Beiträge von ThuptenGyamtso

    @ kilaya


    Hallo kilaya, natürlich muss man nicht allen meinen Ansichten zustimmen. Was den "fließenden Übergang" in der buddhistischen Zuflucht angeht, da stimme ich dir zu. Wer als Buddhist den Dharma praktiziert (welche Tradition auch immer), verschreibt sich nicht einem religiösen Glauben, sondern einer geistigen Tätigkeit - einem Geistestraining. Während das Christ-sein ein Zustand beschreibt, in dem man sich befindet, sobald man das christliche Glaubensbekenntnis bekennt und getauft wurde, gibt es im Dharma kein "Buddhist-sein" als Zustand. Buddhist ist, wer den Dharma praktiziert. Es handelt sich also um eine Tätigkeit bzw. wie eine Art Handwerk, dass einem erlaubt sich so lange als Buddhist/in zu identifizieren, solange man dieses "Handwerk" - den Dharma - auch ausübt. Und wie du schon treffend sagtest, wenn man die buddhistische Zuflucht wieder "über Bord wirft" und den Dharma nicht mehr praktiziert, ist man dann natürlich auch kein Buddhist/in mehr. Im Buddhismus drohen einem deswegen keine negativen Konsequenzen wie z.B. in gewissen anderen Religionen.


    Im traditionellen Christentum sieht man das aber nicht so leger wie im Buddhismus. Wer als getaufter Christ eine andere Religion praktiziert oder konvertiert bzw. spirituelle Übungen und Lehren praktiziert, die dem christlichen Glauben diametral entgegenstehen, gilt als Häretiker oder gar gleich als exkommuniziert. Wenn Sanshin sein christlicher Glaube so wichtig ist, wie er es hier beschrieben hat, so hätte eine solche Entscheidung (Buddhist werden etc.) gewisse Konsequenzen, die ihm vermutlich mehr Probleme als Vorteile bringen würde. Konsequenzen, die er in meinen Augen noch gar nicht wirklich in seine Überlegungen (seinen christlichen Glauben mit buddhistischen oder hinduistischen Elementen anzureichern) mit einbezogen hat.


    In meinen Augen verfolgt Sanshin in seinen Bemühungen, seinen christlichen Glauben mit der buddhistischen/hinduistischen/taoistischen Spiritualität zu vereinen, sehr romantische/naive Vorstellungen. Und genau dies meinte ich mit den "eigenen Illusionen und Wunschvorstellungen" hinterherzulaufen.


    Als Buddhisten wissen wir, wie schwer es manchmal ist Zeit für die Dharma-Praxis zu finden. Allein der Buddhismus mit all seinen Heiligen Schriften (Tripitaka, Dhammapada, Kangyur und Tengyur etc.) ist von seiner Größe her so vielfältig und umfassend, dass ein ganzes Menschenleben nicht ausreichen würde, um alle buddhistischen Schriften, Kommentare und Meditationstechniken zu erfassen bzw. zu studieren. Und das Gleiche gilt ebenso für die Schriften und spirituellen Techniken des Hinduismus und Taoismus. Der Tag hat nun mal nur 24 Stunden und das menschliche Leben ist kostbar, aber zeitlich leider auch (biologisch-bedingt) begrenzt.


    Selbst wenn Sanshin finanziell so reich wäre, dass er nicht arbeiten und auch um sich sonst nichts anderes "profanes/weltliches" kümmern müsste, und er 16 von 24 Stunden des Tages verwenden könnte, um sich dem Studium der buddhistischen, hinduistischen und taoistischen Schriften und spirituellen Übungen zu widmen, würde er sich einem aussichtslosen Unterfangen verpflichten. Sanshin überschätzt (in meinen Augen) bei weitem seine Möglichkeiten, die ihm sein kurzes Menschenleben hier auf Erden schenkt. Ich glaube nicht, dass er wirklich weiß, was er da von sich selbst abverlangen müsste, wenn er versuchen würde, sein Unterfangen tatsächlich in die Praxis umzusetzen.


    Gruß
    Thupten Gyamtso

    Hallo Sanshin,


    ich bin Buddhist der Nyingma-Linie des Tibetischen Buddhismus und praktiziere auch die Ngöndro meiner Linie. Ganz genau gehöre ich der Pema Lingpa-Linie (Yeshe Khorlo) innerhalb der Nyingmapa-Schule an. Sie ist die Hauptschule des Vajrayana-Buddhismus in Bhutan. "Thupten Gyamtso" ist mein Dharma-Name, den ich von meinem Lehrer bei meiner buddhistischen Zuflucht erhalten habe. Ich würde gerne zu einigen deiner Fragen hier meine Sicht als Nyingma-Buddhist dazugeben.


    1. Buddhistische Zuflucht:
    Wenn man die buddhistische Zuflucht zu den drei Juwelen (Buddha - Dharma - Sangha) nimmt, so entspricht dies einer Konversion zum Tibetischen Buddhismus bzw. zu einer bestimmten Linie innerhalb des Tibetischen Buddhismus (z.B. Nyingmapa- oder Kagyü-Linie). Jede Linie hat dabei ihre eigene traditionelle Zufluchtsformel, Zeremonie (für die Aufnahme in die Linie) und Zufluchtsbaum (eine Art spiritueller Stammbaum oder spirituelle Familie, derer man sich nun anschließt, um irgendwann selbst als "Verwirklicher" ein Teil dieses Zufluchtsbaums/Stammbaums zu werden). Ergo, wenn du Christ bleiben möchtest, solltest du von der buddhistischen Zuflucht die Finger lassen.


    Zweitens ist "Buddha" in der Zuflucht kein "Gott" und auch kein gewöhnlicher Lehrer. Letztendlich repräsentiert Buddha die vollkommen erleuchtete Natur unseres Geistes. Innerhalb des Tibetischen Buddhismus stehen die Buddhas (z.B. Buddha Manjushri, Buddha Maitreya oder Buddha Shakyamuni) als über-weltliche "Wesen" außerhalb des Samsara und somit über allen Göttern. Nach buddhistischer Auffassung befinden sich nämlich alle "Götter" und "Halbgötter" innerhalb des Samsara und sind somit ebenfalls sterblich/vergänglich. Somit werden Götter, welche auch immer, in der Regel von Buddhisten nicht als Zufluchtsobjekte genommen, da sie als letztendliche Zufluchtsobjekte nicht geeignet sind.


    2. Ngöndro - die Grundübungen:
    Die Ngöndro bestehen aus verschiedenen Gebeten und Meditationstechniken, die den Geist des praktizierenden Buddhisten reinigen und auf weiterführende fortgeschrittene Meditationstechniken vorbereiten sollen (z.B. aufs Dzogchen oder Mahamudra). Will ein Vajrayana-Buddhist mit den Ngöndro anfangen, so geht er zu einem Lehrer seiner Linie, erhält von ihm die Lung (Einweihung bzw. Erlaubnis) in die Ngöndro sowie anschließend praktische Unterweisungen, wie die einzelnen Ngöndro-Techniken mit Körper, Rede und Geist auszuführen sind sowie welche Gebets- und Meditationstexte dafür verwendet werden müssen. Denn alleine ohne eine Lehrer, der dir zeigt wie man die Ngöndro richtig ausführen muss, kannst du die Ngöndro nicht erlernen noch ausführen.


    Das Lesen von irgendwelchen Büchern zu dem Thema reicht dafür auch nicht aus. Auch die entsprechenden Gebets- und Meditationstexte für die Ngöndro kriegst du nirgendwo im Buchhandel zu kaufen - diese Texte werden nur innerhalb der eigenen Linie des Tibetischen Buddhismus weitergegeben. Eh du aber die Lung für die Ngöndro einer bestimmten Linie des Tibetischen Buddhismus bekommen kannst, muss du vorher die buddhistische Zuflucht innerhalb dieser Linie genommen haben.


    Somit kommen auch die Ngöndro für dich nicht in Frage, da du vorher - durch die buddhistische Zuflucht - zum Vajrayana-Buddhismus konvertieren musst, eh du die Erlaubnis und Einweisung in die Ngöndro-Praxis bekommen kannst. Damit wärst du aber dann kein Christ mehr.


    3. Buddhist und gleichzeitig an Gott glauben?
    Schlussendlich kannst du tun, glauben und lassen, was immer du willst. Es ist am Ende allein deine Entscheidung, welchen sprirituellen/religiösen Weg du folgen möchtest. Aber ein richtiger Buddhist bist du dann nicht. Und in den Augen der meisten Christen wärst du dann auch nicht mal mehr ein richtiger Christ. Du kannst aus allen spirituellen Traditionen dieser Welt deine eigene "Religion" zusammenbasteln, aber wundere dich später nicht, wenn du damit nirgendwo wirklich ankommst und stattdessen immer nur auf der Stelle getreten bist und somit nur viele kostbare Jahre deines Lebens vergeudet hast, weil du nur deinen eigenen Illusionen und Wunschvorstellungen hinterhergelaufen bist.


    4. Buddhismus und Hinduismus:
    Buddhismus und Hinduismus sind zwei große spirituelle Traditionen, die zwar viele Gemeinsamkeiten aufweisen, die aber letztendlich grundverschieden sind. Ein richtiger Hindu kannst du sowieso nicht werden. Als Hindu muss du geboren sein. Es gibt keine Möglichkeit für Nicht-Hindus zum Hinduismus überzutreten. Wer auch immer dir das Gegenteil versichert, der lügt, hat entweder keine Ahnung von der Hindu-Religion oder er will dir das Geld aus der Tasche ziehen (z.B. durch die Aufnahme deiner Person in irgendeine westliche/selbst-gebastelte Pseudo-Hindu-Sekte). Natürlich kannst du privat aus dem Hinduismus dir jene spirituellen Praktiken/Meditationen raussuchen, die dir gefallen, aber wirklichen Zugang zu dieser spirituellen Tradition wirst du als Nicht-Hindu niemals bekommen. Die wirklich wichtigen Lehren und Meditationstechniken werden von den Hindu-Meistern, die sie hüten, niemals der breiten Öffentlichkeit z.B. in Buchform zugänglich gemacht und an Nicht-Hindus generell nicht vermittelt.


    5. Meine persönliche Empfehlung an dich:
    Ich rate dir, beschäftige dich zuerst mit den echten Glaubensgrundlagen deiner christlichen Religion und überprüfe für dich, ob du in deinem christlichen Glauben nicht vielleicht doch alles vorfindest, wonach du dich sehnst. Auch das Christentum hat sehr viele unterschiedliche spirituelle Techniken und Traditionen hervorgebracht. Ich glaube, dass du auf dem Gebiet noch nicht wirklich deine Hausaufgaben gemacht hast. Experimentiere lieber zuerst mit der christlichen Spiritualität, eh du alles (deinen christlichen Glauben) über Bord wirfst und später vielleicht deine Konversion (zu welcher anderen Religion oder spirituellen Tradition auch immer) bereust.


    Gruß
    Thupten Gyamtso