Beiträge von malsehen im Thema „Missbrauch in Buddhistischen Gruppen“

    nyalaana:

    Was ist Missbrauch überhaupt?


    Ich denke nicht, dass es um "groß" oder "klein" geht.


    Ich sehe die Pozesse eher "physikalisch". Ein zu erreichendes Ziel benötigt einen Aufwand, eine Arbeit (im physikalischen Sinne). Es muss Arbeit aufgewendet werden, um dieses zu erreichen. Ein energetisch niedriger Zustand (vergleichsweise geringer Aufwand) wird in einen höherer Ordnung (Erschaffung und Erhaltung benötigen Arbeit) überführt.
    Der Mensch wie das Universum tendiert nun dazu, den Aufwand gering zu halten. Zumindest der Mensch ist aber in der Lage, Arbeit zu investieren, wenn er sich vom Zielzustand etwas verspricht.
    Die Frage nach dem Missbrauch zielt nun darauf ab, wer mit welcher Intention die Zielvorstellung erzeugt. Für mich findet der Begriff Missbrauch schon Anwendung, wenn derjenige, der das Versprechen betreffs des Zielzustandes formuliert, seine Motivation (Nutzen!) nicht klar offen legt. Wenn ich meinen Freunden sage, lasst uns meinen Bauernhof bauen, um gemeinsam darin zu wohnen, werden alle das schöne Ziel verfolgen, in einer so tollen Liegenschaft leben zu dürfen. Ich tue gut daran, ggf, offenzulegen, dass ich als Eigentümer einen höheren Nutzen durch die zusätzliche Wertsteigerung meiner Immobilie habe. Erst, wenn nun jemand sagt, "Ok, ich arbeite an dem Projekt mit", habe ich ihn nicht missbraucht. Allein der Verweis darauf, dass ein viel Arbeit verrichtet habender Mitbewohner des renovierten Gehöfts doch seinen Nutzen für seine hineingesteckte Arbeit hat, enthebt mich nicht des Vorwurfes, ihn missbraucht zu haben, wenn mein Nutzen diesem nicht klar war.
    Mir als Besitzer des Gehöfts (vor und nach der Renovierung) obliegt dabei in meinem Bild menschlicher Ethik am ehesten die Pflicht, auf diese Umstände auch hinzuweisen. Die Position des "oh, das hätte Dir aber klar sein müssen" schützt mich nicht vor der grundsätzlichen Einschätzung, jemanden missbraucht zu haben. Ich hatte die bessere Ausgangslage, also habe ich auch mehr "Verpflichtung", auf ein Missbrauch der eingebrachten Arbeit zu schauen.


    Missbrauch ist für mich also die Nutzung fremder Arbeit (ob nun finanziell, körperlich oder emotional), zu meinem wie auch immer gearteten Vorteil, ohne dass der, der diese Arbeit leistet, diesen Vorteil kennt.

    Ich denke, wir sollten durchaus nichts vermischen, wir sollten aber auch nichts ausblenden.
    Sexueller Missbrauch ist eine Möglichkeit des Missbrauchs, auch, wenn es nicht eben subtil ist.
    Die Frage, ab wann ein solcher Missbrauch eine Vergewaltigung ist, und damit bereits nach geltendem Recht strafbewehrt, ist für mich in der Überlegung zu diesem Thema nicht von Belang.
    Zum einen, weil die Tatsache, dass es justitiabel ist, es vielen Vergewaltigungsopfern nicht wirklich einfacher macht.
    Zum anderen – wie ich bereits sagte – kann es sein, dass es einen Vergewaltigungs-Tatbestand zu entdecken gilt, der noch nicht strafbewehrt ist. Ähnlich der Situation in der Vergangenheit, als es vor dem Richter (!) noch keine Vergewaltigung in der Ehe gab…

    malsehen:

    Genau so, wie es zu kurz greift, nur den bösen Verführer anzuklagen.


    Ich wurde gerade gebeten, diesen Satz zu erläutern, da er für sich – danke für die Anregung – etwas knapp steht.


    Ich wollte vermeiden, dass der Blickwinkel zwischen den Extremen pendelt. Plakativ gesprochen: Auf der einen Seite der "naive Anhänger", der sich ein X für ein U vormachen lässt und eigentlich alt genug sein sollte, um zu erkennen, in was für ein Schlamassel er sich manövriert. Auf der anderen Seite der dämonische Lehrer, der mit seinem verführerischen Charisma ohne Rücksicht sein Postition ausnutzt und seine armen, hilf- und ahnungslosen Schäfchen um Geld, Integrität oder physisch/moralische Unversehrtheit bringt. Die Diskussion zum Thema pendelte in anderen Threads gerne mal ein wenig zwischen diesen Extremen. In einer leidlich ergebnisorientierten Diskusion muss man beide Seiten beleuchten…


    So gut der Impuls gemeint sein mag, der Wunsch geht vielleicht auch ein wenig an der Realität vorbei.
    Nicht jeder Schüler wird sich in der Art und Weise mit den Lehrreden befassen können/wollen.
    Je nach Entrée zum Buddhismus und Sprachregelung der Gruppe, in der man unterwegs ist, kommt das thematisch einfach nicht vor oder gar in einem anderen Kontext. So ist die Realität!
    Es greift für mich zu kurz, zu sagen, es ist doch alles einsehbar, man muss sich nur informieren.
    Genau so, wie es zu kurz greift, nur den bösen Verführer anzuklagen.

    Onyx9:

    Sogenannte Dharmalehrer gibts wie Sand am Meer, genau wie psychologische Psychotherapeuten und Heilpraktiker.
    Psychologie und das Ansprechen "persönlicher Defizite" hat in einem Dharmagespräch so wenig zu suchen, wie ein ein Fisch auf dem Land.


    So sehr ich das Heraushalten von Psychologie und persönlicher Defizite prinzipell befürworten wollen würde … Die Realtität sieht einfach anders aus. Das meine ich noch völlig wertfrei. Das Ansprechen persönlicher Dinge in einem Dharma-Gespräch – ausreichendes Vertrauen vorausgesetzt – halte ich nicht für verkehrt. Vom "Lehrer" wiederum – ausreichend Verantwortung vorausgesetzt – wird ggf. eine freundliche Zurückweisung dieser persönlichen Ebene kommen, oder je nach Einschätzung des Defizits ein Verweis an eine Stelle, die besser helfen kann. In der Realtität mischt sich das und nur dadurch, dass ich meine, dass es nicht sein soll, komme ich nicht weiter mit der Realtität, wie sie sich darstellt.
    Um noch mal auf mein Straßenverkehrsbeispiel zurückzukommen: Bin ich der Meinung, dass Autoverkehr in Wohngebieten Tabu ist und nur ein Verkehr auf entsprechenden Zufahrtstraßen, bis zu/von denen man dann laufen muss erlaubt sein sollte, dann ist das eine interessante, verkehrstechnische Forderung, hilft aber nicht all den Anliegern, die in Vierteln leben, in denen das nicht umsetzbar wäre. Die Leute da warten auf Verkehrsberuhigung, Ampeln, Kreisverkehre, u.a.m.

    Sukha:

    Ich erlebe eher oft auch das Gegenteil. Nämlich, dass viele überängstlich sind, wenn sie in eine buddhistische Gruppe gehen.
    Angst, in eben eine "Sekte" im negativen Sinne zu rutschen.


    Das ist für viele lange Zeit ein Hemmnis, sich auf die Praxis einzulassen.
    Auch das ist ein Grund, dieses Thema sensibel zu behandeln und nicht Ängste erst zu schüren.
    Die meisten Gruppen sind ja in Ordnung und seriös.


    ()


    Aufklärung hat ja zwei Richtungen: Das Warnen vor dem Negativen und das herausstellen des Positiven. In meiner bescheidenen Erfahrung mit buddhistischen Zentren habe ich einen Dialog beobachten können, bei der die Zentrumsleitung eine Initiative des Schulamtes, Klassen der Mittelstufe im Zuge einer Initiative "Lerne die Religionen, die es gibt, näher kennen" auch in das Zentrum zu schicken, mit den Worten "Buddhismus ist aber keine Religion" zurückwies. Ich bin fast zusammengebrochen – heute vor Lachen, damals vor Fassungslosigkeit. Was ich sagen will, der "Ruch" der Sekte ist immer auch der des Unbekannten, nicht-Konventions-gemäßen. Je selbstverständlicher sich buddhistische Gemeinden in der Öffentlichkeit gerieren und die in meinen Augen eher peinlichen, eigenen Berührungsängste mit dem, was man da "Öffentlichkeitsarbeit" nennt, lassen, desto weniger wird es sich für den Interessierten fremd und "sektiererisch" anfühlen. Es scheint, dass ein gesundes Marketing oft der Innenschau des Ganzen widersprechen möchte. Aber wer verschwurbelt in Hinterzimmern agiert, wird eher sektenartig empfunden, als der, der bei Stadtteilfesten vorkommt, regelmäßig Tage der offenen Tür abhält und in interreligiösen Dialogen aktiv ist. Dabei ist das Hinterzimmer nicht der Punkt. Nicht jede Gruppe hat die Größe, gleich ein Zentrum zu betreiben.


    Ängste schüren – noch mal auf Kinder heruntergebrochen. Wenn ich meinem Kind beibringe, dass jeder Fremde eine potentielle Gefahr darstellt, werde ich möglicherwesie einen ängstlichen und damit für’s Leben beschädigten Menschen hervorbringen. Wenn ich frühzeitig mit dem Kind darüber spreche, wie man fremde Menschen einschätzen lernen kann, was es für Hinweise für wohlmeinende, neutrale oder gefährliche Fremde geben kann und dann entsprechende Verhalten anrate/übe/nahelege, dann erziehe ich einen wachen Menschen.
    Ängste schüre ich, in dem ich Gefahren vernebelt und indifferent anführe. Selbstbewusstsein und Klarheit schaffe ich, in dem ich klar benenne, um welche Indizien es geht. Gefahren schaffe ich (oder ich billige sie zumindest), indem ich aus lauter Lähmung um die Komplexizität des Themas gar nichts sage.
    Um Klarheit, um nichts anderes geht es in dieser Diskussion. Dazu bedarf es erst einer offenen Sammlung von Meinungen und Eindrücken, auch wenn der eine Einwurf dem anderen nicht gefallen mag. Klarheit kann sich später einstellen.

    Sukha:

    Ganz richtig malsehen.
    Und jeder "Fall" ist ein individueller persönlicher "Einzelfall" und muss als solcher gesehen und behandelt werden.
    Pauschalisieren geht gar nicht.


    ()


    Ja und Nein. Im jeweiligen einzelnen Falle bin ich bei Dir.


    In der Betrachtung einer "Prophylaxe", wie von Doris angeregt, oder einer Form von Ratgeber, oder auch nur in einer Betrachtung der hinter den Einzelfällen erkennbaren Struktur kann und darf man nicht auf den Einzelfall beschränken.
    Noch einmal meine These: Vertrauen ermöglicht Missbrauch. Nochmal deutlich gesagt "ermöglicht", nicht "zieht nach sich" oder "führt zu". Vertrauen ist immanenter Bestandteil vieler buddhistischer Gruppenbildungen und vertikalen (Lehrer-Schüler) Bindungen. Da ist also eine mindestens die Grundlage für eine Missbrauch-optionierende Struktur gegeben. Ich sage keinen Automatismus voraus, aber ich würde es durchaus in Betracht ziehen wollen, nicht von Fall zu Fall in meiner Beobachtung der Realität nachzueilen sondern im vorhinein diese Grundlage mit in die Betrachtung einzubeziehen.


    Autos können Menschen überfahren. Straßen durch Wohngebiete sind die Grundlage des Schadensfalles, führen aber nicht zwingend zu dem Schadensfall. Es geht nicht darum, die Autos zu verdammen, die Menschen für blöd zu erklären oder die Straßen zu sperren. Es geht auch nicht darum, den Einzelfall des Überfahrenen zu beleuchten. Es geht darum, das Rissiko von Straßen in der Nähe von Menschen prinzipiell und übergreifend zu erkennen, einzuschätzen und zu bewerten. Folge können Verkehrserziehung, Ampeln, Verkehrsberuhigung, Umgehungsstraßen u.ä.m sein. Von Einzelfall zu Einzelfall betrachtet käme es zumindest in der Städte- und Verkehrsplanung nicht zu erfolgreichen Maßnahmen…

    Kompetenz und Aufgabe unseres Forums
    Auch wenn es sich für machen so anfühlen mag, Buddhaland ist nicht die Welt. Entsprechend haben wir auch keine Aufgabe oder Verpflichtung, an dieser Stelle endgültig zu befinden oder gar festzulegen, wie die Welt das Problem angehen und lösen muss. Wir können uns zu der Fragestellung als einer von vielen austauschen, Meinungsbildung betreiben und dann für uns als Usergruppe (und damit auch für Neu-User) eine Position zum Thema erarbeiten und – wie angeregt – z.B. eine Informations- und LInksammlung anbieten. Lasst doch mal das Drama des Weltuntergangs, der Unheilsamkeit, des Untergangs von Linien und Gruppen weg, nur, weil wir hier sprechen. Darum geht es a) nicht und b) überschätzen wir uns maßlos, wenn wir davor Angst haben.


    MIssbrauch und Vertrauen
    Wo Vertrauen ist, ist das Risiko des Missbrauchs. Missbrauchs hier zu verstehen als abstrakte Form, sprich jede Form des negativen Nutzens des Vertrauens durch den, in den vertraut wird. Sei es seelisch, körperlich, finanziell oder anders. Jeder sollte – ich sage sogar muss – sich darüber im klaren sein, dass Vertrauen ein Risiko zum Missbrauch beinhaltet. Für meinen Geschmack ist es nicht einfach das Misstrauen als Gegenteil des Vertrauens, dass das Risiko aufhebt, es ist eine Form von Wachheit, die es benötigt. Wie diese Wachheit aufrecht erhalten werden kann, wie man sie erzeugt, ohne Animositäten aufzurufen – eine schwierige Aufgabenstellung. Sie aber zu negieren, führt nirgendwo hin.


    Missbrauch und bestehende Regelungen/Gesetze
    Ich halte den Verweis auf bestehende Regelungen und/oder Gesetze grundsätzlich für zu kurz greifend. Es ist immer so gewesen, dass Anlaufstellen, Regelungen und als letztes Gesetze erst dann geschaffen werden, wenn "es" passiert ist. Wir sollten uns das vor Augen halten, wenn wir achselzuckend auf die Regelungen verweisen. Vergewaltigung in der Ehe war lange nicht strafbewehrt.
    Ähnliches gilt für den läppschen Verweis darauf, dass die Geschädigten alle Erwachsen waren. Ja, sie sind alle mündig und geschäftsfähig, haben somit für ihr Verhalten die Verantwortung zu tragen. Kann und soll das aber das Ende einer Überlegung sein? Ist ein volljähriger Mensch nicht mehr zu missbrauchen? Hört das auf, wenn man 18 wird?


    Vorauseilende Verurteilungen
    Ein Klima der Vorausverurteilung kann sehr unangenehme Folgen haben. Ich habe das als unverheirateter Vater selber erfahren. Nie was passiert, aber allein die Tatsache, dass ich damals einige Tage darüber nachgedacht habe, was passieren könnte, wenn meine Tochter vom gemeinsamen Badevergnügen erzählt, und dies auf einen hystrerischen Empfänger trifft, hat mich sehr nachdenklich gemacht. Ähnliches berichtet meine Schwester aus der JUgendarbeit, wenn es um den Einsatz männlicher Betreuer geht, die sich nicht mehr trauen, Gruppen von Kindern alleine ohne eine weitere, weibliche Aufsichtsoperson auch nur im Auge zu behalten. Die Frage ist, ob und wie weit man sies in Kauf nehmen kann oder muss, um die schlimmen Fälle zu verhindern.- Blödes Rechenmodell, aber mir sind die Umwege, die ein Jugendzentrum gehen muss, um die Gruppen doppelgeschlechtlich zu betreuen, noch lieber, als der Fall der (in welcher Form auch immer) missbrauchten Gruppe. Welcher Weg von einer solchen unguten Vorausverdächtigung zu einem Mittelweg führen kann, ist eine intere4ssante, weitere Frage. Ich nähme aber eine Übervorsicht an solcher Stelle immer in Kauf, wenn auch nicht als Dauerzustand. Und noch mal. Missbrauch hört für mich nicht bei Kindern/Schutzbefohlenen auf.


    Der einfache Weg und warum er nicht so einfach ist
    Ich gebe zu bedenken, dass alle Rufe, die da sagen, "Zeig doch an", "mach es doch öffentlich", "besschwer dich doch" auf verschiedene Hürden stoßen. Da ist Widerstand im Außne. Beginnend bei der Gruppe um einen herum (Ji’un Ken hat da schon was zu gesagt). Auch die Frage, ob und wie ein Missbrauch justitiabel ist, ist ein äußerliches Problem. Noch einmal, es ist nicht ausreichend, auf bestehende Rechtssprechung zu verweisen (s.o.).
    Und die inneren Hürden kann keiner von uns nachvollziehen. Vertrauen ist missbaucht worden. Ein tiefes, eigenes, intensives Ur-Gefühl ist in die Irre geführt gewesen, und es ist damit zu einer Schädigung des Menschen gekommen. Wie verstörend kann sich das anfühlen? Wie viel Scham und Selbstzweifel kann das aufrufen? Ich weiß es nicht, aber ich bin weit, weit entfernt davon, den Opfern zuzurufen, "macht doch einfach dieses oder jenes". Ich muss davon ausgehen, ein mehr oder minder traumatisiertes Gegenüber vorzufinden, dem ich nicht mit Standard-Appellen begegnen kann.


    Wir hier in Buddhaland…
    lasst uns offen bleiben für das Sprechen darüber. Spiegelt Eure Gedanken an der Überlegung, wie ihr agieren würdet, wenn Euer bester Freund/beste Freundin in eine solche Bredouille geraten würde und ihr wärt der oder die, der oder die sich um diesen Menschen kümmern will.
    Was dabei herauskommt, können und müssen wir jetzt gar nicht befinden. Weder ist es sinnvoll, ein Untergangsszenario an die Wand zu malen, noch muss man sich vornehmen, das Problem ein für alle Mal zu lösen, noch muss man darauf verweisen, dass man es gar nicht lösen kann. All das lähmt uns in dem, was uns bewegen könnte, zu einem anderen Blick auf eine einfache Tatsache zu kommen: Vertrauen ist missbrauchbar.