Beiträge von Merkur-Uranus im Thema „Buddhismus und das was zwichen den Menschen ist“

    Bhante Dhammika beschreibt in seinem Buch "Broken Buddha" einige interessante Unterschiede zwischen dem Theravada und dem Mahayana, die auch für diese Diskussion interessant sein können. Es liegt eben auch daran, welcher Interpretation der buddhistischen Lehre wir angehören (sind wir von Theravada, Zen, Mahayana, Vajrayana oder westl. Buddhismus geprägt).


    Im elften Kapitel schreibt der Theravada Mönch Bhante Dhammika etwa (es ist ein längerer Text, aber er lohnt sich):


    "Der Theravâda hat sicherlich ein deutlich negatives Erscheinungsbild. Negativität bedeutet, dass die Theravâdins die Tendenz haben, nur das Schlechte, das Hässliche oder die mangelhafte Seite der Dinge zu sehen. Theravâda-Mönche nehmen an Beerdigungszeremonien teil, aber nie an fröhlichen oder positiven Riten, die das Leben der Menschen begleiten. Sie wissen um die spirituelle Bedeutung von Krankheit und Tod, ignorieren aber die positiven Seiten von Geburt, Hochzeit oder dem Erwachsen werden. Betrachtet man das Thema Ethik, nimmt man dieselbe Tendenz wahr. Das erste Kapitel des Visuddhimagga, dem großen Kompendium des Theravâda, ist betitelt mit „Eine Beschreibung der Tugend“. Quält man sich durch die staubtrockenen Seiten dieses Kapitels der englischen Übersetzung, stellt man fest, dass das, was man gemeinhin unter einer tugendhaften Handlung versteht, kaum erwähnt wird. Die Tugend wird definiert und beschrieben, ihre Ursachen und kammischen Folgen werden detailliert erörtert, doch abschließend wird Tugend nur als das Vermeiden von schlechten und nicht als das Wirken von guten Taten dargestellt. Der Visuddhimagga wurde aber vor Jahrhunderten verfasst; vielleicht hat sich der Theravâda inzwischen in der Hinsicht etwas geändert. Ich nehme ganz zufällig ein Buch aus dem Bücherregal hinter mir und schaue, was darin über Tugend und Rechtes Handeln steht. In diesem Fall handelt es sich um Mahasi Sayadaws Kommentar über das Dhammacappavattana-Sutta. Ich blättere, bis ich zum Teil über Rechtes Handeln komme, und lese: „Kommt man in eine Situation, wo man töten, stehlen oder sich sexuell vergehen könnte und sich in Bezug darauf zurückhält, dann hat man Rechtes Handeln etabliert.“ Auch hier wird Tugend und Rechtes Handeln ausschließlich definiert als das Vermeiden von schlechten Taten.
    Per Zufall wähle ich erneut ein Buch aus dem Regal aus und stoße auf Die Praxis des Laienbuddhisten von Khantipalo. Khantipalo war ein englischer Mönch, der jahrelang Theravâda im Westen gelehrt hatte, so dass es sein kann, dass er sich dem Thema positiver annähert. Ich blättere bis zu der Stelle des Buches, die sich mit den fünf Sîlas beschäftigt. Nachdem er die Sîlas aufgezählt hat, schreibt er: „Diese fünf Sîlas sind die minimalen und grundle- genden Anforderungen, die das moralische Verhalten eines Buddhisten ausmachen. Sie dienen dazu, schlechtes Kamma in Wort und Tat zu verhindern9 und sind die Grundlage für das weitere Wachstum im Dhamma.“ Die Sîlas sind korrekt als Minimum moralischen Verhaltens beschrieben, über das Minimum hinaus aber wird nichts erwähnt. Er bemerkt, wiederum korrekt, dass die Sîlas Basis für das weitere spirituelle Wachstum sind, aber nicht, worin dieses Wachstum bestehen soll (z. B. über das Unterlassen des Tötens hinauszugehen und das Wohlsein anderer zu fördern). Ich blättere weiter, bis ich zu der Stelle komme, die sich mit den Acht Sîlas befasst, um zu sehen, was Khantipalo darüber zu sagen weiß: „Es war allen Laienbuddhisten immer bewusst, dass, wer die Acht Sîlas befolgt, sich sehr bemühen muss, gegen sie nicht zu verstoßen ... Wenn jemand diese acht Regeln auf sich nimmt, sollte er sich vernünftigerweise sicher fühlen,... dass er keine dieser Regeln bricht.“ Hier, und fast überall sonst auch, werden die Tugendübungen als das Vermeiden von schlechten Taten definiert.
    Wenn wir Buddhas ethische Lehren zu Rate ziehen, stellen wir fest, dass der Erhabene gewöhnlich bemüht war, eine Balance zwischen dem Unterlassen von schlechten Taten (varita) und dem Begehen von guten Taten (carita) zu finden. Das berühmte Zitat des Dhammapada ist ein gutes Beispiel dafür: „Unterlasse deine schlechten Taten und lerne, Gutes zu tun.“ Die Balance des Negativen und Positiven, des passiven und des dynamischen Aspekts der Ethik illustriert der Buddha sehr schön in der Beschreibung der ersten Sîla. Er sagt: „Nachdem der Mönch Gotama dem Töten abgeschworen hat, steht er vom Töten ab. Er hat den Knüppel und das Schwert beiseite gelegt und verweilt voll bewusst in Freundlichkeit und Mitgefühl, für das Wohl aller Wesen“ (D, I, 40). Der Kommentar zu dieser Passage enthält eine lange und detaillierte Diskussion über verschiedene Aspekte des Tötens und der Sub-Kommentar nutzt die Gelegenheit, einige dieser Ideen in noch größerer Länge auszuführen. Wie aber zu erwarten war, befassen sich weder Kommentar noch Sub-Kommentar in keiner Weise mit den Implikationen der Worte „... verweilt voll bewusst in Freundlichkeit und Mitgefühl, für das Wohl aller Wesen.“ Eine andere Art, in der die rein negative Tugend im Theravâda erscheint, ist, dass sie primär selbstsüchtig ist. Im Theravâda spielen die Auswirkungen von gutem oder schlechtem Verhalten auf andere keine Rolle. Wenn ein Theravâdin davon absteht, andere zu verletzen, dann nicht, weil er sich um sie sorgt, sondern nur, um schlech- tes Kamma zu verhindern, und wenn er Gutes tut, dann nicht, um anderen zu helfen, sondern weil er damit seine persönlichen Vorteile verfolgt. Mahâyâna-Anhänger haben dieses unzureichende, eigensüchtige Verständnis der Sîlas schon vor Jahrhunderten kritisiert. Im Upayakausala Sûtra heißt es; „Der Buddha lehrt den Bodhisattvas Sîlas, die weder strikt noch wörtlich befolgt werden müssen, aber er lehrt den Sravakas (Theravâdins) Sîlas, welche strikt und wörtlich befolgt werden müssen. Er lehrt den Bodhisattvas Sîlas, die gleichzeitig erlauben und verbieten, aber er lehrt den Sravakas Sîlas, die nur verbieten.“ Ein anderer Text, das Mahâyânasangraha betont, dass die Sîlas drei Facetten besitzen: Sie ermutigen zur Selbstbescheidung, zum Wirken von guten Taten und zum Engagement für das Wohl der anderen Wesen. Es stellt ganz richtig heraus, dass die Sravakas nur die erste Facette betonen und die Sîlas nur zum eigenen Wohl praktizieren. Als ein Beispiel für die dritte Facette erwähnt das Mahâyânasangraha die Pflege von Kranken, das Interesse an den Belangen der anderen um ihnen schließlich den Dhamma zu lehren, Hilfsangebote an Reisende, das Erlernen der Zeichensprache, um sich mit Taubstummen unterhalten zu können, Schutz von anderen vor möglichen Gefahren, usw. Der Buddha spornt uns auch an, Dinge zu tun, die einen positiven Unterschied im Leben der Menschen darstellen. Im Saáyutta Nikâya z. B. schlägt er vor, Bäume entlang der Landstraßen zu pflanzen, Bewässerungsgräben zu konstruieren, Brunnen zu graben und Obdachlosen eine Unterkunft anzubieten (S, III, 45-6). Praktische und positive Beispie- le von tugendhaftem Handeln wie diese findet man häufig in der Mahâyâna-Literatur, jedoch sel- ten, wenn überhaupt, in der Theravâda-Literatur"


    Bhante Dhammika "Broken Buddha"


    In gewisser Weise liegt es an uns, was im Westen zwischen den Menschen entstehen soll und kann. Wir können uns an buddhistischen Interpretationen anderer Länder und Traditionen orientieren, aber wir müssen selbst eine Linie finden.
    Meines Erachtens wird es erstmal eine sehr pluralistische Tendenz geben im Westen, das heißt, eine Vielzahl buddhistischer Gruppierungen formiert sich im Westen, die zum Teil Berührungspunkte miteinander haben, aber eben auch nicht. Vielleicht wird sich in den nächsten Jahren/ Jahrzehnten eine Bewegung manifestieren, die dann mehr auf den Gemeinsamkeiten aufbaut, als auf den Unterschieden und die Essenz der buddhistischen Lehre in einem eigenen westlichen Stil ausdrückt. Aber vielleicht passiert das auch nicht und der Buddhismus bleibt die nächsten Jahrzehnte zersplittert und fragmentiert (hat ja auch seine Vorteile)...


    HG, merkur