Also aus rein entwicklungspsychologischer Sicht kann man sagen, dass Frauen (oder weiblich orientierten Menschen) und Männer (oder männlich orientierten Menschen) unterschiedliche Phasen der Entwicklung beschreiten. Das Grundthema ist bei beiden Geschlechtern gleich: Und zwar die Entwicklung von einem egozentrischen Verhalten, über ein ethnozentrisches, zu einem weltzentrischen Verhalten. Einfach ausgedrückt: Am Anfang kümmern sich Menschen vor allem um sich selbst, später um die Familie/ Nation um als reifes Individuum die ganze Welt zu umschließen. (Das ist jetzt sehr einfach ausgedrückt und vernachlässigt einige Faktoren...)
Ich zitiere einmal aus meiner Diplomarbeit, um diesen Umstand besser zu verdeutlichen:
"Viele namhafte Psychologen wie Lawrence Kohlberg, Jean Piaget, Jane Loevinger oder Abraham Maslow fanden heraus, dass „die Bewusstseinsentwicklung sich durch eine Abfolge kulturübergreifender Eben oder Wellen vollzieht“ (McIntosh, 2009, S. 40). Wilber (2001a) sammelte die Schlussfolgerungen von über hundert Forschern und kam zu dem Ergebnis, dass sich die Stufenfolgen dieser Theoretiker „in einem gemeinsamen Entwicklungsraum miteinander zur Deckung bringen. Die weitgehende Deckungsgleichheit deutet auf die Möglichkeit einer Versöhnung dieser Theorien hin.“ (...) Natürlich gibt es Dutzende von Meinungsverschiedenheiten und Hunderte von widersprüchlichen Einzelheiten. Doch erzählen all diese Forscher eine in den Grundzügen ähnliche Geschichte vom Wachstum und der Entwicklung des Geistes als eine Aufeinanderfolge sich entfaltender Stufen oder Wellen“ (Wilber, 2001a, S. 17).
So verläuft die moralische Entwicklung in drei Ebenen, von einer egozentrischen Moral, zu einer ethnozentrischen und schließlich zu einer weltzentrischen Moral. Auf der ersten Ebene, der egozentrischen Moral, beschäftigt sich der Mensch hauptsächlich um seine persönlichen Belange, er ist mit der Perspektive der ersten Person identifiziert. Auf der zweiten Ebene, der ethnozentrischen Ebene, identifiziert sich der Mensch mit einer bestimmten Gruppe oder Nation, er hat seine Moral zwar erweitert, sie ist aber immer noch auf einen bestimmte Gruppe beschränkt, er ist mit der Perspektive der zweiten Person identifiziert. Auf der dritten Ebene, der weltzentrischen Ebene, erweitert der Mensch seine moralische Anschauung und macht sie unabhängig von Rasse, Nation oder Glaubensrichtung, er ist mit der überparteilichen Perspektive der dritten Person identifiziert.
So fand auch Carol Gilligan (1984) heraus, dass Frauen bei ihrer moralischen Entwicklung sich durch drei Wachstumsstufen hindurch entwickeln. Diese drei Stufen sind selbstbezogen (egozentrisch), fürsorgend (ethnozentrisch) und universell fürsorgend (weltzentrisch). Selbstbezogen heißt, dass Frauen nur für sich selbst sorgen, während fürsorgend bedeutet, dass nahe Menschen, wie zum Beispiel Familie in die Fürsorge mit einbezogen werden. Die dritte Stufe universell fürsorgend beinhaltet schließlich Mitgefühl und Fürsorge für andereganz allgemein. In der ersten Stufe gibt es nur eine Person die sich um sich selbst kümmert, während auf der zweiten Stufe die Person eine Erweiterung ihrer Grenzen vornimmt und beginnt Fürsorge für Andere zu empfinden. Schließlich durchbricht man auch diese Grenze und ist in der Lage Mitgefühl für immer mehr Menschen zu empfinden."
Männer durchlaufen ihre Entwicklung mehr unter dem Autonomie-Aspekt. Anfänglich geht es ihnen also darum, für sich Freiheit zu entwickeln, die sie später auch für ihre Familie oder Nation fordern und auf der weltzentrischen Ebene für alle einfordern.
Insofern kann man schon sagen, dass zwar das Grundthema der Entwicklung bei beiden Geschlechtern gleich ist, jedoch auf anderen Wegen abläuft...