir gegeben, bzw. gesagt hatte, was mir jetzt helfen könnte. Ist es gut, aus dem Gewesenen Kraft zu schöpfen oder ist das zu viel Anhaftung?
    Ich hab schon das Gefühl, daß es mir hilft, in etwa zu wissen, was sie mir jetzt genau dazu sagen würde - allerdings merke ich, daß ich wieder völlig in eine Traumwelt abdrifte, in die ich nicht geraten will.


    Das nennt sich Trauerarbeit, was du jetzt bewältigen musst. Das ist ein längerwährender Prozess mit dem man nicht alleine bleiben sollte.

    Betti:

    ...Ich weiß, ich muß es aktzeptieren, aber kann es nicht so einfach als gegeben hinnehmen und alles, was an sie erinnert, einfach "loslassen" - dafür gibt es einfach zu viele Dinge in meinem Leben, die sehr mit ihr verknüpft sind!


    Ich glaube auch nicht, dass "einfach loslassen" (sozusagen "Weg und Tschüss!!!") jetzt überhaupt das Richtige wäre.
    Ich neige auch manchmal zum Wegträumen und habe festgestellt, dass echte Menschen, denen man ins Gesicht gucken kann, dann ein unverzichtbarer Halt sind, die mich wieder hier her holen. Such dir doch eine Selbsthilfegruppe oder einen Fachmenschen, der sich mit Trauerarbeit gut auskennt. Ich denke, das wäre jetzt das Wichtigste für Dich, wirklich.